"Hey, Kleine! Lauf rüber zu Wan und sag ihm, wir hätten gerne noch mehr von dem Zeug!", rief einer der alten, leicht verwahrlost aussehenden Männer vom Ecktisch zur Theke hinüber.
Louisan zog ihre Arme aus dem Spülbecken.
"Wenn du noch lauter schreist, kommt gleich die Bedingung von gegenüber angerannt!", raunzte sie zurück.
"Is ja schon gut", der Alte winkte ab.
Marty war sein Name, und er gehörte zu der kleinen Gruppe von Stammgästen, die Wan in seinem Imbiss hatte. Sie tauchten jeden Tag um dreizehn Uhr auf und blieben bis sechs.
Allerdings waren sie auch die einzigen, die diesen Laden jemals betraten.
"Weißt du, Süße", Scotty, der heruntergekommenste der Truppe, beugte sich vor, "Es ist ein Jammer, das so jemand wie du in so einer Drecksbude die Teller wäscht. Du hättest so viel Potenzial, ich habe ein Gespür für sowas. Meine Jungs haben momentan dieses Ding am laufen, weißt du, und wenn du einsteigst könnte noch einiges dabei für dich rausspringen..."
"Scott, wie oft habe ich dir gesagt, zieh meine Leute nicht in deine Geschäfte hinein", Wan war aus der Küche herausgetreten und wischte sich seine Hände an der Schürze ab.
"Ach, wo", Scott hob abwehrend die Hand, "Ich habe lediglich ein Angebot unterbreiter. Das Leben ist hart auf der Straße, wie du weißt."
"Ich bin aber nicht auf der Straße", erwiderte Louisan kühl.
Seit ungefähr drei Wochen wohnte sie jetzt schon bei Wan und den Kindern. Um sich für die Unterkunft erkenntlich zu zeigen, hatte sie angefangen im Imbiss zu helfen.
"Na komm schon Süße, du willst mir nicht ernsthaft erzählen, dass du dir das hier für dein restliches Leben erhoffst", Scotty deutete mit ausladender Handbewegung auf das schäbige Möbiliar, "Du bist doch jung! Du hast doch Träume, nicht wahr? Stell dir vor, was du alles erreichen könntest!"
"Vorübergehend wäre ich zufrieden, wenn niemand stirbt", bemerkte Louisan trocken und hängte ihre Schürze an den Gaderobenhaken neben der Küchentür. Sie hatte genug für heute.In dem kleinen Zimmer, in dem sie zusammen mit den Kindern wohnte, war es die meiste Zeit des Tages über schummrig, aber jetzt strahlte die Sonne hell durch das schmutzige Fenster herein.
Auf der Fensterbank hockte Timothy und spielte mit einem lädierten Jojo. Nala versuchte, die Staubkörner im Sonnenlicht zu fangen.
"Na, du kleine Löwin?", Louisan setzte sich neben sie. Sie hatte in der letzten Zeit nicht viel über die Herkunft der Geschwister erfahren, aber so viel wusste sie: Die Eltern der beiden waren früh gestorben und Timothy hatte sich mit seiner kleinen Schwester alleine durchgeschlagen. Es war gut möglich, dass sie einmal einen anderen Namen gehabt hatte, aber ihr Bruder hatte sie "Nala" getauft, nach der Figur aus dem Kinderfilm "König der Löwen". Warum hatte er nicht direkt gesagt, aber Louisan ahnte seine Beweggründe in seinen Augen, wenn er sprach: Seine hilflose Schwester sollte einen starken Namen haben.
Hinter seiner agressiven und mürrischen Schale war dieser Junge viel erwachsener, als er es in seinem Alter sein sollte.
Er hatte es wohl immer sein müssen.
Louisan dachte zurück an ihre eigene Kindheit, in einem sicheren Haus, mit einer Mutter, die immer für sie da gewesen war. Gut, es hatte da diesen unerfreulichen Zwischenfall gegeben, aber an den konnte sie sich nicht erinnern.
Seit sie hier war ließ der Gedanke sie nicht los, dass andere um einiges mehr Pech gehabt hatten als sie selbst.
Ein fröhliches Quitschen von Nala riss sie aus ihren Grübeleien. Das Mädchen war ihr auf den Schoß geklettert und zog sie vorsichtig am Arm. Ihre Augen blickte erwartungsvoll.
"Ich soll dir eine Geschichte erzählen?", Louisan strich ihr sanft übers Haar. Aus irgendeinem Grund wusste sie immer genau, was Nala von ihr wollte.
"Also gut, dann hör zu", begann sie, und ohne hinzusehen wusste sie, dass auch Timothy heimlich die Ohren spitzte.Irgendetwas stimmte nicht.
Wie nach einem schlechten Traum fuhr Louisan aus dem Schlaf hoch. Es war still im Haus, nur Timothy und Nala lagen gleichmäßig atmend an ihrer Seite.
Timothy sah im Schlaf so viel jünger aus. Vermutlich, weil die Falten auf seiner Stirn sich glätteten, wenn er träumte.
Louisan ließ ihren Blick durch das dunkle Zimmer wandern.
Irgendetwas hatte sie geweckt, aber was?
Es konnte kein Geräusch gewesen sein, nein, es war vielmehr ein Gefühl, ein Kribbeln auf ihrer Haut...
Eiskalt fuhr die Erkenntnis in ihre Glieder.
Elfen.
Sie hatten sie gefunden.
Waren es Rashjas Leute oder die Verräter?
Und ganz gleich, wer es war, was würden sie mit Wan und den Kindern machen?
Panisch sprang Louisan auf. Im ganzen Raum gab es nichts, was man als Waffe benutzen könnte. Aber nebenan...
Vorsichtig schob sie die Tür auf. Das Flimmern der Portale, die die Verräter benutzten, erfüllte die Küche.
Leise, ganz leise, ließ Louisan sich auf die Knie nieder und kroch in der Deckung einer dee Theken durch den Raum. Sie musste die Elfen von hier weglocken.
Am besten, sie erregte deren Aufmerksamkeit und floh dann durch die Hintertür.
Auf den Straßen, weit weg von Timothy und Nala konnte ihretwegen gerne ein Kampf stattfinden.
Aber würde das nicht die Truppen des Nebellandes auf den Plan rufen?
Louisan biss sich auf die Lippen. Sie würde für ihre Freiheit kämpfen. Egal gegen wen.
Das wird dein Untergang, bemerkte die Stimme in ihrem Kopf.
Na und? Antwortete Louisan.
Sie schob ihre Hand zur Ablagefläche empor und tastete nach dem Messer, dass dort noch liegen musste.
Ihre Finger fanden den kühlen Griff und umschlossen ihn, so fest, das es beinahe wehtat.
Louisan schloss die Augen und begann, leise zu zählen.
Bei drei sprang sie brüllend auf und schleuderte das Messer, einem der Eindringlinge entgegen, so wie Rashja es ihr beigebracht hatte.
Die Schneide nagelte seine Hand an die Wand.
Der Elf, schrie auf. Dann fasste er sich wieder.
"Das ist sie!", rief er, "lasst sie nicht entkommen!"
Louisan lief ein paar Schritte rückwärts und wirbelte dann herum, in der festen Absicht, aus dem Fenster zu springen und über die Straße zu entkommen, als vor ihr eine Flammenwand empor schoss.
Die Hitze versenkte ihr die Augenbrauen.
Schreiend stolperte sie zurück. Kräftige Hände griffen nach ihren Armen.
"Wir haben dazu gelernt, Menschenkind", höhnte eine Stimme an ihrem Ohr, "Du magst eine tödliche Kämpferin sein, aber feuerfest bist du nicht."
Aus den Augenwinkeln konnte sie Geräte erkennen, die entfernt an Flammenwerfer erinnerten.
Die Elfen drückten sie zu Boden. Wütend bäumte Louisan sich auf, aber es waren zu viele. Panik schwoll langsam in ihrer Brust an. Würden sie sie jetzt töten?
Die Küchentür quitschte. Das leise Tappen von Kinderfüßen auf Bodenfliesen.
Nein.
"Louisan?", Timothy klang so verschlafen, wie man nur um drei Uhr nachts klingen konnte, "Was ist pa..."
Die Stimme des Jungen brach ab, als er das Feuer sah, das schon an der Decke des maroden Hauses leckte und die bewaffneten Männer, die seine Mittbewohnerin zu Boden drückte.
"Nala!", schrie er schrill wie eine Sirene und schlug die Tür wieder zu.
Er würde versuchen, mit seiner Schwester hier heraus zu kommen.
"Hohl ihn dir!", zischte einer der Elfen zu einem anderen.
Für einen Moment waren die Angreifer abgelenkt.
Brüllend warf Louisan sich nach hinten und diesmal, diesmal kam sie frei.
Krachend wurde die Tür zu Wans Zimmer aufgetreten und der alte Mann stürmte mit seiner Schrotflinte heraus.
"Verschwinden sie aus meinem Laden!", rief er.
Das Feuer breitete sich aus, das Dach knirschte bedenklich.
Louisan schlug und trat um sich, sie war sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt etwas traf.
Die einzigen Dinge, an die sie sich später erinnerte, waren, dass sich ihre Zähne irgendwann im Laufe des Kampfes in stickigen, schwarzen Stoff gruben, und das das eine kalte Klinge einen Spalt in ihre rechte Wange riss.
Kampfgeräusche nahm sie nur am Rande ihres Bewusstseins war. Wan musste sich vor der Tür der Kinder postiert haben.
Das Feuer kam immer näher.
Louisan hörte Wan aufschreien, begleitet von einem hässlichen Knacken. Die dünnen Wände des Raumes gaben unter der Hitze nach wie Papier.
Es wird einstürzen.
Für einen Augenblick erstarrte sie angesichts dieser Erkenntnis.
Einen Augenblick zu lange.
Wie auf ein Zeichen stürzten sich alle Elfen auf einmal auf sie. Irgendeiner hieb nach ihrem Kopf. Er traf.
Das letzte, was Louisan sah, waren die leblosen Augen eines kleinen Jungen, der unter den Trümmern einer Geschirrspülmaschine lag kurz, bevor die Flammen ihn verschlangen.
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Elfentraum
Fantasy"Das war ein Fehler", der Magier zu ihrer Rechten blickte immer noch auf die Stelle, auf der bis vor zwei Minuten noch zwei verängstigte Kinder gezittert hatten, "sie sind klein und schwach. Sie sind Menschen. Was können wir von ihnen erwarten?" "Da...