Kapitel 2 | run

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Verzweifelt blicke ich mich um, doch kann ihn nirgendswo entdecken. Das kann nur ein schlechter Scherz sein. Mein Herz pocht wie wild.

Was mache ich jetzt bloß? Auf ihn warten? Niall würde mich niemals alleine lassen, schon allein weil er weiß, wie sehr ich mich vor Jahrmärkten fürchte. Wenn er auf die Toilette gegangen wäre hätte er mir Bescheid gesagt. Ich bin mir sicher, dass hier etwas nicht stimmt, denn es gibt keinen Grund, wieso er einfach so verschwinden sollte. Vor allem ohne mir wenigstens Bescheid zu geben.

Mein Körper fängt unkontrolliert an zu zittern. Auf der Manege geht das Geschehen inzwischen unberührt weiter, doch darauf kann ich mich gerade unmöglich konzentrieren. Um mich herum verschwimmt alles, mir wird schwindelig und ein unbehagliches Gefühl breitet sich in meiner Magengrube aus, das von dort meinen ganzen Körper durchströmt. Ich fühle mich furchtbar allein und hilflos, mein Atem setzt aus und ich drohe zu ersticken in diesem Zelt. Panisch blicke ich mich um und sehe in Richtung des Ausgangs. Zitternd richte ich mich auf und laufe die Zuschauerränge hinunter, weiter zum Vorhang, durch den wir gekommen sind. Ich nehme die anderen Menschen um mich herum kaum wahr, zu groß ist die Panik, die mich überkommt.

Ich muss Niall finden. Er kann nicht einfach weg sein. Doch ich kann ihn nicht alleine suchen. Ich kann nicht alleine auf diesem Jahrmarkt sein. Ich pack das nicht, ich hab auch mit ihm schon genug Angst. Ohne ihn bin ich verloren, maßlos verloren.

Mein Körper läuft auf Hochtouren, alles in mir schreit vor Verzweiflung. Die Tränen stehen mir bereits in den Augen, ich fühle mich so unglaublich verloren ohne ihn. Ich erreiche den dunklen Vorhang und schiebe ihn zur Seite, dahinter befindet sich der dunkle Zwischenraum und ich erstarre. Ich kann nichts außer Dunkelheit erkennen. Unmöglich. Da kann ich unmöglich hinein. Ich schließe die Augen und versuche ruhig zu atmen, während ich mich an den Vorhang festhalte, um nicht umzukippen. Ich muss da durch. Ich muss ihn finden. Ich muss, ich muss, ich muss. Ich öffne wieder die Augen und bevor ich weiter Nachdenken kann laufe ich durch den Raum und renne immer weiter geradeaus, dabei halte ich die Hände tastend vor mir, bis ich einen Stoff fühle. Mein Atem ist unregelmäßig und viel zu schnell und meine Hände tasten den Stoff nach einer Öffnung ab, durch die ich schlüpfen kann, doch finden nichts. Die Panik in mir wird größer und als ich mich wieder umdrehe sehe ich nichts als Dunkelheit vor mir. Mein Herz droht aus meiner Brust zu platzen. Zurückgehen kann ich auch nicht mehr, denn ich hab keine Ahnung, wo die Öffnung des Vorhangs der anderen Seite sich befindet. Es macht also keinen Unterschied mehr, ich müsste auf beiden Seiten suchen.

Zitternd bücke ich mich und taste nach dem Ende des Vorhangs und versuche mir nicht auszumalen, was oder wer sich alles in der angsteinflößenden Dunkelheit hinter mir befindet. Hier ist niemand. Alles ist gut. Ich bin alleine, und das ist bloß ein Zelt, ein harmloses Zelt, in dessen leerem Zwischenraum ich mich aufhalte. Kein Grund zur Angst, finde einfach den Saum des Vorhangs und du gelangst nach draußen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffe ich es ihn zu finden und hebe den Vorrang vorsichtig hoch, dann schlüpfe ich unter ihm hindurch nach draußen. Doch was mich hier erwartet ist kein Stück besser. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden und der Jahrmarktplatz ist totenleer. Ein frischer Wind weht und es herrscht komplette Stille, bloß die Musik aus dem Zelt hinter mir ist gedämpft zu hören. Es dauert einige Zeit, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Der Mond spendet dürftig Licht, gerade genug, um die Umrisse der anderen Zelte und Wagen erkennen zu können. Zitternd setze ich einen Fuß vor den anderen.

Was jetzt?

Ohne Nachzudenken laufe ich einige Schritte weiter und sehe mich um. Auch von diesem Standpunkt aus ist kein Mensch weit und breit zu erkennen, und ich bin mir unsicher, was ich davon halten soll. Es scheint, als wären alle Besucher des Jahrmarkts im Zelt, um die Freakshow zu sehen. Und die hat dabei gerade erst angefangen, wahrscheinlich dauert sie noch über eine Stunde. Nervös verlagere ich mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und drehe mich weiter im Kreis, um meinen Blick weiter über das Gelände streifen zu lassen.

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