Mein Ausbruch gestern blieb nicht ungestraft. Davon, dass ich die Energie so sehr unterdrückt hatte, hatte ich eine Art Kater bekommen. Mein Kopf tat weh, mir war übel und schwindelig auch. Außerdem taten mir Hals und Brust weh, als hätte ich grade erst eine schlimme Lungenentzündung hinter mir. Naja, zumindest war ich der Meinung, dass es so war, sicher konnte ich es nicht sagen. Ich konnte immerhin nicht krank werden, oder zumindest nicht auf natürlichem Wege, ohne Gifte oder speziell entwickelte Vieren. Das war so ziemlich der einzige Vorteil an den Genen meiner Mutter.
Jedenfalls ging es mir richtig dreckig, und am liebsten wäre ich daheim geblieben. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass es vielleicht tatsächlich keine so schlechte Idee gewesen wäre: Meine Haare waren matt und kraftlos, meine Haut war bleich und gräulich, meine Lippen waren spröde und noch bleicher, meine Augen waren trüb und hatten furchtbar dunkle Ringe. Es sah wirklich so aus, als sei ich schlimm erkrankt. Ich sah krank aus, fühlte mich krank, aber leider konnte ich ja nicht krank sein.
Mit einem Seufzen beschloss ich also, doch zur Schule zu gehen. Daher machte ich mich fertig, wobei ich in der warmen Dusche etwas länger verbrachte, als für gewöhnlich. Mhm... Die Wärme war so angenehm, mein Körper schien sie nur so auszusaugen. Und der Nebel roch so gut nach Lavendelöl... Ach, irgendwie würde ich am liebsten nicht mehr raus aus aus den warmen Dampfwolken kommen. Doch leider, leider musste ich ja.
Nachdem ich mich also dazu überwunden hatte, ging ich in mein Schlafzimmer, trocknete mich ab, schminkte mich und föhnte mir die Haare. Eine Weile stand ich unentschlossen vor dem Kleiderschrank, schließlich entschied ich mich für ein eisblaues Winterkleid mit Rollkragen und eng anliegenden Ärmeln, zusammen mit einer schneeweißen Leggings und himmelblauen Samtstiefeln, zu denen ich passende Handschuhe hatte. Diese zog ich heute anstatt den schwarzen Lederhandschuhen an, die ich sonst immer trug. Meine Haare ließ ich heute offen, nur band ich mir die vorderen Strähnen nach hinten, wo ich sie dann zu einem kleinen Zopf flocht. Zum einen tat ich es, weil ich es inzwischen einfach gewohnt war, die Haare geflochten zu tragen, zum anderen weil es auf diese Weise nicht ganz so sehr danach aussah, dass ich einfach keine Lust oder Zeit gehabt hatte, mich zu frisieren. Aber ich wollte heute einfach keinen Zopf tragen, ich brauchte Wärme und meine größtenteils offenen Haare halfen mir zumindest dabei, möglichst keine zu verlieren.
Wieder seufzend nahm ich auch noch einen Schal aus dem Schrank. Er war so weiß wie die Leggings und bestand zudem aus Tüll. Es war halt bloß ein Modeschal, aber es war besser als nichts und es lieferte mir eine Ausrede, drinnen einen Schal zu tragen. Mit einem letzten Blick in den Spiegel, um mein Aussehen nochmal zu überprüfen, ging ich schließlich nach unten. Dort machte ich mir erstmal einen heißen Kräutertee. Lindenblütentee gegen die erkältungsähnlichen Symptome, Mädesüß gegen die Kopfschmerzen und Vanilleschoten für den Geschmack. Eine eigenartige Mischung, die ich ganz sicher nicht nochmal probieren würde... Urgh.
Aber es würde helfen, also war der Geschmack erstmal zweitrangig. Ich hatte meine Tasse - in der sich sehr, sehr viel Zucker befunden hatte, sodass es das Meiste dieser geschmacklichen Kakophonie überdeckte - geleert und war grade dabei, meine Schulsachen zu packen, als es an der Tür klingelte. Ich war ziemlich überrascht, da ich ja schließlich mit kaum jemanden redete. Aja war das sicher noch nicht. Sie wollte erst in einer halben Stunde kommen, damit wir gemeinsam zur Schule gehen konnten. Darauf hatte sie bestanden, obwohl es ein riesiger Umweg für sie war. Als meine Beschützerin sollte sie immer bei mir sein, wenn ich das Haus verließ, hatte sie gesagt. Mir war das eigentlich recht peinlich, aber da es sie glücklich zu machen schien, hatte ich letzen Endes zugestimmt.
Nur wer war es jetzt? Ich checkte nochmal die Uhr. Ja, 06:58 Uhr und Aja kam erst um 07:25, da der Schulweg nicht so lang war. Verwirrt runzelte ich die Stirn, als es erneut klingelte. Scheinbar war es auch kein Klingelstreich oder so. Also setzte ich ein Lächeln auf und ging zur Tür - und als ich sie geöffnet hatte, hätte ich sie am liebsten schreiend wieder zugeworfen. Scheiße! Das war der Mann von der Behörde, bei der ich mit Rem war. Warum kam der bitte schon so schnell? Er konnte noch nicht kommen, Rem war nicht hier! Ich konnte das doch nicht machen, wenn Rem mir keine Rückendeckung gab...
Der dunkelblonde Hexer deutete eine Verbeugung an. "Guten Morgen, Prinzessin Lyra.", begrüßte er mich. Ich hoffte mal einfach, dass er mir nichts angemerkt hatte. Wenn doch, wäre das sicher hinderlich bei dem Ganzen hier. Ich lächelte daher einfach weiter, als ich zur Seite trat. "Ja, guten Morgen. Kommen Sie doch rein, Mister Elay."
Er nickte und ging an mir vorbei ins Innere des Hauses. Er schien sich hier auszukennen, ging er doch ohne Umschweife und ohne dass ich ihm den Weg weisen müsste ins Wohnzimmer. "Einen Tee?", bot ich höflich an, was er dankend annahm. In wenigen Minuten hatten wir dann beide eine Tasse Blaubeer-Lavendeltee in der Hand. Auf meine Frage, woher er meine Adresse hatte, lächelte er nur entschuldigend. "Nun, ich habe Eurem Vater viele Jahre lang gedient. Ihr erinnert euch sicher nicht, aber bis er mit Euch wegzog, kam ich oft hier her, um den Papierkram mit ihm abzusprechen. Und ich möchte Euch nochmal mein herzliches Beileid bekunden. Er war ein gerechter König und ein guter Freund."
Ich nickte leicht. "Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Auch, wenn er diese Seite gerne verborgen hat. Ich kannte ihn nur als meinen Vater." Mister Elay sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Scheinbar war es ihm unangenehm, dass er das vergessen hatte, wo ich es ihm doch neulich erst erzählt hatte.
Ich betrachtete den Mann vor mir indes eingehend. Es hatte mein Interesse geweckt hatte, dass er Dad einen guten Freund genannt hatte. So viel, was ich nicht gewusst hatte... Seit ich hier war, schien es mir manchmal, als habe ich Dad ebensowenig gekannt wie Mutter. Vielleicht sogar noch weniger. Und dabei hatte ich doch fast all meine Zeit mit ihm verbracht! Es war ein wirklich erschreckender Gedanke, weshalb ich ihn auch immer wieder verdrängte. Mir war egal, was ich über Dad nicht gewusst hatte, ich wollte ihn einfach als meinen Dad in Erinnerung behalten, mit den Dingen, die ich gewusst hatte.
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, um den Gedanken los zu werden. "Also, Mister Elay, was kann ich denn für Sie tun?"
DU LIEST GERADE
Die Dämonenspiele der Dolchherzen
FantasíaLyra ist neu in Featherfield, einer Stadt nur für nicht-Menschen. Davor hat sie in der Welt der Menschen gelebt, hat sich wie ein Mensch verhalten, hat so getan, als sei sie ein Mensch. Eine schwere Aufgabe, wenn man Fuchsohren auf dem Kopf hat... ...