Teil 1: Lyra

53 7 3
                                    

Blut. Da war ganz eindeutig Blut in der Nähe, sehr viel sogar. Ich konnte es ganz klar riechen, es überdeckte alles Andere, beinahe auch meine eigenen Gedanken. Ich konnte fühlen, wie etwas in mir aufzusteigen begann, wie sich langsam ein dunkler Nebel aus seinem Käfig befreien wollte, wie er mein Herz übernehmen wollte.

Atme tief durch, dann fühlst du nichts mehr. Fühle nichts, dann wird es besser. Du darfst nichts fühlen, du darfst nichts fühlen, darfst nichts fühlen, nichts fühlen, nichts...

Es war sicher eine ganze Minute vergangen, aber schließlich war ich in der Lage, es wieder zurück zu drängen, dahin, wo es keinen Schaden mehr anrichten konnte. Genau, ich war leer, eine leere Hülle. Was interessierte mich so ein bisschen Blut? So ein bisschen sehr viel Blut... Das ganz in der Nähe war... Das nach mir rief... Das den ewigen Schmerz, der allgegenwärtig durch meine Adern pulsierte, lindern könnte. Wenn auch leider nicht verstummen lassen, aber zumindest kurz lindern...

Nein! Nein, das war nicht ich. Ich war stark genug! Ich konnte mit dem Schmerz leben, wenn ich dafür nur nicht zu einem Monster werden musste. Leise seufzend schüttelte ich den Kopf. Verdammt! Seid es erwacht war, seid meine Mutter gestorben war und mir, ihrem einzigen Kind, damit all ihre Kräfte übertragen hatte, war es wirklich nicht leicht, bei Verstand zu bleiben.

Aber das war nicht das Schlimmste, oh, nein. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, und es war niemand mehr hier, um es mir zu sagen. Ich war allein, wie es von nun an wohl immer sein würde. Allein, leer, vermutlich bald ein verrücktes Monster...

Wieder seufzte ich, doch diesmal war es nicht aus Ärger über mich selbst, sondern einfach nur aus Schmerz. Meine Mutter, mein Vater, beide tot. Sie waren meinetwegen gestorben, weil sie mich aus unserem Haus hatten retten wollen. Nur weil ich Angst gehabt hatte, weil ich nicht aus dem Fenster hatte springen können, waren sie wieder in die Flammen gegangen. Mein Leben dort, meine Familie, mein Haus, alles war in diesen Flammen vernichtet worden, weil ich feige Idiotin nicht aus dem Fenster gesprungen war. Nur meinetwegen. Genau wie das Feuer selbst, alles bloß wegen mir.

Schnell drängte ich die Schuld, die Angst, den Schmerz und die Trauer wieder weg, bevor das Dunkle in mir wieder auszubrechen begann. Gefühle waren der Grund dafür, wenn es das tat. Zumindest war es das, was meine Mutter mir erzählt hatte.

Sie hatte nicht viel mit mir gesprochen. Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich sie eigentlich kaum gekannt. Und das obwohl sie im gleichen Haus gewohnt hatte. Andererseits war das auf eine verrückte Weise ein Beweis dafür, dass sie mich geliebt hatte. Sie hatte mich nicht oft angesehen oder mit mir gesprochen, weil sie dann Liebe empfunden hätte, vielleicht auch Stolz, und das wäre gefährlich gewesen. Es war halt der Fluch unserer Familie und demnach war es eigentlich ein riesiges Kompliment, wenn man jemandem aus dem Weg ging. Tja, vielleicht redet ich mir das auch nur ein, damit es nicht mehr so weh tat...

"E-Entschuldigung?", hörte ich eine schüchterne Stimme vor mir, was dazu führte, dass ich aufsah. Eine sehr dumme Entscheidung, wie ich gleich darauf feststellte. Die Person, die da vor mir stand, das war ganz eindeutig ein Elf. Ich erkannte es an den spitzen Ohren und vor allem dem Klee, der seinen Körper bewucherte. Es war ein Junge, ungefähr in meinem Alter, trotzdem einen guten Kopf kleiner als ich. Er sah mich unsicher an, als würde ich ihn gleich auffressen oder sowas. Das war nicht ungewöhnlich, wie ich vermutete, immerhin gehörten Elfen zum unteren Ende der Nahrungskette, so weit ich wusste.

Und doch reagierte der Fuchs in mir auf den furchtsamen Blick in seinen goldenen Augen. Ich konnte das nicht unterdrücken, es war ein Instinkt, dem ich meiner DNA verdankte. Immerhin war ich hauptsächlich eine Fuchsdämonin, noch vor dem Ding, das ich dank den Genen meiner Mutter nun zusätzlich war. Aber das ich darauf so regierte, war schlecht, sehr, sehr schlecht, denn das Ding in mir reagierte auf jede Emotion, auch auf die tierischen. Es schien, dass ich wohl jeder Art von neuen Begegnungen aus dem Weg gehen müsste.

"Hm?", machte ich, noch immer das aufkommende Gefühl der Überlegenheit bekämpfend. "A-Also, ich... Ich w-wollte n-n-nur... B-Bist du vielleicht L-Lyra McH-Heart?", stotterte er. Dabei verknotete er auf eine eigenartige Weise seine Finger, was das Tier in mir nur umso mehr ansprach. Während ich langsam nickte, schluckte ich hart und musste mich sehr davon abhalten, ihn zu bedrohen oder anzuknurren.

Verdammt! Warum waren Raubtiere nur so überheblich, sobald sie jemanden trafen, der sich anmerken ließ, ob er sich selbst für stärker oder schwächer hielt?! Das machte es wirklich nicht einfacher...

"Ich b-bin D-D-Dylan. Ich... Äm... I-ich soll d-d-d-dich h-hier rumführen.", murmelte er noch nervöser. Dann schnappte er erschrocken nach Luft, als hätte ich ihn tatsächlich bedroht. Er ging sicherheitshalber sogar einige Schritte zurück, damit er außerhalb meiner Reichweite war. Als wolle er verhindern, dass ich ihn einfach so angriff. Dabei war ich viel zu beschäftigt damit, genau das nicht zu tun. "I-ich meine na-n-natürlich... Also, n-nur wenn du w-willst. Wenn nicht, dann i-ist d-das auch n-nicht schlimm. M-mir fällst schon e-etwas ein, w-wie ich das e-e-e-erk-erklären kann..."

"Du stotterst ziemlich viel.", bemerkte ich überflüssiger Weise. Es half nichts, das Tier in mir zurück drängen zu wollen, also musste ich etwas anderes versuchen. Vielleicht hatte er ja genug Angst vor mir, um es nicht zu zeigen, wenn er wusste, dass es mich störte? Naja, ich hatte nicht sonderlich viele Optionen, also war es wohl ein Versuch wert. "Keine Sorge", sagte ich also, "Ich habe schon gefrühstückt - und übrigens schmecken Elfen nicht. Viel zu viel Grünzeug. Ein Scherz, nur damit du's weißt... Hey, er lächelt ja! Schön zu wissen, dass du das auch kannst." 

Gott sei dank, es hatte geholfen! Dylan schien schon viel entspannter und meine tierische Seite beruhigte sich endlich wieder. "Dann lass und mal mit der Führung anfangen.", schlug ich ebenfalls erleichtert vor.

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt