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"Die Verräter haben ihre Basis nach unserem letzten Angriff verlegt, aber unseren Spionen ist es gelungen, ihre Bewegung unbemerkt zu verfolgen. Wir kennen ihren genauen Standort, ohne dass sie es ahnen. Das verschafft uns einen entscheidenden Vorteil. Und den müssen wir nutzen", Rashja fuhr mit seinem Finger über einen Plan, der auf dem Kabinenboden ausgebreitet lag.
Die ganze Situation erinnerte grotesk an eine Teambesprechung während einer Fußballhalbzeit. Dabei planten sie eine Attacke, die sie alle ihr Leben kosten konnte.
Louisan saß mit angezogenen Knien auf der Bank, auf der sie nachts schlief, Finn hockte stirnrunzelnd neben ihr.
"Du hast uns in deinem Plan bisher nicht erwähnt", unterbrach er Rashjas Ausführung, "Wenn wir nicht an der Schlacht teilnehmen, warum sind wir dann bei der Besprechung?"
"Oh, ihr seid dabei", Rashja rollte das Blatt Papier zusammen, während die Versammlung sich auflöste, "Aber das wollte ich gesondert mit euch klären."
Seine blauen Augen nahmen eine schärfere Schattierung an, "Ich kenne euch beide jetzt schon eine Weile. Ich habe euch trainiert so gut ich konnte. Und jetzt wird es ernst", er sah sie an, "Das hier wird der finale Schlag."
"Was?", Louisan fühlte sich, als würde jemand aus dem Nichts heraus Eiswürfel in ihr Gehirn schütten.
Ein Schauder lief ihren Rücken hinunter.
"Der Plan sieht vor, dass ihr zwei alleine in das Herz der Basis eindringt. Ich möchte, dass ihr die Führungsriege ausschaltet."
Auch Finn schien ein wenig blasser zu werden.
"Aber das könnte heißen, dass wir alleine einer imensen Zahl von Bodyguards oder sonst was gegenüberstehen... die Anführer werden garantiert nicht ohne Schutz in irgendeinem Salon oder so herumlungern..."
"Ihr seid die Auserwählten", unterbrach Rashja ihn, "Das Nebelland vertraut darauf, dass ihr das fertigbringt. Und ich... ich glaube daran."
Er stand auf.
"Bereitet euch vor. Im Morgengrauen brechen wir auf."

"Warum genau müssen wir nochmal in diesen verdammten Wald? Und dazu noch bei Nacht?", fluchte Finn hinter ihr.
"Ich habe dir gesagt, du kannst gerne im Bett bleiben", antwortete Louisan genervt.
Die Idee, die sie jetzt verfolgte, hatte schon einige Tage in ihr gereift, und jetzt war wohl die Zeit gekommen, sie umzusetzten.
Sie war in der Lage, die Vergangenheit der Elfen aus den Runen herauszulesen.
Und sie konnte diese Visionen, wie neuste Entwicklungen zeigten, auch in die Köpfe anderer transferieren.
Was wäre also, wenn sie die Erinnerungen, die der Stein ihr zeigte, an den Anführer der Verräter weiterleiten würde?
Würde er nicht von den Menschen, zu denen er selbet einst gehört hatte, ablassen?
Und das war schließlich alles, was Louisan und Finn erreichen wollten. Danach konnten sie sich absetzen. Wieder ihr Leben leben.
Die Ruhnenhöhle kam vor ihnen in Sicht.
"Und du bist sicher, das du es schaffst?", Finn schlug argwöhnisch ein Farnblatt aus dem Weg.
"So ziemlich."
Louisan hatte zwar ein recht gutes Gefühl, was ihre Idee anging, allerdings hatte sie auch noch nie speziell nach einem Elf in den Runen gesucht.
Sie atmete tief ein. Es blieb nur zu hoffen, dass sie das hier schaffte.

Die Sonne stieg als wässrige Scheibe aus dem Nebel, der dieses Land in alle Ewigkeit gefangen hielt, auf.
Louisan und Finn standen Seite an Seite in einer Reihe von schwarz gekleideten Elfensoldaten.
Sie beide trugen auch schwarz - wenn auch nicht die Kampfroben ihrer Mitstreiter.
"Also noch einmal. Wir beginnen eine Attacke an allen Eingängen. Ihr beide werdet die Ablenkung, die dadurch entsteht, nutzen, um ihre Anführer auszuschalten. Verstanden?", stellte Rashja ein letztes Mal klar.
"Verstanden!", Finn antwortete für sie beide.
Louisan spürte ein Rumoren in ihrer Magengegend.
Die Leute sagten immer, Liebe verursache Schmetterlinge im Bauch.
Louisan war sich mittlerweile fast sicher, dass Angst, gepaart mit der schalen Vorfreude auf das, was nach dem Kampf kam, sofern sie ihn überlebte, ungefähr dieselbe Wirkung hatte.
War das auch der Grund, aus dem ihre Beine sich wie Knetgummi anfühlten?
Kopf hoch, Mädchen. Das ist nicht dein erster Kampf!
Nein, das war es nicht. Aber es hatte sich auch noch nie so endgültig angegühlt wie heute.
Was, wenn sie in eine Falle liefen?
Wenn sie und Finn es nicht schafften?
Wenn ihr Fluchtplan aufflog?
Louisan hatte den Magier in der vorherigen Nacht nocheinmal aufgesucht.
Nachdem sie seine menschlichem Erinnerungen gesehen hatte, war sie sich nun ziemlich sicher, dass er auf seine Art und Weise immer nur versucht hatte, ihr zu helfen.
Er hatte ihr eine Kugel gegeben.
Wenn sie sie warf, würde ein Portal entstehen, dass sie zurück zur Erde bringen würde.
Sie spürte Finn neben sich atmen, und fragte sich, ob ihm dieselben Zweifel durch den Kopf rannen wie ihr.
Sie hätte so gerne seine Hand gehalten.
Aber jetzt musste sie stark sein, eine Kriegerin sein. Ein letztes Mal.
Vor ihnen öffnete sich das Portal, dass die zu ihrem letzten Schlachtfeld führen würde.
Sie schloss die Augen und ging in ihrem Kopf noch einmal die Dinge, die sie gestern in der Runenhöhle gesehen hatte, durch.
Alles oder nichts.

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