Teil 15: Lyra

19 2 0
                                    

Als ich am nächsten Morgen zur Schule ging, wurde ich noch mehr von allen angestarrt, als vorher auch schon. Zugegebener Maßen, es war meine eigene Schuld. Aber ich hatte eine Veränderung gebraucht. Ich war immerhin hierher gezogen, weil sich mein altes Leben vor meinen Augen in Luft aufgelöst hatte. Naja, eigentlich eher in Rauch, aber darum ging es hier nicht.

Als ich dann auch noch Jurij nach all der Zeit wiedergetroffen, diese Dinge über mich herausgefunden und schließlich meinen zweiten Gefährten getroffen hatte, da war es einfach nötig gewesen, etwas zu verändern. Das Spiegelbild, das zu dem Mädchen von vor ein paar Wochen gehörte, passte nun nicht länger zu mir, also hatte ich einfach irgendwas tun müssen.

Trotzdem fühlte es sich komisch an, das musste ich schon zugeben. Wie lange war es her gewesen, dass ich mich so gezeigt hatte? Hatte ich mich überhaupt schonmal so gezeigt?

Unsicher fummelte ich an einer der beiden Strähnen rum, die links und rechts mein Gesicht einrahmten. Die restlichen Haare hatte ich hinten zu einem hohen Zopf gebunden, welchen ich anschließend streng geflochten hatte. Einige Haarspiralen mit schneeflockenförmigen Aquamarinen rundeten die Frisur ab. Auch mein seidenes Haarband trug ich, doch zum ersten Mal seit, ich weiß nicht mal wie lange, hatte ich meine Ohren nicht darunter geklemmt. Nein, das Band lag vor den Ohren, sodass sie nach wie vor aufstanden und zuckten, wann immer ich mich auf ein Geräusch konzentrierte.

Es fühlte sich komisch an, dass ich nun keinen Kapuzenpulli trug, dass ich meine Ohren nicht versteckte. Das machte mich irgendwie unruhig und es war mir auch ein wenig unangenehm, sodass ich leicht errötete. Sollte mich jemand fragen, könnte ich vermutlich auch einfach sagen, dass es Rouge sei, denn immerhin wollte die Röte nichtmal kurz verblassen.

Ich sah an mir hinunter auf das Wickelhemd, welches ich anstelle meines üblichen Kapuzenpullis ausgewählt hatte. Die smaragdgrün glänzende Seide, die mir bis knapp über den Po reichte, stand mir gut, wie ich nun bemerkte. Ich hatte nie mitbekommen, wie gut ich grün tragen konnte, besonders wenn ich es mit schwarz mischte, wie ich es jetzt getan hatte. Ich hatte einen Einklang mit meinen Handschuhen erschaffen wollen, also hatte ich schwarze Lederstiefel mit Absatz und eine enganliegende, schwarze Jeans darunter angezogen. Es gefiel mir, ich fand es hübsch. Und doch war mir unwohl in meiner eigenen Haut.

Das ist nur, weil du bis jetzt immer unter Menschen gelebt hast. Es liegt bloß daran, dass sie deine Ohren sehen können. Du gewöhnst dich schon noch daran.

Obwohl ich selbst diejenige war, die mir das sagte, fragte ich mich, ob es stimmte. Würde ich mich daran gewöhnen, nach all den Jahren? Obwohl, es gab so viel, an das ich mich gewöhnen musste, da machte eine Sache mehr oder weniger keinen Unterschied. Außerdem hatte ich es jetzt schon angefangen, da musste ich es auch durchziehen.

"Schau mal, da drüben. Ist das nicht die Neue?", hörte ich jemanden flüstern, grade als ich das Schulgelände betreten wollte. Und dann fing es an, meine an die Freiheit nicht gewöhnten und ohnehin sehr scharfen Ohren fingen auf dem lauten Platz jede Menge Gerede auf - und fast alles betraf mich, wie ich bemerkte, obwohl ich es nur halb und oftmals lückenhaft ausmachen konnte.

