50 | Lasagne

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• Sleeping At Last - Touch •  

Ich weiß nicht wie viel Zeit verstrichen ist, wie lange wir hier schon sitzen und uns einfach nur festhalten, aber irgendwann bemerke ich, wie Alec sich in meinen Armen beruhigt. Die Anspannung in Alecs Körper verschwindet. Er bewegt sich nicht, sein Körper bebt und zittert nicht mehr, aber ich höre ihn leise ein und ausatmen. Ich kann spüren, wie er sich langsam wieder fängt, aber er lässt nicht los, hält mich weiterhin fest, oder halte ich ihn fest? Ich weiß nicht mehr wer wen festhält, aber vielleicht halten wir uns auch einfach gegenseitig fest. 

Keiner von uns sagt etwas, obwohl es so viel zu sagen gäbe. Ich würde ihn gerne mit aufmunternden, starken Worten überhäufen, ihm zusprechen und wieder auf die Beine bringen, aber mir fehlen die richtigen Worte. 

Ich wünschte, ich könnte später behaupten, dass ich so vieles zu ihm gesagt habe, dass ich ihm geholfen habe und für ihn da gewesen bin, aber das wäre eine Lüge. Ich wünschte, es wäre wie in diesen Filmen und Büchern, in denen den Menschen immer sofort die unglaublichsten Dinge einfallen. Es sieht immer so aus, als wüssten sie sofort was sie sagen müssen, was ihr Gegenüber hören will, damit er sich besser fühlen kann, aber die bittere Realität sieht anders aus, denn die Wahrheit ist, dass ich hier sitze, Alec in meinen Armen halte, und nicht weiß was ich sagen soll. Selbst wenn ich wollte, würde mein Kopf in diesem Augenblick wohl keine sinnvollen Sätze heraus bringen, aber vielleicht ist das auch besser so, denn manchmal reichen Worte nicht aus, um etwas zu zeigen, manchmal sind Worte nicht stark genug, um das auszudrücken was man fühlt.

Seine Geschichte spukt immer noch in meinem Kopf, seine Stimme hat sich in mein Gehirn gebrannt. Ich sehe ihn wieder vor mir, sehe ihn weinen, zittern und verzweifelt nach Worten ringen. Es hat ihn so viel Überwindung gekostet, mir diese Geschichte zu erzählen. Eigentlich sollte ich jetzt für ihn da sein, ihm sagen, dass alles wieder gut wird, aber das stimmt nicht. Es wird nicht wieder gut, nichts wird gut. Dieser Schmerz wird nicht verschwinden, niemals. Vielleicht, hoffentlich, kann er ihn für kurze Zeit vergessen, aber er wird ihn nie los. Er hat seine Mutter geliebt und sie verloren und nichts wird sie zurückbringen. Nichts bis auf den Tod selbst.

Plötzlich überkommt mich ein Schauer und ich erstarre. Tod. Ich schlinge die Arme fester um Alec. Tod. Dieses schreckliche Wort hallt in meinem Kopf wieder. Immer und immer wieder. Ich drücke ihn noch fester an mich, als könnte ich ihn dadurch beschützen. Tod. Als könnte ich ihn dadurch von allem Bösen bewahren, aber egal wie fest ich ihn auch an mich drücke, nichts scheint auszureichen, um dieses verdammte Wort aus meinem Kopf und dieses beklemmende Gefühl in meinem Magen auszulöschen. 

Ich möchte nicht daran denken. Alec ist vielleicht traurig und fühlt sich schuldig, aber er würde nie so etwas tun. Er ist nicht wie seine Mutter, er ist nicht depressiv. Ich kralle meine Finger in seine Arme. Ich bin verzweifelt. Das ist es. Das muss es sein. Ich bin einfach nur verzweifelt, deshalb habe ich diese schrecklichen Gedanken. Er würde sich nicht umbringen, nicht Alec, nicht wenn er Caleb hat, nicht wenn er mich hat. Alec würde Caleb niemals im Stich lassen, dafür liebt er ihn zu sehr.

Der ruhige, regelmäßige Klang seines Atems hat etwas beruhigendes an sich und ich vergrabe mein Gesicht an seiner Brust, während er seine Arme enger um mich schlingt, als wäre ich ein Fels an der Brandung, aber in diesem Moment ist Alec mein Fels. Ich konzentriere mich auf ihn, auf seinen Atem und seinen Geruch, auf seine Berührungen und seinen Herzschlag und diese kleinen, banalen Dinge beruhigen mich wieder, lassen mich meine scheußlichen Gedanken vergessen. 

Wir bleiben noch lange so sitzen. So ruhig, stumm, bis er sich schließlich aus meinen Armen löst. Er setzt sich auf und sieht mich an. Blau, braun, blau, braun. Mein Herz sackt mir in die Hose. Seine Augen haben mich schon bei unserer ersten Begegnung aus der Fassung gebracht, sie haben mich vom ersten Augenblick an in den Bann gezogen, aber heute, jetzt in diesem Moment, sind sie schöner denn je.Schöner als alles, was ich jemals gesehen habe. Es ist das erste Mal, dass ich ihm in die Augen sehe und das Gefühl habe, durch seine Augen in seine Seele blicken zu können. Ich habe das Gefühl alles zu sehen, Alec zu sehen, mit allem was ihn ausmacht und nicht nur das, was er mich sehen lassen will. In seinen Augen sehe ich so viel Verletzlichkeit, einen Ausdruck, den ich vor einigen Monaten niemals mit Alec in Verbindung gebracht hätte. Aber da ist noch etwas anderes, etwas Warmes und Schönes. Etwas, das sich wie ein warmes, geborgenes Zuhause anfühlt. Liebe.

BadassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt