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Er trat zur Seite und gab den Blick frei auf einen gepflasterten Weg, der sich sanft zwischen friedlich brennenden Fackeln entlang wand.
"Was ist das?", argwöhnisch rümpfte Louisan die Nase.
Der Magier zog seine Lippen zu einem schadenfrohen Grinsen auseinander und entblößte dabei unnatürlich spitze Zähne.
"Das haben dir die Runen nicht verraten, nicht war", er lachte.
Louisan biss sich auf die Lippen. Es war ihr immer noch nicht gelungen, irgendetwas aus der Höhle heraus zu lesen.
"Aber na schön", der Magier setzte, gefährlich gut gelaunt, zu erklären an,
"Ich habe die Pflicht, dich über das, was du finden wirst aufzuklären. Dieser Weg führt zu einem Palast. Deinem Palast, um genau zu sein", sein falsches Grinsen vertiefte sich, "Aber er ist bereits bewohnt. Und zwar von niemandem geringerem als Karal. Einem Elfen, dem es von Anbeginn der Zeiten an bestimmt ist, dein Ehemann zu sein."
Louisan blieb die Spucke weg. "Was?!", rief sie aus, so laut, das jeder im Umkreis von einem Kilometer es hören musste.
"Das ist der zweite Teil der Prophezeiung, Menschenkind", vollendete der Magier, der sich sichtlich an ihrem Entsetzen zu weiden schien, seine Rede, "So werdet ihr das Elfenvolk in neues Leben führen, du und dein wiederspenstiger Freund. In uns wächst nichts, wir bleiben gleich, in Ewigkeit. Das Gewinnen und Verlieren, die immer wiederkehrende Dynamik, die unserem Leben fehlt, die werdet ihr uns geben. Ihr und die Kinder, die ihr diesem Volk eines Tages schenken werdet."
Louisan schüttelte fassungslos den Kopf.
"Ich bin erst sechzehn", ihre Stimme überschlug sich fast, "So funktioniert das nicht, ihr könnt nicht einfach..."
"Es ist vorher bestimmt. Du hast deinen Platz akzeptiert", erwiderte der Magier als sei das sein letztes Wort, "Du solltest von hier alleine weiter gehen."
Louisan rührte sich nicht von der Stelle.
"Geh oder ich zwinge dich dazu!"
Louisan spuckte ihm vor die Füße, bevor sie ihre eigenen in Bewegung setzte. Sie hoffte stark, er würde diese Geste verstehen.

Der Weg schlängelte sich gemächlich durch eine von Büschen und kleinen Zierbrunnen gesprenkelte Parkanlage.
Nur das Plätschern kleiner Fontänen und ein leiser Grillenschwarm störten die sternenklare Nacht und das Feuer der Fackeln tauchte die Sandsteinplatten, auf denen ihre Füße wandelten in ein sanftes Leuchten.
Die Szenerie war wie von einem Drehbuchautoren geschrieben, und zwar für einen dieser Romanzen, bei denen die erste Hälfte des Filmes aus künstlichen Missverständissen und unrealistischen Zufällen und die zweite aus einem kompromisslosen Happy End bestand.
Nur mit einem Haken: Die Person, die immer weiter zum Showdown vordrang war nicht irgendeine einsame Schönheit mit aufgesetzter Mimik, sondern Louisan.
Und solche Filme hatten noch nie zu ihrem bevorzugten Genre erzählt.
Ganz abgesehen davon, dass sich, neben Kindesentführung, Freiheitsberaubung und einer scheinbaren Negierung des freien Willens jetzt offenbar noch Zwangsverlobungen zu den Anklagepapieren gegen das Elfenvolk zählten. Die Liste würde wohl nie ein Ende nehmen.
Warum noch gleich hatte sie in der Schlacht in der Trainingsarena geholfen?
Beim nächsten Mal würde sie sich mit ihrem Eimer Wasser in sicherere Gefilde verziehen und hoffen, dass einer dieser sogenannten Verräter den Magier erwischen würde.
Sie musste dringend mit Finn über die jüngsten Entwicklungen sprechen....
Swusch! Etwas segelte nur ganz knapp über Louisans Kopf hinweg. Mit einem leisen Schrei duckte sie sich. Ein siberfarbener Schatten glitt durch die Dunkelheit auf eine von niedrigen Mauern umrahmte Terasse, die sich vor ihr erhob. Eine Treppe trennte  Louisan von der Plattform, hinter der sich ein Säulengang öffnete.
Der Vogel oder was auch immer es gewesen war landete auf dem ausgestrecktem Arm einer zweiten Silluette.
Louisan blieb stehen. Die Gestalt hatte eine gerade und stolze Haltung und an den blätterartigen Fortsätzen an der Schulter des Schattens konnte sie erkennen, dass er eine der besonders prächtigen Roben trug.
Die Gestalt drehte den Kopf und aus der Dunkelheit glommen ihr zwei gelbliche Augen entgegen, schmal und berechnend.
Keine Frage, die Person beobachtete sie, die sie doch genau im Licht der Fackeln stand genauso genau wie sie ihn.
Die Person setzte sich langsam in Bewegung. Er stieg die Treppe hinunter, bis auch er vom Feuer angestrahlt wurde.
Ein Junge, etwas größer als sie, mit kurzem, gescheitelten haselnußbraunem Haar.
"Du bist es also", sagte er.
Seine Stimme klang nicht überrascht, nicht neugierig
Sondern kalt und distanziert.
Enttäuscht?
Unwillkürlich richtete Louisan sich ein bisschen gerader auf.
"Ja, ich bin es", antwortete sie schnippisch, "Hast du ein Problem damit?"
"Selbstverständlich nicht", sein Gesicht behielt seine gleichgültigen Züge bei.
Wenn Louisan es sich recht überlegte, war seine Haltung nicht stolz, sondern steif.
"Du bist das Menschemädchen und ich bin dein Verlobter. Da ist kein Platz für Probleme."
"Kein Platz für Probleme?", Louisan blieb beinahe die Spucke weg, "Alles hier ist ein Problem!"
"Was denn?", zum ersten Mal flimmerte eine Regung über sein Elfengesicht: Überaschung.
"Ich kenne dich nicht einmal. Ich will das alles nicht!"
"Aber es ist dein Platz."
Ihr Platz.
Ein leises Sirren erfüllte Louisans Ohren. Sie hatte gestrichen genug von diesem Gerede von einer Vorherestimmung oder Prophezeiung. Sie war doch keine Spielfigur im Schach, die man hin und her schieben konnte.
"Jetzt hör mir mal zu", zischte sie, "Es ist mir egal, wer du bist oder was irgendjemand über dich oder uns sagt. Wir sind nicht verlobt. Dieses ganze Gerede von einer Prophezeiung geht mich einen Dreck an. Ich bin nur hier, weil diese verfluchten Verräterelfen mich da draußen abmurksen, gar nichts, und überhaupt gar nichts anderes ist der Grund. Und du...", sie stieß ihm khre Faust gegen die Brust, Bist nur einer dieser Idioten, die glauben, die Welt funktioniere nach einer Gebrauchsanweisung."
Wütend lief sie an ihm vorbei. Der Vogel, der bis gerade noch auf seiner Hand gesessen hatte, folgte ihr. Eine seiner Federn rieselte vor ihr auf den Boden. Sie sah genauso aus, wie die, die sie vor so vielen Wochen in den Speichen ihres Fahrrads gefunden hatte.

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