So... Und was jetzt? Rem war krank und sonst kannte ich niemanden hier. Naja, außer Mientje und Cajetan, aber die schienen nicht wirklich etwas mit mir zu tun haben zu wollen.
Komisch. Ich verstand es einfach nicht. Vielleicht würde ich nach ihnen suchen, um das zu klären? Bestimmt war es nur ein dummes Missverständnis, mehr nicht. Ja, so würde ich es machen. Also war es beschlossen. Bloß wo sollte ich mit dem Suchen anfangen? Vielleicht auf dem Pausenhof? Ich hatte zwar nicht sonderlich Lust, bei diesem Wind raus zu gehen, aber ich wusste ganz sicher, dass sie zumindest nicht in diesem Gebäude waren.
Seufzend machte ich mich auf den Weg. Wo könnten sie wohl Unterricht gehabt haben? In meinem Jahrgang waren sie ja, nur eben in keinem meiner Kurse. Wenn ich im Sekretariat nachfragen würde, würden sie mir das dann sagen, oder war sowas verboten? Andererseits schienen sich alle hier ein schleimen zu wollen, also...
Plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen. Was war dieses Gefühl? Meine Adern schien zu pulsieren und mein ganzer Körper schrie danach, mit ihr zu sprechen.
Moment mal, mit "ihr"? wer war "sie" denn bitte?
Mein Blick schweifte über den halb leeren Hof, in der Hoffnung, sie zu erkennen. Und das tat ich. Sie stand zwischen zwei Drachen, beide grünhäutig. Wasser tropfte von ihren langen, nussbraunen Haaren, sowie von ihrer luftigen Kleidung, verdampfte jedoch kurz bevor es auf irgendwas auftreffen konnte. Ihre Haare schienen schwerelos in der Luft zu schweben, als sie sich zu mir drehte.
Kein Zweifel, das war ein Meermensch. Ihre ozeanblauen Augen sahen in meine hinein, eine ganze Weile lang. Was war dieses kribbelnde Gefühl, das sich dabei in mir breit machte? War sie etwa auch eine meiner Gefährten? Ja, das musste es sein. Ich wusste es einfach. Irgendwas in mir schrie es gradezu heraus.
Wie in Trance ging ich auf das Mädchen zu, die neugierigen Blicke der anderen nicht mal wirklich bemerkend. "Hallo.", hauchte ich, als ich vor ihr stehen blieb. Sie lächelte glücklich, als sei ihr größter Traum in Erfüllung gegangen. Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was passierte, kniete sie auch schon vor mir.
"Seid gegrüßt.", entgegnete sie, was mir ein kleines Lachen entlockte.
"Komm, steh doch auf. Du brauchst das nicht zu machen.", forderte ich sie auf. Überrascht sah sie mich an, doch ihr Lächeln wurde noch breiter, als sie nickte und sich erhob. "Ich bin Lyra McHeart, freut mich. Und wer bist du?", stellte ich mich ebenfalls lächelnd vor.
Sie nickte verstehend und antwortete sofort: "Ich bin Aglaja Sjø, bitte nennt mich Aja. Es ist mir eine Ehre, Euch endlich zu begegnen."
"Aja...", murmelte ich, einfach um auszutesten, wie es sich anfühlte, das auszusprechen. "Ein schöner Name. Und die beiden Drachen da? Bjarte War und...?"
Sie drehte sich zu ihren Begleitern, als seien ihr diese jetzt erst wieder eingefallen. Ich verstand es, Mir waren sie auch fast nicht mehr aufgefallen.
"Das sind meine Stiefbrüder, Askjell und Bjarte. Ihr kennt Bjarte bereits?", fragte sie sichtlich überrascht. Bjarte verschränkte die Arme vor der Brust und sah mit leicht gelblichen Wangen zur Seite. Wenn ihm das Blut schon bei der leisen Erwähnung an unsere erste Begegnung in die Wangen schoss, schien er noch immer nicht damit abgeschlossen zu haben.
