- 19 Tage später –
ZAYNS POV
Ich nehme einen weiteren Zug, lege den Kopf in den Nacken und blicke auf den dunkel bewölkten Himmel über mir, während der Qualm meine Lungen verlässt und nach oben steigt. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis der erste Donner die schwüle, angespannte Atmosphäre durchbricht.
Was mache ich überhaupt noch hier? Die letzten Wochen durfte ich nicht mal mehr bei den Shows auftreten, was auch bedeutet, dass ich keinen Lohn mehr erhalte. Um überhaupt noch irgendwie über die Runden zu kommen, mache ich die Drecksarbeiten für knappes Geld, dass nur knapp gerade so noch reicht.
Ich ziehe das letzte Mal an dem kleinen Zigarettenstummel, atme tief ein und wieder aus, werfe schließlich den Rest auf den Boden und zertrete die Kippe mit meiner Stiefelsohle. Mit der Hand durch die Haare streichend richte ich mich von den Treppenstufen meines Wohnwagens auf.
Monate zuvor war dieser Zirkus mein Zuhause, meine Familie. Alles, was ich hatte.
Langsam drücke ich den Türgriff hinunter, bevor ich mich ins Innere meines Wagens begebe und die Türe hinter mir wieder schließe. Nur schleppend mache ich einen Schritt vor den anderen. Ein Blick in den kleinen Kühlschrank verrät mir, dass mein heutiges Mittagessen aus einer Flasche Whiskey bestehen werden wird, von der ich mir nun einen großzügigen Schluck nehme.
Mein Blick wandert über die Einrichtung, erst über die alten Küchenelemente, dann über die abgenutzte kleine Bank, über die Brandlöcher auf der Tischplatte, die Kratzer an den Schränken, das Graffiti an den Wänden. Ich kann mich bei jedem Bild daran erinnern, wie ich es an die Wände gesprüht habe. Wie gut es sich anfühlte, einen Ort zu haben, der ganz allein mir gehörte, niemand anderem. Einen Ort, an dem ich ganz allein sein konnte, ganz für mich, und ganz ich selbst. An dem mir niemand sagen konnte, dass ich nicht die Wände bemalen darf, oder mich ständig damit nerv t, die Küche aufzuräumen, oder schimpft, weil ich meine Zigaretten schon wieder an der Holzplatte ausgedrückt habe, nachdem ich zu viel getrunken habe.
Doch nun sehe ich stattdessen nur das Leben eines Fremden vor mir. Wie konnte ich jahrelang so leben? Allein, in einem kleinen, völlig abgenutzten Wohnwagen. Abends eine Show nach der anderen, an Abenden ohne Auftritten viel zu viel Alkohol, nie lange an ein und demselben Ort verweilen, immer die gleichen Leute um mich, völlig abgeschottet von der Außenwelt, die meiste Zeit mit mir allein.
Und ich habe es geliebt. Doch nun fühlen sich die letzten Jahre sinnlos an. Jede einzelne Faser meines Körpers schreit danach zu verschwinden.
Ich nehme einen weiteren, großen Schluck und kann die goldbraune Flüssigkeit meinen Hals runterlaufen spüren. Das Brennen dabei in gewisser Weise beruhigend, lasse ich mich auf der kleinen, gepolsterten Bank nieder und setze die Flasche mit einem lauten Klirren achtlos auf der Tischplatte ab.
Ich könnte gehen. Einfach alles hinter mir lassen.
Doch würden sie mich überhaupt gehen lassen?
Das erste Mal erscheint mir der Zirkus weniger wie ein Zuhause und mehr wie ein Gefängnis. Würden sie mir glauben, wenn ich ihnen sage, kein Wort über die Dinge die ich gesehen habe zu verlieren, wenn ich dafür meine Freiheit erhalte? Dafür stelle ich ein wohl zu hohes Risiko dar.
Mein Blick gleitet zu meinem Zeichenblock, welcher auf dem Tisch vor mir liegt und welcher der Flasche Whiskey unabsichtlich gerade als eine Art Untersetzer dient. Ich nehme die Flasche, nippe ein weiteres Mal daran und stelle sie zur Seite, sodass ich den Block öffnen kann. Eigentlich handelt es sich nicht um einen Zeichenblock im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um ein altes Kochbuch, welches ich vor einiger Zeit zum Zeichenblock umfunktioniert habe, da all meine alten Blöcke bereits voll waren und ich weder die Zeit, noch das Geld hatte mir einen Neuen anzuschaffen. Kochbücher sind nicht die einzigen, die unter meinen Zeichnungen leiden müssen. Ich kann mir nur zu gut Zoes Reaktion vorstellen, wenn sie die anderen Bücher finden würde, welche kaum noch eine lesbare Seite enthalten, nachdem ich sie in den Fingern hatte.
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Terror»You want to believe in black and white, good and evil, heroes that are truly heroic, villains that are just plain bad, but I've learned in the past year that things are rarely so simple. The good guys can do some truly awful things, and the bad guy...