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"When I find myself in times of troubles, Mother Mary comes to me..." , mit einem lauten Scheppern erstarben die Beatles, als der Wecker von Nachttisch kippte.
Louisan zog sich die Decke über den Kopf.
Warum konnte die Schule nicht einfach ausfallen? Warum konnte nicht Wochenende sein? Warum...

Fünf Minuten später schob ihre Mutter vorsichtig die Tüe zu ihrem Zimmer auf:
"Louie? Was machst du noch hier?"
"Ich folge Mother Marys Rat", knurrte Louisan in ihr Kissen, "Ich lasse es sein"
"Was?"
"Ich lasse es sein"
Das glockenhelle Lachen ihrer Mutter schallte durch den Raum, klar wie ein Spiegel.
"Ich sollte dieses Lied aus meiner Playlist streichen", schmunzelte sie.
"Nein", grummelte Louisan.
"Komm schon Schatz, ich koche dir auch einen Kaffee", seuftze die Mutter und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen.
"Hausaufgaben?", fragte die dann mitfühlend, als er an dem voll beladenen Schreibtisch hängen blieb, auf dem das Bestimmungsbuch noch aufgeschlagen lag.
"Was?", Louisan fuhr hoch, "ahh... ähh.. ja, so ungefähr..."
Aber ihre Mutter hörte die vage Antwort schon nicht mehr
Sie hatte den Raum bereits verlassen.

Während Louisan an ihrem Kaffee nippte, stellte sie sich die Frage, ob sie mit ihrer Mutter über die seltsamen Dinge, die passiert waren, sprechen sollte, entschied sich aber dagegen. Wie würde sich das anhören?
Die Sonne schien heute hell in die Küche, nach dem kühlen Tag zuvor .
Die Sonnenstrahlen vertrieben düstere Gedanken als wären sie Nebelschwaden.
Zumindest, wenn man den anderen glaubte.
Louisan fand eher, dass das Licht der Sonne bedrohliche Schatten warf.
Sonne kann keine Schatten werfen! Erinnerte sie sich selbst. Aber während sie mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster blickte, begann die Haut um ihr Tatoo zu prickeln, als wäre sie in einem starken elektrischen Feld.

"Louisan!", winkend fuhr Clara, eine Mitschülerin ihr entgegen, "He, Louisan! Du kannst direkt wieder zurück fahren"
"Was?", erstaunt blieb sie stehen.
"Frau Hoffmann ist immer noch nicht da", Clara lachte fröhlich, "wir haben frei! Die ersten Stunden fallen beide aus!"
"Oh! Schön...", Louisan wunderte sich. Wo blieb das erleichternde Gefühl von Freiheit, das entspannte Aufatmen, dass sie sonst in diesen Situationen verspürte?
Stattdessen zog sich der finstere Knoten in ihrem Magen, der sich dort vor einigen Tagen gebildet hatte, fester zusammen.
"Weiß man schon, wo sie steckt", erkundigte sie sich vorsichtig.
"Das kann uns doch egal sein, was? Vielleicht ist sie heimlich nach Amerika ausgewandert", Clara zog die Nase kraus, "oder jemand hat sie entführt. Wenn ja, werde ich das Lösegeld ganz sicher nicht zahlen", sie legte Louisan ihren Arm um die Schulter, Lass uns Frühstücken gehen, ja? Am See?"

Clara war eine der wenigen Menschen, die Louisan im entfernten Sinne als Freundin bezeichnen würde. Mit Clara konnte man lachen, mit ihr konnte man Zeit verbringen und Spaß haben und sie setzte sich für einen ein, wenn es brenzlig wurde. Aber eine richtige, eine beste Freundin, darunter stellte Louisan sich etwas anderes vor. Jemanden, dem man alles erzählen konnte. Auch von unheimlichen Träumen und mitternächtlichen Beobachtern.
Und mit Clara ging das nicht. Solche Dinge gab es einfach nicht in der Welt dieses fröhlichen Mädchens.
Das bedeutete natürlich nicht, das Louisan nicht alles für Clara tun würde, was sie auch für diesen "Idealtyp von Freundin" tun würde.
Sie war sich nur nicht sicher, ob Clara wirklich dasselbe für sie tun würde.

"Zieh doch nicht so ein Gesicht", Clara stieg wieder auf ihr Rad, "Michelle hat heute morgen Dienst! Vielleicht kann sie uns wieder ein paar Kuchenstücke ausgeben!"
Die Aussicht klang tatsächlich verlockend. Verstohlen warf Louisan einen Blick in den strahlend blauen Himmel und bemühte sich, ihre angstvollen Gedanken abzuschütteln. Die Lehrerin war vermutlich einfach nur erkrankt und hatte vergessen die Schule zu informieren.
Das hatte rein gar nichts mit den nächtlichen Geschehnissen zu tun. Wenn sie ehrlich war, war es an so einem schönen Morgen sowieso nur schwer vorstellbar, das irgendetwas nicht in Ordnung sein sollte.
Kleine Kinder mit Schultaschen fuhren aufgeregt plappernd an ihr vorbei, und eine junge Frau lief den Kopf über ihr Smartphone gebeugt über eine Ampel. Ein normaler Tag. Ein fanz normaler, ruhiger, sicherer Tag.
Fest entschlossen, ein bisschen optimistischer zu sein, folgte Louisan Clara. Vielleicht tat es ihr ganz gut, mal wieder mit halbwegs normalen Menschen zu reden.

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