Kaum zu fassen, wie still es sein konnte.
Nicht die Art von Stille, die man mit den Ohren hört, nein, nach diesen Maßstäben war es laut.
Ein anderes Hören. Danach war es still. Dem Hören, mit dem Louisan die Grotte hatte wispern hören und die Bäume.
Nach diesem Hören war es so leise, dass Louisan beinahe das Gefühl hatte, plötzlich taub zu sein. Ein ekliges Gefühl, wirklich.
Im Nebelland hatte wohl ein ständiges, unterschwelliges Summen was das anging geherrscht. Jetzt war es verschwunden, genau wie das Prickeln auf ihrer Haut, ohne dass sie sich nun beinahe nackt und schutzlos fühlte.
Das ist die richtige Welt, Louisan. Da wo du hingehörst.
Nur das sie bei "Zuhause" nicht unbedingt an New York City gedacht hatte.
Ein Taxi brauste an ihr vorbei und Wasser spritzte aus der Pfütze unter den Reifen in ihr Gesicht. Fluchend sprang Louisan zurück.
Ihre Situation war nicht ideal.
Sie stand in Jogginghose und Pullover mitten in einer fremden Großstadt, auf dem falschen Kontinent.
Mit nur drei Euro in der Tasche.
Euro.
Das lohnte sich ja nicht einmal umzuwechseln!
Missmutig zog Louisan den Kopf ein. Wie sollte sie von hier aus wieder nach Hause kommen?
Konnte sie überhaupt einfach so nach Hause?
Die Elfen würden sie suchen - sowohl die Verräter als auch Rashjas Leute. Und in der kleinen Wohnung mit dem Radiowecker würden sie als erstes suchen.
Louisan biss sich auf die Unterlippe. Warum hatte sie das nicht vorher bedacht?
Hätte das etwas an ihrer Entscheidung geändert?
Nein. Vermutlich nicht.
Erschöpft strich sie sich ihr Haar, das in den letzten Wochen strähnig geworden war, aus dem Gesicht.
Ihr Inneres fühlte sich leer und hohl an nach diesem Tag, und am liebsten würde sie sich in irgendeiner der dunklen Ecken in den Seitenstraßen verkriechen und nicht wieder herauskommen.
Nein. Dann hätte die auch gleich im Nebelland bleiben können.
Oder sonst wo.
Sie brauchte Geld. Dann konnte sie sich etwas zu essen kaufen. Und sich vielleicht ein Hotel nehmen. Irgendwo, wo niemand Fragen stellte.
Was vermutlich nicht gerade für die Qualität der Absteige sprechen würde.
Und was, wenn sie kein Geld auftreiben konnte?
Sollte sie auf einer Parkbank schlafen?
Im Vorübergehen warf sie einen Blick in ein Fenster. Es stimmte, sie sah ausgezerrt aus.
Das konnte ihr aber auch zu gute kommen. Es ließ sie älter wirken, als sie eigentlich war.
Die Leuchtreklamen über ihrem Kopf blinkten in die Nacht, hin und wieder flackerte ein Buchstabe oder verlosch vollkommen.
Irgendwie war sie in einem asiatischen Stadtviertel gelandet.
Wong Feng's Sushi Paradise, Nudeln bei Mai Lee... das waren die Namen, die die blassen Lichter in die Nacht herausschrien, in rotgelben Schnörkeln und exotischen Schriftzeichen...
Exotische Schriftzeichen?
Verdutzt lief Louisan ein paar Schritte zurück.
Tatsächlich: der Name des Ladens war auf Chinesisch verfasst. Jedenfalls glaubte Louisan, dass es Chinesisch war, sie hatte sich nie sonderlich für östliche Kultur interessiert.
Aber sie hätte schwören können, dass sie den Namen gerade in lateinischen Buchstaben gelesen hatte. Verwirrt suchte sie die Fassade des Gebäudes nach einem zweiten Schild ab, fand aber keins. Es gab nur die nichtssagenden Schriftzeichen.
Irritiert wischte sich Louisan über die Augen.
Einer Eingebung folgend drehte sie ihren Kopf zur Seite und dann blitzschnell zurück zum Schild. Wieder flammte der Name in ihrem Kopf auf als hätte sie ihn gelesen, aber als sie darüber nachdachte verschwanden die Wörter.
"Verzeihung", fragte sie einen Passanten auf Englisch, "Aber wie heißt dieser Laden?"
Der Mann blickte desinteressiert von seinem Handydisplay auf.
"Mai Lee's", nuschelte er in seinen Kragen.
"Nudeln?"
"Ja"
Kopfschüttelnd lief er weiter und ließ Louisan verwirrt stehen.Regen prasselte auf den harten Asphalt unter ihren Füßen. Wind heulte über eine leere Fläche, auf der ihm nichts wiederstand bot und grüne Blitze zuckten über einen Wolkenverhangen Himmel.
Louisan blinzelte sich das Wasser aus den Augen und beschirmte ihr Gesicht, um es vor dem Sturm zu schützen. Es war ein Fehler, an diesen Ort zu kommen, wo es nichts gab, nur Teer...
Am Horizont begann die Erde auf zu brechen. Unter düsterem Grollen lösten sich Felsbrocken voneibander und schwebten in die Höhe, wo sich die Wolken begannen, umeinander zu drehen.
Etwas zwitscherte an ihrem Ohr.
Zwitschern?
Louisan schob die Augen auf. Auf einem Ast, dicht an ihrem Kopf, saß ein kleiner, brauner Vogel und sang.
Stöhnend zog Louisan sich auf die Knie. Sie hatte die Nacht im nassen Gras unter einem Busch verbracht. Ihre Gelenke fühlten sich wie eingerostet an und ihr Magen knurrte Erbarmungslos.
Was war das bloß für ein Traum gewesen.
Leise fluchend wischte sie sich über das Gesicht. Mittlerweile was sie sich fast sicher, dass ihr Erlebnis mit den chinesischen Schriftzeichen gestern auf ihre angeblichen Gaben zurückzführen war.
Wenn jemand Bäume flüstern hörte und angeblich magische Runen lesen konnte war es wohl nur recht und billig, dass er auch asiatische Schriftzeichen verstand.
Das würde sie wohl nie mehr los werden.
Schimpfend zog sie an einem Holzstück, dass sich in ihren Haaren verknotet hatte.
Wenn sie wenigstens an Essen kommen könnte.
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Elfentraum
Fantasy"Das war ein Fehler", der Magier zu ihrer Rechten blickte immer noch auf die Stelle, auf der bis vor zwei Minuten noch zwei verängstigte Kinder gezittert hatten, "sie sind klein und schwach. Sie sind Menschen. Was können wir von ihnen erwarten?" "Da...