36 | Stolz

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• The Icarus Account - So in Love •

Das erste was ich am nächsten Morgen sehe, als ich die Augen öffne, ist Alec. Er liegt neben mir, die Arme unter dem Kopf verschränkt und an die Decke starrend. Für eine Sekunde denke ich, dass er noch schläft, doch dann dreht er langsam den Kopf in meine Richtung, als hätte er gespürt, dass ich ihn ansehe. Sein Blick trifft meinen und er lächelt. »Guten Morgen, Beccs.«

Ich ziehe die Bettdecke bis über mein Kinn und rolle mich dann zur Seite, so dass ich mein Gesicht an seiner Brust vergraben kann. Beschämt murmele ich ein »Guten Morgen« in das Laken, während die Erinnerungen an die gestrige Nacht langsam zurückkommen. Ich bereue nichts, keine einzige Sekunde und ich würde es nie im Leben rückgängig machen wollen, aber es fühlt sich trotzdem seltsam an. Das Wissen, dass wir uns so nahe gewesen sind, wie es zwei Menschen nur möglich ist, ist schön und beängstigend zugleich. Schön, weil ich das Glück hatte, von Alec geliebt zu werden, wenn auch nur für eine Nacht und beängstigend, weil der Moment zwischen uns so intensiv und harmonisch war, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Er war so unglaublich rücksichtsvoll, dass ich mir manchmal nicht sicher war, ob ich vielleicht doch nur träume.

Er legt sich auf die Seite und versucht mir grinsend das Laken vom Gesicht zu ziehen. Dieser Mann, der hier völlig nackt neben mir unter dem Laken liegt, hat mich mehr als nur einmal in den Wahnsinn getrieben. Er hat sich lustig über mich gemacht und mit mir gespielt. Trotz allem habe ich mich in ihn verliebt. Ich habe mich in den Alec verliebt, der hinter dieser Fassade steckt. Alec, der mich immer sicher nach Hause gefahren hat; Alec, der sich um mich gekümmert hat, als ich krank war und in den Alec, der eifersüchtig wurde, als er mich mit Aaron zusammen gesehen hat. Aber vor allem in den Alec, der seinen Bruder mehr liebt, als sonst einen Menschen auf diesem gottverdammten Planeten.

Diese Situation ist so abgedreht, dass ich nicht glauben kann, dass das hier tatsächlich passiert. In einer Sekunde würde ich ihm am liebsten zwischen die Beine treten und in der nächsten, würde ich nichts lieber tun, als ihm um den Hals zu fallen. Jetzt gerade klingt die zweite Option mehr als verlockend.

»Hast du gut geschlafen?« Er streicht mit seinem Daumen über meine Unterlippe. »Oder hast noch Schmerzen?«

Mein Blick fährt von seinem Gesicht zu den breiten, muskulösen Schultern. Seine Hand liegt auf meiner Hüfte, als gehöre sie genau dahin und sonst nirgendwohin. Wenn es nach mir ginge, könnte sie für immer dort bleiben und wenn man mich fragen würde, dürfte die Hand auch gerne unter die Decke rutschen.

Ich sehe ihn überrascht an. »Mir geht es gut«, antworte ich nach kurzem Zögern. Es tut seltsamerweise nicht mehr weh. Gestern Nacht habe ich noch geweint, aber ich kann mich kaum noch daran erinnern, Schmerzen gehabt zu haben. Es war eher die Angst und die Erleichterung, die mich übermannt haben. Die Nacht und der Alkohol haben mich emotional gemacht.

Er beugt sich über mich und sieht mir dabei tief in die Augen. Sein Blick gleitet von meinen Augen zu meinem Mund und schließlich wieder nach oben, während ich ihm abwechselnd in sein linkes und rechtes Auge schaue.

»Und du bereust es auch nicht?«, fragt er, bevor er die Lippen aufeinander presst und mich neugierig mustert. Ich denke nicht einmal darüber nach, denn das muss ich nicht. Meine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen, obwohl ich mich zusammenreiße, um nicht zu schnell zu antworten. »Nein.«

Seine Mundwinkel heben sich zu einem erleichterten Lächeln.

In diesem Augenblick würde ich ihm gerne sagen, wie sehr ich ihn liebe. Und ich würde gerne hören, wie er sagt, dass er mich liebt, aber darauf kann ich wohl lange warten. Wieso sollte er so etwas zu mir sagen? Wir sind nicht einmal zusammen, mal davon abgesehen, dass das, was zwischen uns läuft, so verwirrend und seltsam ist, dass ich nicht einmal weiß, wie man es bezeichnen soll. Wir sind keine Freunde und auch keine Liebenden. Es gibt kein wir, es gibt nur ein Alec und eine Rebecca. Alec, der vielleicht nur ein wenig Spaß und Ablenkung vom Lernen sucht und ich, die gefunden hat, was sie suchte, es aber nicht behalten darf. Unerwiderte Liebe ist schrecklich. Die meisten Menschen sind schlau genug, dann aufzuhören, wenn sie merken, dass ihre Gefühle nicht erwidert werden, die sich nicht freiwillig in den Abgrund stürzen – und dann gibt es noch mich. Ein Mädchen, das einen Mann liebt, der sie nie zurück lieben wird, und trotz allem in Kauf nimmt, von ihm verletzt zu werden.

BadassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt