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"Louisan! Louisan, wach auf!"
Jemand rief ihren Namen. Leise, aber eindringlich. Wer konnte das sein?
"Louisan!"
Das war nicht Finn. Finns Stimme war lange nicht so rau.
Es klang nach Rashja. Aber irgendetwas daran klang falsch...
Vorsichtig blinzelte sie. Das Raubvogelgesicht mit den stechend blauen Augen schwebte über ihrem.
"Hast du mich gerade 'Louisan' genannt?", krächtzte sie schwach.
"Ich dachte, vielleicht hörst du mich dann eher, Menschenmädchen", der Elf lächelte erleichtert.
"Was ist passiert?", sie versuchte sich aufzurichten, aber Rashja drückte sie zurück auf ihr Lager.
Sand war das nicht mehr, auf dem sie lag.
"Wo bin ich?"
"In unserer Krankenstation. Wir sind sicher. Keine Angst."
"Wo ist Finn?"
"Es geht ihm gut. Er hat einen Kratzer auf der Wange abbekommen, aber er hat sich gut geschlagen. Ihr beide habt euch gut geschlagen", fügte er sanft hinzu.
"Ich habe eigentlich nichts großartiges gemacht..."
"Oh, du hättest das Gesicht der Verräter sehen müssen, als du angefangen hast unter ihnen zu wüten", der Elf lachte leise.
Dann wurde seine Stimme wieder ernst.
"Dieser Zwischenfall ist besorgniserregend. Sie haben es noch nie so nahe an uns heran geschafft. Nicht nur das, sie wissen jetzt, dass ihr hier seid. Und weil ihr das Mittel zu ihrer Vernichtung darstellt, werden sie nur umso agressiver agieren..."
Louisan stöhnte. Der Gedanke gefiel ihr nicht.
"Wie soll ich das schaffen? Ich kann nichts. Nichts von dem was du uns bei bringst."
"Du hast mit dem Bogen geschossen, oder etwa nicht?"
"Aber meilenweit daneben!"
"Menschenmädchen", Rashja legte ihr die Hand auf die Schulter, um sie daran zu hindern sich wieder aufzurichten, "Mein Unterricht zeigt bei dir keine all zu große Wirkung, dass ist wahr. Aber das hat nur einen Grund", er beugte sich tiefer zu ihr herab, "Du hast ihn nicht nötig. Alles, was du können musst, hast du schon bei dir."

"Ich werde das nicht anziehen", energisch schob Louisan die prächtig gefärbte Robe zurück in dem Arm der zierligen Elfe.
"Aber die Königin hat angeordnet..." piepste die zurück.
"Es ist mir egal, was die Königin anordnet, sie kennt meine Bedingung. Ich werde das nicht anziehen!"
Die Elfe lief so rot an, dass man ihr Gesicht kaum von der Farbe des Stoffes unterscheiden konnte. Wahrscheinlich hatte Louisan gerade Majestätsbeleidigung begangen oder so etwas in der Art.
"Wer bist du überhaupt", misstrauisch beäugte sie das Mädchen. Ihr war noch keine so kleine Elfe untergekommen.
"Ich bin Nadja", ihr Gesicht färbte sich, falls das überhaupt möglich war, noch ein Stückchen dunkler, "Ich bin Schneidergehilfin."
"Aha".
Bisher waren Louisan nur Krieger, Könige und Magier untergekommen. Der Gedanke, dass es im Nebelland auch normal arbeitende Leure geben musste, war ihr noch gar nicht gekommen. War dieses Bedauernswerte Geschöpf eines Tages aus dem Nebel herausgetreten mit dem Wissen, für den Rest ihres Lebens Schneidergehilfin zu sein? Galt dasselbe auch für Schuhputzer? Oder die richtig unangenehmen Jobs?
Was war das für eine Gesellschaft, die ein Individuum einfach so, ohne zu fragen, an einen Ort setzte und ihm verbot diesen je wieder zu verlassen?
Schaudernd erinnerte sie sich daran, dass sie ihr eigenes Schicksal in die Hände genau dieser Gesellschaft gelegt hatte.
"Hat die Königin wenigstens gesagt, wo hin wir gehen?", erkundigte sie sich mit belegter Stimme.
"Zu den südlichen Palästen", Nadja blinzelte verwirrt, "Der Rat sagt, es ist Zeit."
"Zeit wofür?"
"Zeit für...", Nadja warf einen hastigen Blick über ihre Schulter und senkte dann verschwörerisch ihre Stimme, "Zeit für den nächsten Schritt."
"Der nächste Schritt also, ja?", Finn trat wie immer wie aus dem nichts aus dem Schatten hervor.
Nadja quickte erschrocken auf und ließ die Robe fallen. Unter gestammelten Entschuldigungen fiel sie auf die Knie um das viellagige Kleidungsstück wieder auf zu klauben.
Finn blickte argwöhnisch auf sie herab.
"Musstest du sie so erschrecken?", schimpfte Louisan und ging in die Hocke, um dem verängstigten Mädchen zu helfen. Nadja presste die Robe an ihre Brust als wäre es ihr Leben und huschte dann zurück auf den Gang.
"Sie wollte dich für den nächsten Schritt abholen, ja?" keifte Finn.
"Nein! Sie ist nur irgendeine kleine Schneidergehilfin!"
"Es sind alles Elfen!"
"Sie hat es sich nicht ausgesucht. Außerdem, vor drei Tagen hast du diesen "Elfen" noch sehr enthusiastisch geholfen ihre Basis zu verteidigen!", giftete Louisan zurück.
"Ich weiß", er senkte den Blick, "Es ist nur...", er sah den Gang hinunter, in dem Nadja gerade verschwunden war, "Was ist, wenn wir irgendwann genauso enden wie sie? Wer weiß, was dieser nächste Schritt ist?"
"Du meinst...", Louisans Stimme stockte.
"Ich meine gar nichts! Ich sage ja nur... wir wissen, wozu diese Leute Fähig sind, Louisan! Tu nicht so, als hättest du es vergessen!", und seine blauen Augen leuchteten im Dunkeln als wollten sie ihm Recht geben.

Nervös ließ Louisan ihren Zeigefinger um das Tatoo auf ihrem Handgelenk kreisen. Finns Andeutung ging ihr nicht mehr aus dem Kopf? Was, wenn sie am Ende dieses ganzen Prozesses selber eine Elfe sein würde? Immerhin, der zweite Teil der sogenannten Prophezeiung war sehr vage gehalten, und wenn man ihn in eine gewisse Richtung interpretierte könnte man durchaus auf die Idee kommen...
Sie war alleine in einem dunklen Wald. Nur der Magier lief vor ihr her, was nicht gerade zu ihrer Beruhigung beitrug... das letzte Mal hatte er versucht, sie im Wald aus zu setzten. Louisan hätte gerne wenigstens Rashja bei sich gehabt, aber der war mit Finn einen anderen Weg entlang gegangen. Im stillen wünschte sie ihrem Freund viel Glück und hoffte innigst, dass er dasselbe auch für sie tat - sie hatte das vage Gefühl, es brauchen zu können.
"Da wären wir", krächzte der kleine Mann und drehte sich zu ihr um. Seine Augen glitzerten gefährlich, "triff deine Bestimmung, Menschenkind"

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