Ein interessantes Mädchen, diese Lyra. Sie war gar nicht arrogant gewesen, oder herablassend. Dabei war sie eine Fuchsdämonin und ich nur eine Vampirin, wenn auch eine Adelige. Es lagen so um die siebzig Ränge zwischen uns! So genau wusste ich das aber nicht, ich war da nicht wirklich up to date.
Seufzend lehnte ich mich an die Wand. Vampire standen auf Rang zweiundsiebzig, das letzte Mal, als ich mich informiert hatte. Etwa vor einem Jahrhundert oder so. Und das war ein Rang aus hundert Übernatürlichen Arten, die mitgezählt wurden. Sogar niedriger als Nymphen wurden wir gezählt! Pha! Erbärmlich!
Dabei waren wir gar nicht mal so schwach.
Vor nur wenigen Jahrhunderten hatten wir noch auf dem vierten Rang gestanden, hatten ihn uns mit den Werwölfen geteilt. Aber das hatte zu Spannungen zwischen unseren Arten geführt und irgendwann war dann wegen irgendwas ein Krieg ausgebrochen. Die Vampire hatten eine vernichtende Niederlage einstecken müssen. Zudem waren wir nicht sonderlich bewegungsfrei, immerhin tat schon diese morgendliche Herbstsonne höllisch in meinen Augen weh und ein normaler Vampir wäre vermutlich sogar gestorben.
Silber, Kreuze, fließendes Wasser, Sonnenlicht, Türschwellen... Wir hatten jede menge Schwachstellen als Ausgleich für unsere extremen Fähigkeiten. Diese Hunde hatten sich nach ihrem Sieg nicht geniert und alles davon öffentlich gemacht, damit wir nach unserem Fall in der Rangliste auch ja nicht wieder hoch kommen würden.
Und nun? Nun wagten diese dreckigen Köter es sogar, einen auf freundlich zu machen und um Vergebung zu bitten! Wer würde es ihnen bitte vergeben, so gedemütigt geworden zu sein, so unterdrückt?! Und dann baten sie ja noch nicht mal wirklich um Vergebung, nein, dafür waren sie sich natürlich viel zu fein.
"Das Kriegsbeil nach all den Jahren vergraben und eine Ära in Harmonie nebeneinander führen, um unser Verhältnis zueinander nach und nach wieder in ein rechtes Licht zu rücken", so hatten sie das formuliert. Verlauste Mistviecher! Hatten uns doch tatsächlich so eine verharmloste Wortfahl aufgetischt, so einen bürokratischen Scheiß! Ich hasste sie wirklich abgrundtief, bis ins innerste meiner von Sternen erleuchteten Seele.
Fast so sehr hasste ich auch das Schicksal, schon seit jenem Tag...
Niemand wusste, was wirklich passiert war... Außer mir, meiner Mutter und, für die wenigen Sekunden vor seinem Tod, auch mein Vater... Nichtmal meine beiden Schwestern ahnten etwas... Auch mein verschollener Halbbruder hatte es nicht geahnt... War einfach nur weggerannt, weil er seinen Vater suchen wollte, als Mensch leben... Konnte es ihm nicht verübeln... Wären die nicht so schwach, hätte ich es wohl auch in Betracht gezogen... Ich hatte es immerhin auch nicht mehr dort ausgehalten... Die Lügen und all das falsche Lächeln... Und meine beiden Schwestern mitten drin, bekannt als der Mond und der Nachthimmel unserer Zeit, die Zwillinge der Nacht... Nichtmal mit meiner geliebten Yulivee, dem älteren Zwilling, war es noch erträglich gewesen...
Kopfschüttelnd entfernte ich die Gedanken daran wieder, als ich Schritte hörte, die sich näherten. Wie immer - und mehr aus Gewohnheit als irgendwas sonst - nahm ich sofort wieder die grade Haltung an, die man von Vampiren, insbesondere den Adeligen und Royalen, erwartete.
Es waren zwei Personen, die sich näherten, scheinbar Geschwister. Sie rochen nach Katze, also vermutlich Werkatzen. Sie hatten so schöne, dunkle Haut... Schwarze Panther, vielleicht? Wenn ihr Fell auch nur halb so geschmeidig wäre, wie ihre Haare, dann war ich wirklich neidisch.
Nicht, dass Vampire Fell hätten, aber eine zweite Form schon. In meinem Fall war es ein Rabe, aber aus irgendeinem Grund war mein Gefieder so eigenartig. Es war matt und die Federn waren auch sehr zottelig. Das blieb immer so, ganz egal, was ich auch machte, um das zu ändern.
Einer von den Beiden, das Mädchen, sah mich überrascht an. "Du riechst nach...", murmelte sie verwirrt, doch als ihr auffiel, dass sie laut sprach, brach sie sofort ab und wurde rot wie eine Tomate. Der Junge lachte in sich hinein, wofür er einen Ellenbogen in den Magen von ihr kassierte. "Lach nicht, Cat!", beschwerte sie sich.
Er lachte nur noch mehr, doch nach einem bösen Blick von ihr, entgegnete er dann schließlich doch noch halbherzig: "Ist ja schon gut, Mini." Beleidigt schnaubte sie, als sie sich von ihm abwandte. Innerhalb von wenigen Sekunden jedoch schien sie ihren Ärger vergessen zu haben.
"Hey, du.", sprach sie mich mit einem breiten Lächeln an, doch ich zog nur eine Augenbraue hoch. Wollte sie irgendwas? "Ich bin Mientje Cheshire und das ist mein kleiner Bruder Cajetan.", stellte sie sich vor.
Moment mal, ihr kleiner Bruder? Sicher? Er überragte sie um etwas mehr als einen Kopf und zudem sah er auch älter aus. Hm, sicher nicht leicht für sie.
Und dann dieser Name. Cheshire... Es war schon lange her, dass ich ihn gehört hatte. Außerhalb von Alice im Wunderland zumindest. Erst eine McHeart, dann zwei Cheshire, und das noch vor dem ersten Gong an der neuen Schule. Also, das war mal... bemerkenswert.
"Mhmm...", entgegnete ich der Katze nur. Sie sah mich abwartend an, doch ich sagte nichts weiter, sondern drehte mich bloß um, um die Tür zum Sekretariat zu öffnen.
"Oh, bist du neu hier? Das habe ich mir schon fast gedacht, du riechst nicht nach unserer Luft.", ertönte die Stimme ihres Bruders.
Seufzend drehte ich mich wieder um. "Hör zu, Kajüte...", begann ich, doch er unterbrach mich, um mich zu verbessern: "Cajetan"
"Was auch immer, ist mir egal. Also, du und deine Mini-Ente..."
"Sie heißt Mientje."
"...haben mit mir absolut nichts..."
Wieder wurde ich unterbrochen, diesmal von einem erfreuten Quieken des Mädchens. Stürmisch winkte sie jemandem zu, der dann auch sofort zu uns kam. Er stank nach Wolf, sogar nach Alpha. Widerlich!
"Mini! Cat! Ist schon eine Weile her, was? Wie geht's?", begrüßte er die beiden freundlich. Ein Hund, der sich mit zwei Katzen verstand. Also, das sah man auch nicht alle Tage. Lieber wäre es mir allerdings gewesen, den Köter gar nicht zu sehen.
"Gut, gut. Und dir? Warum hast du denn so lange gefehlt?", entgegnete die Katze besorgt.
"Och, das war nichts Ernstes. Ein paar persönliche Probleme, aber jetzt ist alles wieder geregelt.", lachte der Wolf.
Der Kater nickte daraufhin verständnisvoll, schlug kurz mit dem Werwolf ein und wandte sich dann wieder an mich: "Entschuldigung, du wolltest grade etwas sagen?"
Nun schien auch der Werwolf mich zu bemerken. Ziemlich schlechte Instinkte für einen Wolf, wenn er mich vorher noch nicht bemerkt hatte. Andererseits hatte ich nicht geatmet, um seinem Gestank zu entkommen, und Vampire rochen auch nach nichts...
Aber trotzdem!
Jedenfalls sah der Wolf mich nun interessiert an. "Oh, eine Vampirin. Tut mir leid, ich habe dich gar nicht bemerkt. Mein Name ist Jurij, ich bin der zukünftige Alpha des Nox-Rudels, freut mich. Und du bist...?"
"Keines von deinen Problemen, also verzieh dich."
Fragend runzelte er seine Stirn.
"Jipp, sie ist immer so.", hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme. Ich drehte mich zu ihr und sah die drei Stiefgeschwister auf uns zukommen.
"Oh.", bemerkte ich trocken. "Hallo, Fisch."
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Die Dämonenspiele der Dolchherzen
FantasyLyra ist neu in Featherfield, einer Stadt nur für nicht-Menschen. Davor hat sie in der Welt der Menschen gelebt, hat sich wie ein Mensch verhalten, hat so getan, als sei sie ein Mensch. Eine schwere Aufgabe, wenn man Fuchsohren auf dem Kopf hat... ...