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Die Sonne schien in die Arena hinein, die um einiges voller war als Louisan es gewohnt war.
Die Elfen bereiteten sich auf das Finale vor.
Louisan lehnte sich an die Seile, die den Trainingsring begrenzten.
Der Anblick all dieser Wesen, dessen eigentlich tragische Geschichte sie jetzt kannte, verursachte ein seltsames Gefühl in ihrer Magengegend.
Der Hühne mit dem gewaltigen Schwert dort drüben. War das nicht einer ihrer früheren Trainingspartner gewesen?
Welchen Namen hatte er wohl getragen, bevor der Nebel ihn verschluckte?
Louisan hatte sich gefragt, ob einige der Elfen den Schatten ihrer Vergangenheit spürten, einen Schatten ihres früheren Selbst.
Dann war ihr eingefallen, was für eine Anziehungkraft die Erde auf die Verräter ausübte.
Im Grunde waren diese Mörder nichts weiter als arme Seelen, die nach Hause wollten.
Genau wie sie.
Louisan fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Warum musste alles so kompliziert sein?
Seufzend rappelte sie sich auf und stellte sich aufrecht hin. Vollkommen egal, wer die Verräter waren oder gewesen waren, sie konnte nicht zulassen, dass Menschen in Gefahr gebracht wurden. Und dafür musste sie traineren.
Sie durfte sich nicht irritieren lassen.
Augen zu und durch.
Wo blieb ihr Gegner?
Aber egal, wie sehr sie die Augen zusammenkniff, die Tür öffnete sich nicht.
Stattdessen bewegten sich die Seile, die das Gelände seitlich abgrenzten, und Rashja schob seinen Körper in die Arena.
"Heute", sagte er, "Heute kämpfst du gegen mich."
Louisan erstarrte.
Die Situation kam ihr schrecklich vertraut vor.
Genauso hatte einer ihrer Albträume begonnen.
Wie ein Film liefen in Zeitraffe die blutigen Bilder jener Nacht vor ihrem inneren Auge ab.
"Du schaffst das", ermutigte Rashja.
Seit sie vollkommen aufgelöst aus der Runenhöhle gestolpert war, ohne ihm deutlich erklären zu können, warum, behandelte er sie wieder etwas freundlicher.
Als habe der Anblick ihn daran erinnert, dass es etwas in Louisan gab, das er niemals verstehen können würde.
Oder nicht mehr verstehen konnte?
Louisans Gedanken wurden unterbrochen, als Rashja herumwirbelte und ihr seine Faust entgegendonnerte.
Blitzschnell duckte Louisan sich.
Sie durfte sich einfach nur nicht erwischen lassen, dann würde ihr Gehirn nicht auf Angriff umschalten...
Leider war Schnelligkeit Finns Stärke und nicht ihre. Die Sohle von Rashjas schweren Stiefeln bohrte sich in ihre Seite und presste die Luft aus ihrem Torso heraus.
So gut es eben ging versuchte sie, sich mit einer ungelenken Rolle aus der Gefahrenzone zu bringen, kippte aber zur Seite und fand sich in den Seilen hängend wieder.
Erschrocken sah sie den Elf immer näher kommen den Elf mit dem Raubvogelgesicht...
Nein! versuchte sie sich selbst zur Ordnung zu rufen, Rashja ist ein Freund!
Aber der Elf kam immer näher, und die längst vergangene Szene im Cafè verschmolz mit dem Boxring. Louisan spürte, wie ihr die Kontrolle entglitt, als würde sie langsam Unterwasser gedrückt, ein Rauschen legte sich über ihre Ohren.
Aber dann war da plötzlich noch ein anderes Gesicht.
Während Louisan sich aufrichtete, um zu einem Schlag auszuholen, tauchte vor ihrem inneren Auge ein weiteres Bild auf, dass sich flimmernd neben die Realität legte.
Es war der Pilot, den sie in der Runenhöhle gesehen hatte. Rashja, wie er früher gewesen war.
Aus irgendeinem Grund gab ihr der Anblick die Kraft, ihren eigenen Angriff abzubrechen.
Sie gewann wieder die Oberhand. Erreichte prustend die Wasseroberfläche.
Konzentrier dich auf das Menschengesicht!
Die Gefahr, unkontrolliert um sich zu schlagen, war vorerst gebannt.
Aber Rashja setzte zum Gegenangriff an. Ob sie wollte oder nicht, sie würde sich verteidigen müssen.
So schnell sie konnte tänzelte sie unter seinem Arm hindurch, vollführte eine Drehung und rammte ihm ihren Fuß in die Kniekehle.
Den Trick hatte er ihnen vor Monaten schon gezeigt, aber sie hatte ihn nie bewusst anwenden können. Heute war sie endlich in der Lage dazu.
Ein gutes Gefühl!
Rashja war ein geübter Krieger. Er knickte zwar, wie erwartet, mit einem Bein weg, schlug aber noch in derselben Bewegung mit seiner Handkante nach ihr.
Der Schlag war nicht präzise geführt. Louisan gelang es, auszuweichen. Um den Kampf schnell zu beenden, warf sie sich mit ihrem ganzen Körpergewicht gegen den strauchelnden Elf.
Schwer atmend fielen sie beide zu Boden.
"Na wer sagts denn", keuchte Rashja, "Ich habe immer gewusst, dass du lernfähig bist!"

"Das war dein bester Kampf seit Ewigkeiten", bemerkte Finn anerkennend. Sie saßen in einer leeren Umkleidekabine, in die sie sich zum Essen zurückgezogen hatten. Hier konnten sie ungestört reden.
"Wie hast du das gemacht?", wollte er wissen.
Louisan öffnete den Mund, klappte ihn aber direkt wieder zu.
Ja, wie hatte sie das gemacht?
Ich habe mich daran erinnert, wie Rashja als Mensch gewesen ist?
Das würde Finn nicht verstehen.
Und trotzdem... mit irgendjemandem musste sie über ihre Entdeckung sprechen.
"Ich habe etwas herausgefunden", begann sie.
Ihre Stimme schien belegt zu klingen, denn Finn ließ seinen Löffel sinken und sah sie besorgt an.
"Erzähl", forderte er.
"Also gut", sie griff nach seinem Arm, "Aber es ist etwas wirklich großes. Du wirst mir vielleicht nicht glauben. Versprich mir, dass du nicht..."
In ihrem Kopf brandete die Erinnerungen an ihre Visionen wieder hoch. Die Gesichter, die nicht mehr existierten. Ihre eigene Verwirrung und der Schock den diese Erfahrung ausgelöst hatte.

Finn schrie auf und riss seinen Arm aus ihrem Arm.
"Was...", perplex blinzelte Louisan ihn an.
"Was hast du gemacht?", schrie er aufgebracht. Er zitterte am ganzen Leib.
"Ich... ich habe... ich weiß nicht, gar nichts..."
"Was sind das für Bilder", flüsterte Finn und fasste sich verstört an den Kopf, "Was ist das."
Irgendwo, in einer hinteten Ecke ihres Gehirns begann Louisan zu dämmern, was geschehen war.
"Menschen?", fragte sie, "siehst du auf den Bildern Menschen? Menschen die im Nebel verloren gehen?"
"Ja. Ja, genau", er sah die jetzt wieder an, "Menschen im Nebel. Aber sie bleiben nicht da, sie kommen wieder heraus und... oh mein Gott."
"Elfen", führte Louisan seinen Satz zuende, "Sie werden zu Elfen. Ich habe es neulich in der Runenhöhle herausgefunden."
Finn schüttelte den Kopf: "Das ist krank."
"Ich weiß."
"Wissen sie...?"
"Nein."
"Aber wie hast du die Bilder in meinen Kopf gebracht?"
"Ich... ich habe nicht die geringste Ahnung."
Sie hätte erwartet, das ihm diese Erfahrung mindestens genau so viel Angst machte wie ihr, aber stattdessen lächelte er die nur schwach an.
"Anscheinend hat Rashja recht", sagte er, "Du hast Kräfte, von denen du nichts ahnst."

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