"Dann stimmt es also doch, was man über die Neue..."

"...wirklich eine Füchsin..."

"...ganz anders aus, wenn sie ihre Ohren zeigt! Ich frage mich..."

"...sogar... sein? Die soll ja...ihrem Vater..."

"...sie das?" 

"...so anders aus, als ich erwartet..."

"...nicht ohne Grund so weit oben in der Rangliste! Ich habe gehört, dass sie..."

"...soll sogar Bjarte keine Chance..."

"...sicher nur eine überhebliche Tussi, wie alle Mitglieder der zehn oberen Arten!"

"...so hübsch mit ihren Ohren..."

"Süß, das Rot an den..."

"...sicher maßfertigen lassen und..."

"...habe ein wenig Angst, sie anzusprechen."

"...so cool mit den goldenen Augen, oder etwa..."

Ich merkte, wie meine Nervosität langsam aber sicher die Überhand gewann. Ich musste hier weg und zwar schnell. Ich würde das nicht mehr lange aushalten, ganz sicher nicht. das Gerede schien immer Lauter zu werden und sich wie ein riesiger Turm neben mir aufzuhäufen, ein Turm, der jeden Augenblick auf mich herabfallen und zerquetschen könnte. Nun, würde das passieren, wäre wenigstens die Gefahr überstanden, dass ich die Kontrolle verlor, dachte ich bitter und klammerte mich etwas fester an den Gurt meiner Schultasche.

In wenigen Minuten saß ich aber auch schon sicher im Klassenraum, wo ich noch alleine war. Vorerst. Verdammt, heute hatte ich nur eine Stunde mit Rem, in den anderen Fächern musste ich wohl einfach die Augen zu kneifen und durch. Da konnte man nicht viel machen, es gab halt nur sehr, sehr wenige Fuchsdämonen und die waren meistens auch sehr mächtig. Und was meine Familie anging...

Wieder dachte ich an die Internetseite, die ich zufällig entdeckt hatte. Wieder stieg Wut in mir hoch, als mir der Gedanke kam. "Warum haben sie das bloß verheimlicht?", fragte ich mich murmelnd selbst, sowohl gekränkt als auch wütend darüber. Doch als ich merkte, wie die Gefühle die zerstörerische Kraft in mir freizusetzen begann, leerte ich meinen Kopf schnell wieder. Ich konnte nicht erlauben, dass meine persönlichen Probleme solchen Schaden anrichteten, so wichtig war es auch nicht.

Außerdem sollte ich nicht zu sehr in der Vergangenheit leben, das war nicht gut. Wer nur von der Vergangenheit eingenommen war, oder zu sehr über die Zukunft nachdachte, verpasste das, was in der Gegenwart passierte.

Und außerdem hatte ich es ja schon geklärt. Ich hatte einen Termin, innerhalb von wenigen Wochen wäre die ganze Angelegenheit geregelt. Sicher, ich hatte nicht damit gerechnet, doch es war schon gut. Wie schlimm konnte es schon sein, es war ja immerhin nicht so, als würde ich damit...

Plötzlich riss mich ein sehr gut bekanntes Gefühl aus den Gedanken. Ein Gefühl, das mich von innen heraus wärmte und es mir gleichzeitig eiskalt den Rücken runter laufen ließ, da ich dieses Gefühl einfach nicht unterdrücken konnte. Es war das eine Gefühl, vor dem ich einfach nur wegrennen konnte, ansonsten war ich machtlos.

Mein Blick hob sich vorsichtig und ich sah ihn auch sofort, wie er einem geprügelten Hund gleich da saß und zu mir schaute. Es brach mir das Herz, immerhin war er ein alter Freund, meine erste Liebe und - und das war wohl möglich unter anderem auch der Auslöser für die ersten zwei Sachen gewesen - mein geliebter Gefährte.

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt