Louisan saß im Schneidersitz vor der runenbeschriebenen Wand der Höhle.
Rashja hatte ihr Training wieder aufgenommen, ganz so, als wäre nichts gewesen. Man erkläre sich ihr Verschwinden mit einer Schockreaktion auf den plötzlichen Überfall in der Palasthalle.
Alleine Rashja schien das nicht zu glauben.
"Du bist vieles, Menschenmädchen", hatte er gesagt, "Aber du bist niemand, der vor einem Kampf davon läuft."
Er war kühler geworden ihr gegenüber. Misstrauisch.
Irgendwie bedauerte Louisan das. Der Kriegerelf war vor ihrem Fluchtversuch meistens freundlich zu ihr gewesen.
Aber auch sie selbst und Finn waren wieder mehr auf der Hut, wenn sie mit Elfen zu tun hatten. Immerhin, die Rückkehr in ihre eigene Welt war jetzt ihr oberstes Ziel. Auch, wenn sie dafür zuerst die Verräter zerschlagen mussten, was sie nicht ohne Unterstützung der Nebellandsoldaten leisten konnten. Und so war sie wieder hier gelandet.
In der Runenhöhle.
Allmählich wurde sie selbst neugierig, was die Zeichen wohl verraten würden, aber es gelang ihr einfach nicht, das Wispern zu entwirren. Sie bräuchte Stille, Stille, so wie in der Verräterbasis...
Eine Idee zuckte durch Louisans Hinterkopf. Was, wenn sie versuchte, sich selbst in diesen Zustand zurück zu versetzen?
Wenn sie versuchte, nichts zu denken, nichts zu tun, sondern sich dem Rythmus der Höhle anzupassen, wie sie es mit dem Atem der Elfen im Gebäude getan hatte.
Louisan setzte sich etwas gerader hin und versuchte, alles andere loszulassen.
Das Wispern veränderte sich. Es waren nun keine Stimmen mehr, die durcheinandersprachen, sondern mehr wie Schwingungen, die Louisan um sich herum wahrnahm. Instinktiv hob sie die Hand und tastete wieder an den Rillen an der Wand entlang. Und dieses Mal, dieses Mal machte sie es richtig. Das spürte sie.
Vor ihrem inneren Auge formte sich ein Bild.Eine kleine, verrauchte Kneipe oder ein ähnliches Lokal, irgendwo da, wo sich traurige Seelen und die, die schon längst die Hoffnung aufgegeben haben hin verirren.
An der Hinterwand ist eine wackelige Bühne angebaut, darauf steht eine Frau, vor ihr ein Mikrophon. Singt sie? Nein, sie spricht. Erzählt. Macht Witze.
Sie hat Talent.
Ihr gelingt sogar, den Trauerklößen, die trübselig in ihr drittes Bier starren zum ersten Mal seit langem wieder ein Lachen abzutrotzen. Für einige im Publikum ist sie heute ein Grund, am nächsten Tag vielleicht doch wieder aufzustehen. Sie gibt ihnen ein Stück Lebensfreude zurück.
Ihr Charme und die unorthodoxe Art, wie sie mit Worten spielt sind ihr Scheinwerferlicht, aber es blendet die Menschen.
Blendet sie so sehr, dass sie nicht sehen, dass die Haarsträhnen, die aus ihrer schlampig gebundenen Frisur hängen in ein müdes Gesicht fallen, dass der Stoff ihrer Jacke an den Ellenbogen dünn wird und das ihre Augen nicht mitlachen.
Die, die alle zum Lachen bringt hat ihr eigenes Lachen schon lange verloren.
Früher, da hat sie gelächelt und Grimassen geschnitten. Früher. Das ist so lange her. Heute fühlt sich das alles nur noch wie eine Maske an. Trotzdem hält sie daran fest, klammert sich daran. Es ist das einzige, was ihr noch Halt gibt.
Ihre Vorstellung ist vorbei. Sie verbeugt sich und das Publikum klatscht. Klatscht begeistert. Aber Begeisterung hat die Frau verloren, irgendwo, zwischen dem Grab ihres Vaters und ihrer alkoholkranken Mutter.
Einsam taumelt sie durch die Straßen. Es ist Nacht, es ist kühl. Niemand dreht sich nach ihr um. Mit unruhiger Hand setzt sie die Flasche an den Hals. Der Alkohol rinnt ihre Kehle herab. Er schmeckt wiederlich. Sie nimmt noch einen Schluck.
Wie die Mutter, so die Tochter, denkt sie.
Verschwommen sagt sie sich, dass sie aufhören sollte.
Aber wie soll sie das Leben abseits der Bühne sonst erträglich halten?
Ihre Schritte tragen sie auf eine Brücke. Sie beugt sich über das Geländer und lässt die Flasche fallen. Der Nebel unter ihr verschluckt das Glas und erstickt das Geräusch des Aufpralls. Weich sieht er aus, der Nebel. Wie ein Kissen. So hat sie sich Wolken vorgestellt, damals, als Kind. Und ruft da nicht jemand nach ihr? Sie glaubt fast, der Nebel strecke eine Hand nach ihr aus. Neugierig streckt sie sich noch etwas weiter. Ob sie ihn wohl berühren kann, wenn sie...
Auf einmal spürt sie die Schwerkraft, die an ihrem Oberkörper zieht, spürt, dass die Feuchtigkeit das Geländer rutschig gemacht hat. Erschrocken rudert sie mit den Armen und schreit, aber niemand hört es.
Sie fällt.
Aber sie wird nie auf der Straße aufschlagen.
Stattdessen fällt sie hinein, in das weiße Nichts des Nebels, er verschluckt sie, kriecht in sie hinein.
Es löscht alles aus, was vorher da war, verleit ihr ein neues Gesicht, ein neues Selbst. Macht sie zu etwas anderem.
Schließlich gibt der Nebel sie frei, in ein Land, das ihre Heimat genannt werden wird, eine Frau tritt aus dem Dunst heraus, gehüllt in herbstrote Roben. Ihre stolzen, grünen Augen leuchten vor ihr her.
Sie ist die Königin eines Volkes, in dessen Mitte bisher nur ein verlassener Palast stand, wartend auf seine Herrscherin, die eines Tages herübertreten musste aus dem Nebel....
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Elfentraum
Fantasy"Das war ein Fehler", der Magier zu ihrer Rechten blickte immer noch auf die Stelle, auf der bis vor zwei Minuten noch zwei verängstigte Kinder gezittert hatten, "sie sind klein und schwach. Sie sind Menschen. Was können wir von ihnen erwarten?" "Da...