Teil 32: Runa

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Gedankenverloren rührte ich in meiner Teetasse, den Blick auf die Welt außerhalb des Teehauses gerichtet. Es war ein alter, eher traditionell eigerichteter Laden, in dem schon von dem köstlichen Aroma des Tees gehüllt wurde, wenn man nur durch die Tür trat. Ich liebte Tees, besonders in solchen Geschäften. Es erinnerte mich immer an die Vater/Tochter-Ausflüge, die jeden Sonntag meiner frühen Kindheit eingenommen und immer in einem ganz ähnlichen Laden geendet hatten. Und auch ohne diese bittersüßen Erinnerungen liebte ich den Laden, da er mich einfach entspannte und es gemütlich war, entspannend, erfrischend.

Doch für all das hatte ich im Moment keinen Sinn, ebensowenig wie für die köstlichen Biskuites und dem lieblich duftenden Veilchentee vor mir. Denn bevor ich hier her gekommen war, hatte ich meine alte Freundin getroffen. Naja, eigentlich war "getroffen" nicht wirklich das richtige Wort. Ich hatte sie nur gesehen, wie sie in das Haus dieser Füchsin gegangen war, die mir meine Freiheit nehmen wollte. Diese Füchsin, die meine Blutschwester werden würde, wenn ich es nicht verhinderte - was zu tun ich mit aller Kraft versuchte.

Jedenfalls hatte ich mir keinen Reim darauf machen können, dass Aja in das Haus dieses... dieses durchtriebenen Luders gegangen war. Vampire hatten keinen eigenen Körpergeruch, immerhin hatten wir ja auch kein Blut in unseren Adern. Viele von uns nahmen Parfüm oder nutzten Shampoos mit Geruch, um einen Körpergeruch vorzutäuschen. Ich, zum Glück, tat dies nicht. So hatte ich von der Füchsin unbemerkt am Fenster stehen können, sodass ich mit meinem guten Gehör ihrem Gespräch lauschen konnte.

Bei dieser Füchsin war es mir egal gewesen, ob ich ihre Privatsphäre damit verletzte, aber Aja war mal meine Freundin gewesen und stand mir auch jetzt noch näher als irgendwer sonst hier. Also hatte ich sie nicht lange belauscht, nur bis ich die zwei Worte aus Ajas Mund gehört hatte: meine Meisterin. Ein stechender Schmerz bildete sich bei diesem Gedanken in meiner Brust und ich biss die Zähne fest zusammen. So war das also.

"Verstehe...", murmelte ich zu mir selbst. "Dann ist Aja also am Ende wirklich zu einer Marionette des Schicksals geworden..." Ein verächtliches Schnauben trat mir über die Lippen. So eine naive Idiotin! Wie konnte sie nur?! Diese Möchtegernfüchsin würde Aja nur ausnutzen, das Schicksal würde sie nur in die Enge treiben, es würde alles nur ein schmerzhaftes Ende finden! Dem Schicksal war nicht zu trauen, es war doch bloß ein mieser Verräter! Ich wusste es ganz genau, das hatte ich schließlich am eigenen Leib erfahren, hatte es mit meinen Augen gesehen. Ich hatte es ihr doch gesagt, also warum hörte sie nicht auf mich? Warum wollte sie es unbedingt selbst erfahren? Reichte es denn etwa nicht, dass ich diese Qualen gefühlt hatte, als es mir klar geworden war?

Und diese Füchsin... Lyra McHeart... Wie konnte diese verzogene Göre Aja nur an sich reißen? Wie konnte die sie nur zu einer Marionette machen? Das war krank, sowas von krank! Das ganze System mit den Bänden des Schicksals war es, ganz ausnahmslos. Und wenn man das dann am Ende schließlich doch noch einsah, war es schon zu spät...

Tränen bildeten sich in meinen Augen, als ich an jene Nacht zurück dachte, in der es für mich und für ihn zu spät gewesen war. Jene Nacht, in dem der Fehler klar wurde, den er begangen hatte - und zwar nur, weil es auf das Schicksal vertraut hatte! Und mir würde das nicht passieren, niemals! Ich würde mich schon dagegen zu wehren wissen...

Tief atmete ich durch, um die Wut aus mir zu vertreiben. Ich war schließlich hier hergekommen, um die jüngsten Geschehnisse zu überdenken und dann abzuhaken. Nun sollte ich nicht über alte Erfahrungen nachdenken, die ich ohnehin besser längst hinter mir gelassen hätte. Schade nur, dass es auch Dinge gab, die einen immer wieder einholten, so oft man sie auch von sich stieß und zurück ließ - und jene Dinge, bei denen man nicht anders konnte, als eben das zu zu lassen.

Ich schüttelte den Kopf. Nein! Nein, ich würde jetzt bestimmt nicht wieder Trübsal blasen. Es war höchste Zeit, Gedanken solch dunkler Natur aus meinem Inneren zu verbannen. Nichts gegen dunkle Gedanken, die konnten von Zeit zu Zeit sogar recht hilfreich sein. Aber diese Gedanken waren auf eine schädliche, schmerzende Weise dunkel und das war sehr, sehr schlecht.

Seufzend trank ich einen Schluck von dem Tee. Er war inzwischen nicht mehr heiß, aber immerhin noch etwas wärmer als lau. So trank ich meine Tee am liebsten, denn dann entfaltete er meiner Meinung nach seinen Geschmack am besten und es war auch am angenehmsten beim Schlucken. Ich sollte mich auf den Tee konzentrieren, auf seinen Geschmack und seine perfekte Imperfektion. Nicht auf Aja oder diese Füchsin, nicht auf die Zukunft der die Beiden blind entgegen steuerten, nicht auf die pechschwarzen Kapitel meiner Vergangenheit, nicht auf mein eigenes Schicksal oder dessen Bedeutung.

Genau. All das war unwichtig, zumindest für mich. Ich brauchte nichts davon. Es war gesünder für mich, wenn ich es aus meinem Leben streichen würde. Von nun an würde ich all diesen Dingen und auch den bloßen Gedanken daran aus dem Wege gehen. Und wenn Aja unbedingt auf die Lügen des viel zu wohlklingenden Wortes Schicksal hereinfallen wollte, dann sollte sie doch! Man konnte wirklich nicht sagen, ich hätte sie nicht genug gewarnt. Aber mich mit in die Fänge dieses zerstörerischen Spinnennetzes ziehen lassen würde ich ganz sicher nicht, nichtmal um der alten Zeiten Willen.

Ich nickte entschlossen. Genau, so war es nämlich, so und nicht anders. Doch als ich in diesem Moment mein Gewicht verlagerte, nur ganz wenig, konnte ich das Metall des Medaillons um meinen Hals fühlen. Vorsichtig zog ich es unter meinem Kleid hervor. Es handelte sich um eine Rose aus Roségold, an einem feinen und langen Kettchen aus Weißgold. Die oberen Ränder der Blütenblätter waren mit winzigen Rubinsplittern verziert, wenn man es aufklappte sah man das Wappen meiner Familie auf der einen Seite und eine Gravur in verschnörkelter Schrift auf der anderen: "love to live; live to be loved". Es war ein Geschenk von Aja gewesen, als wir noch unzertrennlich gewesen waren, und ich hatte es seit dem ich es besaß immer um den Hals.

Seufzend musterte ich meine Tasse, als ich den Anhänger wieder in meinem Ausschnitt verschwinden ließ. "Ich schätze, aus sicherer Entfernung kann ich wohl ein Auge auf sie haben..."

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt