Mittlerweile habe ich meinen Platz gewechselt und mich in die Ecke des Raumes platziert, die meiner Einschätzung nach am weitesten von meinem Erbrochenem und dem Teller entfernt ist. Meine Wasserflasche habe ich dabei natürlich mitgenommen, doch als ich nun zu einem weiteren Schluck die Flaschenöffnung an meine rissigen Lippen ansetze muss ich zu meinem Bedauern feststellen, dass diese fast leer ist. Ich trinke einen kleinen Schluck und lasse sie zerknirscht neben mich auf den Boden fallen.
Mein Magen schmerzt ungeheuer vor Hunger, und Überreizung vom Erbrechen. Er brennt hinauf durch meine Speiseröhre bis in meinen Hals, als hätte ich Benzin verschluckt. Ich habe meine Beine weit von mir gespreizt und meine Arme liegen schlapp auf meinen Oberschenkeln, ich bin mittlerweile sogar zu schwach für meine alte Position, bei der ich mich eng zusammengekauert die Beine an meinen Oberkörper gepresst habe. Es fordert zu viel Kraft von mir, die ich nicht mehr habe.
Es ist längst nicht mehr so kalt wie die Stunden, Tage, wer weiß das schon genau, zuvor. Ich scheine bereits so viel Zeit hier verbracht zu haben, dass die Luft knapp wird und die Temperatur steigt. Dennoch friere ich noch immer, jedoch mehr aus Erschöpfung und Müdigkeit als alles andere. Anfangs habe ich zusammengekauert in einer Ecke gesessen, zitternd vor Kälte. Mittlerweile zittert mein Körper höchstens noch aus Schwäche, er fühlt sich schlapp an.
Ich bereue es, dass ich mir zuvor nicht etwas Wärmeres angezogen habe, wenigstens eine wärmere Jacke. Auch meine alten, ausgelatschten Turnschuhe und die nur kurzen Socken darunter fange ich an zu bereuen, denn sie lassen meine Knöchel nackt und somit frierend. Doch wie hätte ich auch damit rechnen können, dass dieser Abend so endet. Obwohl ich bereits zuvor eine ungeheuer große Angst hatte hätte ich mir niemals ausgemalt, dass ich gefangen von zwei Psychopathen in einem dunklen Wohnwagen mit meinem eigenen Erbrochenen ende.
Ich schließe die Augen und lehne meinen Kopf an die Wand hinter mir. Meine Haare kleben an meiner Haut, es ist ein Ekel erregendes Gefühl. Was würde ich nicht alles für eine Dusche tun. Ich fühle mich unglaublich schmutzig und unhygienisch, es ist kaum noch auszuhalten, aber mir bleibt keine andere Wahl. Meine Lippen sind spröde und an einer Stelle sogar aufgerissen und ich schmecke den Eisengeschmack meines Blutes. Und auch meine Haut fühlt sich trocken an, meine Augenlider unfassbar schwer und sämtliche Muskeln meines Körpers schreien vor Schmerz bei jeder noch so kleinen Bewegung, obwohl ich mich kaum körperlich betätige. In diesem Raum ist kein Platz und meinem Körper fehlt die Energie dafür.
Die ganze Zeit pendele ich zwischen schlafen und wach sein her, nie weiß ich genau, was von beiden gerade der Fall ist. Manchmal glaube ich meinen Träumen, in denen ich zuhause bin, bei meiner Familie, bei meinen Freunden und die Welt gut ist. Zumindest will ich ihnen glauben. Doch tief in mir weiß ich, dass es nur Träume, nur Erinnerungen sind.
Anfangs haben die Träume, an die ich mich erinnern kann seit meinem Aufenthalt hier, nur schöne Erinnerungen beinhaltet und ich habe mich nach ihnen gesehnt, habe gerne meine Augen geschlossen um wieder eine von ihnen in mein Gedächtnis rufen zu können. Lieber habe ich die Zeit in meiner eigenen, irrealen Welt verbracht, als in der Realität in meinem kleinen, dunklen Gefängnis. Doch mit der Zeit hat sich auch in meine Träume die Dunkelheit geschlichen. Nicht in jeden, doch in vielen.
Ich träume davon, wie Ratten um mich kriechen und beginnen an meinem Körper zu knabbern. Ich träume davon, wie die Wände des Raumes enger werden und immer weiter auf mich zu kommen, bis sie mich letztlich wie eine Ameise zerquetsche. Ich träume davon, wie Hände nach mir greifen und an meinem Körper ziehen, immer weiter und weiter, bis sie mich letztendlich auseinanderreißen. Und ich träume von Niall.
Es beginnt immer mit seinem Gesicht, den strahlend blauen Augen, die mich anfunkeln, zusammen mit dem breiten Lächeln, dass nur an mich gerichtet ist. Doch es endet damit, dass er in jeder nur erdenklicher Weise stirbt. Er ist inzwischen so oft in meinen Träumen gestorben, dass ich es kaum noch aushalten kann. Mal finde ich seine aufgeschlitzte Leiche am Boden, mal hängt er an einem Seil von der Decke, einmal waren sogar seine einzelnen Körperteile in einem Wald verstreut. Jedes Mal schrecke ich schweißgebadet hoch und bin erleichtert, wenn ich statt feuchter Erde den harten, festen Boden unter mir spüre. Ich kann jedes Mal weniger unterscheiden, ob es sich um Traum oder Realität handelt und genau das jagt mir eine furchtbare Angst ein. Ich kann von Sekunde zu Sekunde weniger unterscheiden ob das, was ich wahrnehme nicht doch nur eine Einbildung ist.
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Terror»You want to believe in black and white, good and evil, heroes that are truly heroic, villains that are just plain bad, but I've learned in the past year that things are rarely so simple. The good guys can do some truly awful things, and the bad guy...