"Flüchtig.", antwortete ich meiner neu gefundenen Gefährtin, bevor ich mich zu dem Schläger drehte. "Aber, sag, du bist mir doch nicht immer noch sauer deshalb? Ich meine, du hast jemanden getreten, der sich am Ende sogar als einer meiner Gefährten herausgestellt hat. Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen?"
Er verzog das Gesicht, als sei er bei einer Lüge ertappt worden, und schielte zu seiner Schwester, die ihn entsetzt ansah. "Du hast was?!", keuchte sie, woraufhin der Andere - Askjell, wenn ich mich nicht irrte - zu lachen anfing.
"Tja, erwischt!", kommentierte er. Aja, die inzwischen mehr wütend als geschockt aussah, deutete eine Verbeugung an. "Entschuldigt uns kurz, Meisterin." Meine Antwort wartete sie nicht ab, bevor sie ihren Bruder am Ohr wegschleifte. Überrascht sah ich ihr nach.
"Die gute Aja hat etwas dagegen, dass er immer auf Anderen rumhackt, aber im Gegensatz zu mir kann sie auch etwas gegen ihn ausrichten.", erklärte mir Askjell, welcher sich neben mich gestellt hatte. "Er droht mir regelmäßig, dass ich ihn ja nicht verpetzen soll. Naja, mir ist es eigentlich gleich, solange er mich da raus hält. Vor unserer liebreizenden Schwester verbirgt er es allerdings, da sie... nun ja... andernfalls eher reizend als lieb ist."
Ich lachte kurz auf und wollte grade etwas erwidern, als mich ein anderes, ebenfalls sehr bekanntes Gefühl traf. Erschrocken sah ich mich um.
"Jurij ist hier...", murmelte ich mit zusammengekniffenen Augen. In dem Moment sah ich ihn auch, wie er zu seinem nächsten Unterricht eilte. Als er jedoch meinen Blick auf sich spürte, drehte er sich schlagartig um und wechselte die Richtung.
"Lyra.", begrüßte er mich freundlich. Ich hingegen bedachte ihn nur mit einem kühlen Blick, auch wenn ich ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre. So wie immer also.
Gestern hatte ich einen Brief von ihm bekommen und meine Gefühle waren wieder so stark geworden, dass ich meine Kraft fast wieder entfesselt hätte. Rem hatte es auch nicht verstanden, denn immerhin war ich ja unter dem Einfluss seines Trankes gewesen. Schließlich aber war er zu dem Schluss gekommen, dass es daran liegen musste, dass Jurij auch einer meiner Gefährten war. Der Trank schien in diesem Fall nicht zu wirken, auch wenn meine Gefühle bezüglich Jurij abgeschwächt zu sein schienen.
"Wir haben uns lange nicht gesehen.", bemerkte Jurij, als klar wurde, dass ich nichts sagen würde.
"Mhmm...", machte ich möglichst desinteressiert. Gott, das kostete Überwindung! Ich musste schnell hier weg, sonst würde ich die Kontrolle verlieren. Ich konnte schon fühlen, wie die Schatten in meiner Seele langsam aus ihrem Käfig krochen...
"Askjell, sag Aja doch bitte, dass wir später weiter sprechen. Wenn sie Lust und Zeit hat, kann sie gerne bei mir vorbei kommen.", wand ich mich an den Bruder des Meermädchens und reichte ihm einen Zettel, auf den ich schnell meine Adresse gekritzelt hatte. Mit einem bösen Blick und einem bedrohlichen "Halt. Dich. Fern. Von. Mir!" zu Jurij drehte ich mich um und ging.
Sobald ich weg war, konnte ich mich wieder beruhigen. Puh, das war knapp. Noch mal Glück gehabt...
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Die Dämonenspiele der Dolchherzen
FantasiLyra ist neu in Featherfield, einer Stadt nur für nicht-Menschen. Davor hat sie in der Welt der Menschen gelebt, hat sich wie ein Mensch verhalten, hat so getan, als sei sie ein Mensch. Eine schwere Aufgabe, wenn man Fuchsohren auf dem Kopf hat... ...