13 | Gorillas

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• Erik Jonasson - Like a Funeral •  

Zwischen Caleb und mir läuft es wieder einigermaßen normal ab. Wir haben den Vorfall und unseren kleinen Streit vom letzten Mal einfach totgeschwiegen. Es fühlt sich irgendwie seltsam an, wenn wir ganz offen miteinander reden oder selbst dann, wenn wir uns schweigend gegenüber sitzen. Vermutlich liegt es daran, dass wir uns nach dem Streit nicht mehr ausgesprochen haben.

Ich erwähne die Blutergüsse nicht, auch wenn sie mir immer wieder auffallen und dafür erwähnt er die Sache mit Alec nicht. Es ist nicht so, als würde ich es für immer für mich behalten. Ich weiß, dass ich mit jemandem darüber reden muss, aber ich weiß noch nicht wie und mit wem und bis ich diese Fragen geklärt habe, muss ich mich wohl oder übel zurückhalten.

Immer wieder frage ich mich, wie seine Eltern nichts von den Flecken mitbekommen, aber vermutlich sehen sie sich ziemlich selten im Moment, weshalb ich in den letzten Wochen auch immer öfter gebraucht werde und inzwischen schon jeden Tag vorbeikomme.

Auch Alec kommt nicht mehr vorbei. Anscheinend springt er momentan von einer Vorlesung in die Nächste, lebt im Wohnheim und wird mit mit vielen verschiedenen Klausuren und Projekten bombardiert. Jedenfalls hat Mrs. Moranis mir so viel erzählt, als ich eines Abends etwas länger geblieben bin, um noch einen Tee mit ihr zu trinken und zu quatschen. Sie hat von sich aus über Alec geredet, ohne das ich sie gefragt hätte. Und während sie über ihn gesprochen hat, habe ich Calebs Blick – der mit uns am Tisch saß – gespürt, der sich in meinen Schädel gebohrt hat. Er hat vermutlich irgendeine Reaktion von mir erwartet, welche, weiß ich nicht, aber ich habe versucht, mich zusammenzureißen und so zu tun, als wäre es mir egal.

Ich hätte gerne gewusst, was Alec studiert, aber ich habe mich nicht getraut, zu fragen. Vor allem wegen Calebs Anwesenheit am Tisch. Der Kleine glaubt sowieso schon, dass ich auf seinen Bruder stehe.

Heute habe ich eine SMS von Mrs. Moranis bekommen, in der sie mich darum bittet, Caleb heute von der Schule abzuholen, um ihn zu seinem Zahnarzttermin zu begleiten. Das Ganze hört sich einfacher an als es ist, denn ich muss mich nach meiner letzten Stunde beeilen, um pünktlich an Calebs Schule zu sein. Ich habe das Glück heute nur fünf Stunden zu haben und renne daher direkt nach dem Sportunterricht los zur nächsten Bushaltestelle. Um von meiner Schule zu Calebs Schule zu kommen, muss ich ungefähr drei Mal umsteigen – zwei Mal Bus fahren und eine kurze Strecke muss ich mit der Bahn zurücklegen, bevor ich endlich vor dem Eingang stehe.

Ich hole noch einmal mein Handy hervor und scrolle meine Nachrichten durch, um sicherzugehen, wann Caleb aus der Schule kommt und wie viel Zeit mir bleibt, um von der Schule bis zur Arztpraxis zu kommen. Caleb würde es zwar nie offen zugeben, aber er hat große Angst vor dem Zahnarzt, also wäre es toll, wenn du ihn auf dem Weg dorthin, beruhigen könntest, hat Mrs. Moranis mir noch dazu geschrieben. Ich stecke das Handy wieder zurück und lasse mich gegen die Schulmauer fallen, während mein Blick über den Schulhof und das Schultor gleitet.

Mein Blick fällt auf meine Uhr und ich seufze. Es sollte in zwei Minuten klingeln. Ich zähle die letzten Sekunden mit, bevor die laute Schulglocke ertönt und eine Sekunde später, fast so als hätten sie nur darauf gewartet, wird das Schultor aufgerissen und die ersten Schüler stürmen aus dem grauen, tristen Gebäude.

Auch wenn Caleb weiß, dass ich komme und vermutlich nach mir suchen wird, halte ich die Augen offen und bleibe wachsam. Mit den Augen versuche ich ihn in der untergehenden Menge zu finden. Aber auch fünf Minuten später, als sich die Menge endlich auflöst und nur noch einzelne Schüler aus dem Gebäude kommen, stehe ich alleine an der Mauer.

Ungeduldig tippe ich mit dem Fuß auf dem Boden herum. Vielleicht redet er noch mit dem Lehrer. Ich warte noch weitere fünf Minuten, aber er kommt immer noch nicht heraus. Viel mehr ist der Schulhof wie leergefegt. Schnaubend drücke ich mich von der Mauer und laufe etwas orientierungslos herum. Was ist, wenn ihm etwas passiert ist? Ich kaue nervös an meiner Unterlippe herum, während ich mich frage, ob ich einfach in das Gebäude herein spazieren soll, aber was dann? Woher soll ich wissen, wo ich suchen muss?

BadassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt