Teil 4: Jurij

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Am Abend hielt ich es einfach nicht länger aus, nur Zuhause rum zu hocken.

Lyra war wieder da, sie war wirklich wieder da, aber anscheinend wollte sie nichts mit mir zu tun haben. Ich verstand das nicht, sie musste es doch auf fühlen, diese Verbindung, wie wir teilten. Sie war meine Gefährtin, Gott verdammt!

Ich meine, sicher, sie hatte nicht nur einen Gefährten, anders als ich. Sie war immerhin eine Füchsin, die Füchse hatten vier. Wenn sie also mit mir, einem ihrer Gefährten, nichts mehr zu tun haben wollte, hatte sie dann einen anderen gefunden?

Nein, das war es nicht. Ein Gefährte war für sie immerhin auch etwas anderes. Für mich war es die eine Person, die ich liebte, der ich mehr vertraute als mir selbst. Für Füchse waren es die vier Personen, die mit ihnen verbunden waren, denen sie vertrauen konnten und von denen sie wussten, dass sie sie nicht verraten würden, einfach schon weil das durch diese Bindung nicht mehr möglich war. Aber das war nicht alles, ich meinte mal gehört zu haben, dass da noch mehr dran war...

Ich stand auf und schlich mich in das Arbeitszimmer meines Vaters. Die Alphas der örtlichen Rudel hatte grade ein Treffen, daher war er nicht da. Trotzdem würde ich in ganz schöne Schwierigkeiten kommen, wenn er merken würde, dass ich hier war. Es gab kaum Dinge, die er so sehr hasste, wie wenn jemand in seinen Räumlichkeiten war und als Alpha konnte er wirklich, wirklich sauer werden. Ich hatte es schonmal erlebt, als ich mich geweigert hatte, bei seinem Blutmondritual mit zu machen.

Das war eine wirklich große Sache, immerhin war es nur sehr selten, dass ein Vollmond und ein roter Mond auf das gleiche Datum fielen, und dann wurden dabei die jungen Werwölfe auch noch zu Erwachsenen erklärt. Aber, Himmel, ich war erst sechs gewesen! Warum ich mit sechs schon zu einem Erwachsenen hatte erklärt werden müssen, das war mir immer noch ein Rätsel. Ich war mir so fehl am Platz vorgekommen, als sechsjähriger zwischen all den Teenagern!

Trotzdem hatte mein Vater, als ich ihm meine Meinung dazu gesagt hatte... Ein Schauer ging mir über den Rücken. Sowas wollte ich nicht noch mal erleben, nein, danke, ich wollte ja nichtmal daran denken.

Aber trotzdem musste das hier sein. Vater hatte nämlich ein Buch über Fuchsdämonen in seinem Arbeitszimmer und ich musste unbedingt mehr über Lyra rausfinden - und darüber, was ich für sie eigentlich genau war.

Es dauerte auch nicht lange, bis ich das entsprechende Buch gefunden hatte, bis ich wieder gehen konnte. Ich wusste, dass ich Zuhause keine Ruhe finden würde. Jederzeit hätte irgendwer vorbeikommen können, jederzeit hätte ich entdeckt werden können. Also ging ich in den Wald, an dessen Rand sich das Dorf unseres Rudels befand.

Der Wald gehörte eigentlich den Elfen, aber mein Vater hatte vor einiger Zeit einen Friedensvertrag ausgehandelt, sodass wir ihn auch benutzen konnten, wir sie dafür aber in Ruhe ließen. Ich erkannte nicht wirklich den Vorteil für die Elfen darin, aber ich würde mich nicht beschweren. Vermutlich hatten sie ohnehin nur zugestimmt, da sie meinen Vater nicht verärgern wollten, und es war ja auch nicht falsch, ein Rudel Werwölfe auf seiner Seite zu haben, wenn es dann doch mal zu einem Kampf kommen sollte. Und ich war wirklich froh, dass wir den Wald nutzen durften. Der Geruch nach feuchtem Laub, das zwitschern der Vögel, die absolute Abwesenheit von jeglicher Technologie oder anderen, menschlichen Erfindungen...

Wölfe gehörten in die Natur, so war es schon immer gewesen. Wenn ich im Wald war, fiel eine Last von meinen Schultern, von der ich sonst nichtmal bemerkte, dass sie überhaupt da war. So war es auch diesmal, als ich mich nahe eines Flusses auf einen Stein setzte und Vaters Buch aufschlug.


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Ich wusste nicht, wie lange ich da saß und las. Wer hätte gedacht, dass es so spannend sein konnte, über eine andere Art zu lesen - oder überhaupt zu lesen? Aber es hatte keine fünf Minuten, eher Sekunden, gedauert, bis ich völlig in den Worten versunken war.

Offenbar hatte bei einem Fuchs jeder Gefährte eine andere Aufgabe, es war vergleichbar mit den Vertrauten einer Hexe. Man betrachtete es bei den Füchsen wohl ein wenig wie ein Kartenspiel, wobei der Fuchs selbst den Joker darstellte. Um den Joker gab es einen Kreis von Gefährten, allen voran der Herzkönig oder die Herzkönigin. Das war dann das, was den Gefährten eines Wolfes am nächsten kam, wenn ich es richtig verstanden hatte. Hier war Liebe und Familie aufbewahrt.

Dann gab es da noch den Kreuzbuben, der wohl so eine Art Berater und gleichzeitig einen extrem guten Freund darstellte. Der Fuchs konnte alle Sorgen und Geheimnisse mit ihm teilen, bekam Ratschläge in jeder Situation, bekam Rückendeckung.

Das Dritte war das Pikass, aber das war nicht wirklich beschrieben. Im Buch stand dazu nur "Jemand, der unterschätzt wird und seine wahren Fähigkeiten nur für seinen Joker einsetzen kann". Es war wirklich eigenartig, wo doch mindestens eine halbe Seite für alle Anderen aufgebracht worden war... Aber ich entschied, dass es nicht weiter wichtig sein würde, also laß ich einfach weiter.

Die vierte Person im Kreis war dann scheinbar die Karodame oder der Karokönig, was sich dadurch entschied, ob der Fuchs eine Herzkönig hatte oder einen Herzkönig. Herzkönig bedeutete Karodame, bei der Herzkönigin war es ein Karokönig. Der Karokönig beziehungsweise die Karodame war dann dafür zuständig, den Joker zu beschützen, als eine Art Leibwächter oder so, nur noch stärker. Es ging dabei anscheinend über das körperliche Wohl hinaus, auch die Gefühle und die Verwirklichung der Ziele des Jokers wurden beschützt.

Interessant war auch, dass keine der Positionen von einem anderen Fuchs eingenommen werden konnte, außerdem musste jeder von ihnen einer anderen Art angehören, zweimal Werwolf im Kreis ging also auch nicht. Jeder im Kreis war unersetzlich und sie war auch die Gefährtin jeder ihrer Gefährten, aber gleichzeitig musste nicht jeder, dessen Gefährte sie war, ihr Gefährte sein. Wirklich verwirrend, aber ich glaubte, es verstanden zu haben.

Das Kapitel endete damit, dass nicht jeder Fuchs überhaupt Gefährten hatte, nur die in den führenden Postionen, und mit einer Erklärung, warum Fuchsdämonen überhaupt nach ihren Gefährten suchten. Offenbar wurde erst dann etwas in ihnen freigesetzt.

Aber ich kam nicht mehr dazu, was genau das war, denn ich wurde von der Stimme meiner Schwester unterbrochen: "Da bist du ja! Mensch, Jurij, was machst du denn für Sachen? Du kannst doch nicht einfach so lange wegbleiben..." Schnell klappte ich das Buch zu und versteckte es hinter meinem Rücken.

"Oh, Kajika.", bemerkte ich nervös, dann erst dämmerte mir, was sie gesagt hatte. "So lange? Wieso, wie spät ist es denn?" "Es ist bald Mitternacht. Komm, du willst doch nicht mehr draußen sein, wenn Vater von seinem Treffen zurück kommt.", entgegnete sie und drehte sich auch schon weg.

Kajika war wirklich viel unhöflicher als ihr Zwilling, aber ich wusste, dass es ihr genauso unangenehm war, bei mir zu sein. Sie zeigte es zwar nicht offen, aber sie hatte noch mehr Respekt vor mir als er. Grade deshalb war sie ja auch immer so schnell wieder weg, wenn sie mich sah.

Seufzend folgte ich ihr zum Haus zurück, denn sie hatte recht: Ich wollte tatsächlich unter keinen Umständen noch draußen sein, wenn Vater nachts wiederkam, besonders nicht mit seinem Buch. Das musste ich schnell zurück stellen, sonst hätte ich wirklich ein großen Problem...

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt