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Die Winkel der Trainingsgrotte waren düster und kalt.
Louisan lag auf der Seite und hatte ihre Arme um ihren Körper geschlungen.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand nachhaltig Schaden genommen hatte - alle außer der Dienerin natürlich - und die Verräter zurückgeschlagen worden waren, war sie hierher zurückgekehrt.
Es war doch egal, dass die Elfen wussten, dass sie hier war.
Im Grunde war doch überhaupt alles egal.
Sie drehte sich auf den Rücken, aber das Bild von dem Blutbad, dass sie in der Halle erwartet hatte, als sie sich mit den überlebenden Elfen aus der Kammer heraus gewagt hatte, ließ sich nicht vertreiben.
Hatte sie Rashja vorhin nicht noch vorgeworfen, das Nebelland gleiche einem totalitären Regime?
Ja, das hatte sie.
Und es stimmte.
Aber die Verräter hatten dutzende, wehrlose Lebewesen niedergemetzelt. Die wenigsten der Gäste waren Krieger gewesen. Und die, die es waren, hatten kaum Waffen bei sich getragen.
"In was bist du da bloß hineingeraten", flüsterte sie sich selber zu.
Der Blick der Frau, die unter ihren Händen gestorben war, blitzte in der Schwärze auf, jedes Mal, wenn sie die Augen schloss.

Der Wind rauschte in den Bäumen, lauter als sonst, als habe auch er sich dazu entschlossen, sie unter keinen Umständen schlafen zu lassen. Als könnte es im Schlaf noch schlimmer werden.
Alpträume? Jeder andere hätte sich jetzt vermutlich darüber Sorgen gemacht.
Aber Alpträume waren ja ohnehin unvermeidbar, wenn Spitzohrige Arschlöcher anfingen, einem im Leben herum zu pfuschen.
Nein. Das war es nicht. Das war nicht, was der Wind von ihr wollte. Es war vielmehr wie das Wispern wortloser Stimmen. Fast wie in der Grotte...
In der Grotte?
Mit einem Mal saß Louisan kerzengerade auf ihrer Bank und lauschte. Konnte das sein?
Laut Rashja überstiegen ihre Fähigkeiten ihre eigene Einschätzung bei weitem. Sprach der Wald mit ihr?
Verlor sie den Verstand?
Mit einem mulmigen Kribbeln im Magen schloss sie ihre Augen und atmete langsamer. Ihr Blut rauschte laut in ihren Ohren, aber darunter vernahm sie es ganz deutlich.
Nach draußen. Die Stimmen sagten ihr, sie solle nach draußen gehen.
Mit klopfenem Herzen schob Louisan die dünne Decke, die sie in einem der Spinde gefunden hatte, bei Seite und schlich barfuß über den kalten Stein auf den Ausgang zu. Mit spitzen Fingern schob sie die Stahltür auf, gerade weit genug, um durch den Spalt etwas sehen zu können.

Im fahlen Mondlicht standen zwei Elfen, die gespannte Bögen mit eingelegten Pfeilen trugen. Gehüllt waren sie in die schwarze Uniform der Krieger, die auch Rashja trug.
Vor ihnen auf dem Boden kauerten zwei Gestalten, beide in der Tracht einer Dienerin.
Louisan erkannte erst auf den zweiten Blick, dass die Hände der beiden gefesselt waren.
Die Elfe, die näher an ihr dran saß und die in weiß gekleidet war wie die Dienerinnen beim Fest, schluchzte hemmungslos, während die neben ihr, in rosè, die Augen offenbar geschlossen und den Kopf zum Boden gesenkt hielt.
Bevor Louisan überhaupt dazu kam, sich irgendeinen Gedanken zu dieser äußerst merkwürdigen Szene zu machen, begann der linke Krieger zu sprechen: "Du bist des Verrates angeklagt", sagte er ruhig, "Du bist angeklagt, den verabscheuten Verrätern unseres Volkes Informationen zu gespielt zu haben, die den heutigen Angriff und den Mord an zahlreichen wehrlosen Elfen möglich gemacht haben. Gestehst du?"
Die Elfe in rosè drehte ihren Kopf noch ein bisschen weiter von dem Krieger weg, dessen Pfeil auf ihren Kopf gerichtet war.
Ihre weiße Kollegin schluchzte noch etwas lauter.
"Gestehst du!?", rief der Krieger jetzt mit etwas mehr Nachdruck.
Ein Ruck ging durch den Körper der rosè Elfe, und in einer fast trotzigen Bewegung sah sie auf.
Mit Schrecken erkannte Louisan Nadja, die Schneidergehilfin, mit der sie vor ein paar Wochen gesprochen hatte.
"Ja ich habe es getan", sagte sie mit erstickter Stimme, und Louisan erkannte, dass auch an ihren, in diesem Licht beinahe weißen Wangen Tränen hinunterliefen, "Ich habe es getan", leise Schluchzer schüttelten die Schultern der zierlichen Elfe, "Und wollt ihr wissen wieso? Wollt ihr wissen, wie es sich anfühlt, als Dreck geboren zu werden?", brach es aus ihr heraus, "Mein ganzes Leben lang war alles, was ich war, jemand, der anderen ihre Sachen hinter her trägt. Ich habe nie Dank erhalten. Nie irgendein Zeichen, dass ich wichtig bin. Für euch. Für die, die mehr Glück gehabt haben. Ich bin ersetzbar", die letzten Worte spuckte sie förmlich aus.
"Einige der Elfen, die heute gestorben sind, wird niemand vermissen, weil sie nichts sind als nützliche Schatten", fügte sie leise hinzu, so leise, dass Louisan sie fast nicht verstehen konnte, "Ihr werdet mich jetzt töten. Und mich wird niemand vermissen."
"Niemand vermisst eine Verräterin", erwiderte der Krieger kühl und ließ die Sehne seines Bogens loß. Der Pfeil bohrte sich mit einem häßlichen Singen in Nadjas Stirn.
Die Weiße schrie laut und angstvoll auf, als der sterbende Körper zur Seite kippte.
"Du bist angeklagt", wiederholte der rechte Krieger, dessen Pfeil auf die Weiße deutete ebendso ruhig wie sein Kollege, aber die Angeklagte unterbrach ihn:
"Bitte!", schrie sie wie von Sinnen, "Ich habe nie ein Verbrechen begangen, nicht gegen mein Land, die Königin oder die Ordnung! Bitte! Ich bin unschuldig!"
"Du bist mit dieser Verräterin im Bunde. Unsere Quellen berichten, dass du ihre Meinung über die Ordnung teilst. Du begehrst einen anderen Platz in der Welt als den, den die Ordnung dir zuschreibt."
"Nein, nein, dass ist nicht war", die Stimme der Frau überschlug sich vor Panik, "Ich liebe meine Bestimmung, ich würde niemals etwas anderes verlangen! Ich hatte doch keine Ahnung, dass..."
"Das was? Ist das ein Geständnis?"
"Nein! Nein! Ich hatte doch keine Ahnung, dass sie eine Verräterin ist! Wenn ich es gewusst hätte... ich bin unschuldig!"
"Also hast du dir etwas zu schulde kommen lassen, hast die Verräterin neben dir unterstützt?"
"Nein! Niemals!", die Stimme der Frau schraubte sich in die Höhe, als sie um Vergebung flehte.
"Unwissenheit schützt vor Strafe nicht", erwiderte der Soldat.
Der letzte Schrei der Frau zerriss Louisan beinahe das Trommelfell.
Den Pfeil hätte man genau so gut auf ihr eigenes Herz abfeuern können.

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