Mit schweißnassen Handflächen kroch Louisan über das Metall, dass sich viel zu glitschig unter ihren rutschigen Fingern anfühlte, als dass sie hätte schnell vorwärts kommen können.
Dabei hatte sie wenig Zeit. Nach Rashjas Plan hätten sie und Finn möglichst bald nach Beginn des Angriffs im Raum der Anführer sein sollen.
Er hatte nicht eingeplant, dass sie wertvolle Zeit mit dem Befreien von menschlichen Gefangenen verbringen würde.
Und auch nicht, dass Louisan den mächtigsten Verrätern überhaupt alleine gegenüber treten würde.
Oh Gott. Wo war sie da bloß hineingeraten.
Die hämische Stimme in ihrem Kopf, die normalerweiße immer kurz vor Mathearbeiten erwachte, war sich sicher, dass sie dummes Mädchen geradewegs in ihre eigene Hinrichtung lief, und Louisan war mehr als gewillt ihr zu glauben.
Ihre Chancen standen unterirdisch schlecht. Aber sie hatte Finn zurücklassen müssen."Das können wir nicht tun", hatte Finn gesagt, als sie ihm von ihrem Plan erzählt hatte, die Gefangenen nach Hause zu schicken, indem sie ihre Portalkugel opferten, "Denk nach Louisan! Dass ist auch unsere Fahrkarte nach Hause. Unsere Einzige vielleicht!"
Natürlich hatte er Recht gehabt.Aber gerade, als Louisan gedacht hatte, es gäbe keine Lösung für ihr Problem, war ihr eingefallen, was der Magier ihr erklärt hatte, als er ihr die Kugel gegeben hatte: Das Portal würde so lange offen bleiben, wie enrweder sie oder Finn im selben Raum wie es waren.
Das bedeutete, sie konnten die Gefangenen nach Hause schicken, und ihnen dann später folgen. Aber der Preis dafür war, dass einer im Käfigraum zurückbleiben musste und der andere den Kampf alleine zu kämpfen hatte.
Und dieser jemand war Louisan. Schließlich war sie diejenige, die die Erinnerungen Washingtons in sich trug, und sie war auch die Einzige, die sie ihm zeigen konnte.
Finn war alles andere als glücklich darüber gewesen.
Und Louisan erst recht nicht.
Aber es musste sein.
Aus dem Raum hinter dem nächsten Lüftungsgitter erklangen Stimmen. Louisan erkannte Washingtons sofort. Schneidend wie ein kaltes Messer durchbrach es den allgemeinen Geräuschteppich während er Befehle gab.
"Versetzt die fünfte Einheit ins dritte Stockwerk. Ich habe so eine Ahnung, die Männer der Königin werden sich im diese Richtung bewegen. Sind die beiden Wunderkinder schon gesichtet worden?"
Er sprach das Wort aus, als wäre es ein besonders guter Witz.
Louisan verzog säuerlich ihren Mundwinkel.
Der Stimme nach zu urteilen befand er sich ein Stück vom Lüftungsschacht entfernt. Das war ungünstig.
Vorsichtig lugte sie durch das Gitter. Er stand am Kopfende eines Tisches.
Zehn andere Elfen umgaben ihn.
Zehn.
Alles gut. Alles, was du tun musst, ist ihn zu berühren und die Erinnerung zu transferieren. Das geht schnell.
Aber was war mit den anderen zehn? Würden sie sie nicht abstechen, egal, wie dieser Plan ausging.
Ihr Herz schlug so hart gegen ihren Brustkorb, dass es wehtat.
Würde es genauso hysterisch das Blut aus ihrem Körper herauspumpen, sobald die Elfen erstmal ein großgenuges Loch in ihre Haut gerissen hatten?
Dummes Ding!
Adè, du schöne Welt.
War jetzt vielleicht der richtige Augenblick, nocheinmal einen letzten Gedanken zu formulieren?
Jetzt, wo sie noch Zeit hatte?
Aber ihr Kopf war wie leergefegt.
Es hätte ohnehin niemand etwas davon gehabt.
Sie hätte sich gerne von ihrer Mutter verabschiedet.
Hätte ihr gesagt, dass sie nicht alleine bleiben sollte.
Dass sie, jetzt, wo nicht nur der Vater ihrer Tochter sondern auch die Tochter selber ohne viele Worte verschwunden war, Ausschau nach jemandem neuem halten sollte.
Jemand, der sie genauso wenig verlassen würde wie der menschliche Rashja das Mädchen in seinem Amulett.
Nur eben ohne den ganzen Elfenärger.
Mit einem zittrigen Gefühl der leere trat sie das Gitter ein.Mit ziemlicher Sicherheit schrien die Anwesenden im Raum irgendetwas, als sie wie eine üble Weihnachtsüberraschung auf dem Tisch landete, aber sie registrierte es nicht.
Sie hörte nur ein dumpfes Rauschen.
Das Rauschen ihres eigenen Blutes?
Vielleicht.
Washington war direkt vor ihr.
Sie musste ihn erreichen. Das war alles, was jetzt zählte.
Das war alles, was überhaupt noch zählte.
Was auch immer danach geschehen würde, würde danach geschehen.
Augenblicklich sprangen zwei der Elfen im Raum auf sie zu.
Louisan stieß sich mit den Beinen ab, und schlitterte unter ihnen hinweg, aber ein dritter nagelte ihre Schulter mit einem Messer an das Holz.
Louisan schrie auf.
Ein weiterer Elf hieb auf sie ein.
Mit einem Schrei riss Louisan ihr Bein hoch, um ihm das Messer aus der Hand zu treten.
Mit zitternden Fingern tastete sie nach dem Dolch in ihrem Fleisch und zog ihn mit einem Ruck heraus.
Es ziepte kurz.
Vermutlich tat es sogar noch mehr weh, aber Louisans mit Adrenalin vollgepumptes Gehirn nahm es nicht war.
Der Raum begann zu verschwimmen.
Ihr Bewusstsein driftete in die Kampftrance ab. Nach kurzem Zögern ließ sie es geschehen, in der Hoffnung, die Kontrolle zurückgewinnen zu können, sobald sie musste.
Alles verschwamm zu einzelnen Bilder.
Ein Elf. Ein zweiter. Messer, die blitzen.
Blut.
Klares, warmes, dass ihr ins Gesicht spritzte.
Aber auch rotes.
Überall rot.
So viel.
Irgendwo am Rand ihres Bewusstsein hörte sie Brüllen.
Schmerzerfüllt?
Washingtons Gesicht.
Washingtons Gesicht!
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Elfentraum
Fantasy"Das war ein Fehler", der Magier zu ihrer Rechten blickte immer noch auf die Stelle, auf der bis vor zwei Minuten noch zwei verängstigte Kinder gezittert hatten, "sie sind klein und schwach. Sie sind Menschen. Was können wir von ihnen erwarten?" "Da...