Kapitel 14 | thoughtless

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Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Unter meinen nackten Füßen spüre ich den kalten und ein wenig feuchten Boden. Über mir strahlt die Sonne, der Himmel erstreckt sich beinahe wolkenlos über mir. Weiter setze ich einen vorsichtigen Schritt vor den anderen, spüre die Erde samt einiger kleiner Steinchen unter meinen Füßen, doch diese machen mir nichts aus.

Um mich herum befinden sich Bäume, Büsche und andere wilde Pflanzen. Die Farbe grün überwiegt stark zusammen mit Brauntönen, Akzente setzen einige bunte Blüten. Alles ist so friedlich und hat eine beruhigende Wirkung auf mich.

Mein Tempo verlangsamt sich und ich bleibe an einem Baum stehen, meine Hände gleiten langsam über die bereits etwas morsche Rinde. Es ist ein Wort darin hineingeritzt, welches ich zunächst nicht genau erkenne. Meine Finger zeichnen nachdenklich die Umrisse der Ritzereien nach, immer und immer wieder. Mein Blick fixiert sich ganz auf diese Buchstaben, während um mich herum das Zirpen von Insekten, das Zwitschern von Vögeln und das Rascheln von Blättern zu hören ist. Alles samt verstärkt meine innere Ruhe, während ich weiter über die Rinde fahre.

Doch plötzlich bleibt meine Hand ruckartig stehen, genau beim letzten Buchstaben. Starr blicke ich die Buchstaben an, die mit einem Mal nun deutlich vor mir stehen.

Lauf.

Meine Hand lässt vom Baum ab, während mein Blick noch immer auf dem Wort liegt. Langsam blicke ich mich um, blicke zu den anderen Bäumen um mich herum. Und erst jetzt bemerke ich, dass auch auf diesen allen Buchstaben eingeritzt sind. Die gleichen Buchstaben.

Das Zirpen, das Zwitschern und auch das Rascheln haben aufgehört. Um mich herum herrscht Totenstille.

Eine Weile verharre ich in meiner Starre, meinen Blick wieder auf den Baum vor mir gerichtet. Meine Hände presse ich mittlerweile an die Außenseiten meiner Oberschenkel, die Fingernägel in den Stoff meiner Hose gepresst.

Hinter mir kann ich Schritte vernehmen. Undeutlich, vermutlich ein Stück weiter weg, doch noch laut genug, dass ich sie hören kann. Sie werden lauter, sie kommen näher.

Und ich laufe.

Ich laufe, ich laufe immer schneller, schneller und schneller, ich laufe immer weiter durch das grüne Dickicht des Waldes, kämpfe mir einen Weg durch das Unterholz.

Den zuvor mir so friedlich erscheinenden Wald empfinde ich mit einem Mal als bedrohlich, die Zweige der Bäume scheinen nach mir greifen zu wollen, die Tiere sind alle verschwunden, der Boden verletzt die Unterseiten meiner Füße. Dennoch höre ich nicht auf zu laufen, sondern beschleunige mein Tempo noch mehr.

Bevor ich nachdenken kann wohin ich laufe, tragen mich meine Füße bereits weiter und bahnen sich einen Weg durch das Geäst. Ich bin mir sicher in Brennnesseln getreten zu sein, denn meine Füße brennen und jucken höllisch, doch stehen bleiben kommt nicht in Frage.

Meine Sicht verschwimmt, ich konzentriere mich nur noch darauf weiterzulaufen. Wohin laufe ich überhaupt? Ich habe kein genaues Ziel vor Augen, ich laufe einfach. Weiter und weiter, bis mein Hals bereits vom Laufen und meiner mangelnden Kondition schmerzt und meine Seiten stechen. Und dennoch laufe ich immer weiter.

Immer wieder blicke ich mich hektisch um, werde das Gefühl nicht los verfolgt zu werden und das Knacken und Rascheln, das von allen Seiten zu hören ist, verstärkt meine Paranoia, doch in der Hektik kann ich niemanden sehen.

Meine Füße treiben mich mittlerweile weiter ohne jeglichen Befehlen meines Hirnes zu befolgen, sie reagieren ganz mechanisch, hören keine Sekunde auf zu laufen. Doch der Wald hört nicht auf, auch jetzt ist noch immer kein Ende in Sicht. Laufe ich im Kreis?

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