Teil 5: Rem

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"Mister Shá, kommen Sie nach dem Unterricht doch bitte mal zu mir."

Wie sehr ich diese Worte hasste. Zwölf kleine Worte, die ich schon so oft gehört hatte und die mir immer wieder einen Weg in die Hölle garantierten.

Ich nickte Misses Embers kurz zu, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Meine Lehrerin in Geschichte der Magie war recht anstrengend, obwohl sie eigentlich auch ganz nett war. Anstrengend war sie vielleicht ja auch nur mir gegenüber, immerhin war ihr Unterricht nicht meine einzige Verbindung zu ihr - und auch nicht der einzige Ort, an dem sie mir sagen konnte, wie enttäuscht sie von mir war, weil ich ihre lächerlich hoch gesteckten Ziele nicht erreichen konnte.

Den restlichen Unterricht über saß ich still auf meinem Platz und versuchte, möglichst alles mitzubekommen, was Misses Embers da vorne sagte. Als dann - endlich - die Schulglocke ertönte und alle Anderen rausströmten, packte auch ich langsam meine Sachen ein. Erst als auch der letzte meiner Klassenkameraden den Raum verlassen hatte, hängte ich mir den Riemen meiner Tasche um und kam mit gesenktem Kopf nach vorne geschlichen.

Misses Embers beachtete mich zunächst nicht, schloss erstmal die Tür, damit uns niemand hören konnte. Dann erst kam sie zu mir, während ich mich schon auf die Standpauke einstellte, die gleich kommen würde.

"Ich fasse es einfach nicht.", fauchte sie so wütend wie ein Rabe, dessen Ei man zerdeppert hatte. "Tust du nur so, oder bist du tatsächlich so blöd? Weißt du überhaupt, wie peinlich das für deine Eltern ist, dass du nicht zaubern kannst?! Aber, nein, damit noch nicht genug, du bist auch noch in der Theorie lächerlich schlecht. Selbst ein Mensch wäre besser dadrin, als du! Ich sage dir, wenn du nicht mein Neffe wärst, dann hätte ich der Schulleitung schön längst empfohlen, dir einen Verweis zu geben.", schrie sie weiter.

Ich wurde bei ihren Worten immer kleiner, schloss die Augen immer weiter. Irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus, ihren Worten zuzuhören, also zählte ich stattdessen im Kopf einen Countdown ab, wie lange ich hier noch stehen würde. Es war ein Trick, den ich schon vor einiger Zeit entdeckt hatte. Ihre Predigten dauerten immer gleichlange an, so war ich überhaupt erst darauf gekommen. Es war nämlich einfach verdammt schwer für mich, mir das immer wieder rein gedrückt zu bekommen.

Ich wusste ja, dass ich eine Enttäuschung war, weil ich im Grunde genommen nur ein Mensch war, zumindest von meinen magischen Fähigkeiten her. Ich wusste es ja, das wurde mir oft genug gesagt und die Schläge auf dem Flur, die ich nur bekam, weil ich mich nicht wehren konnte, die erinnerten mich auch sehr gut daran.

Aber was sollte ich denn tun? Es war immerhin nicht meine Schuld, dass ich Magie nur spüren und nicht wirken konnte. Es war nicht meine Schuld, dass ich nur Tränke brauen konnte, die eine sehr einfache Wirkung hatten. Es war nicht meine Schuld, ich war einfach so geboren worden.

Aber das war den Leuten natürlich egal. Sie alle hackten auf mir herum, sogar die Kobolde und die waren wirklich schwach, schwächer als Menschen. Nun, es ging nunmal nur nach der Stärke der Kräfte, das war einfach so. Gründe interessierten niemanden hier...

Ich hörte einen Seufzer. Gut, das hieß, dass die Standpauke vorbei war, also würde sie jetzt wieder einen auf liebende Tante machen. Ich wusste es besser, aber das musste ich ihr ja nicht sagen. So heuchelte sie wenigstens ab und an Liebe vor und das war besser, als wenn sie immer nur auf mir rumhackte. Und außerdem wollte mein dummes, dummes Herz sie noch immer irgendwie stolz machen, möglich hin oder her.

"Remus, Schätzchen, du weißt, dass ich mir nur Sorgen um deine Zukunft mache, oder?", fragte sie, eine Hand auf meiner Schulter. Ja, schon klar, um meine Zukunft. Es ging hier nicht irgendwie darum, dass sie das Gefühl hatte, ich war eine Schande für ihre Familie und die könnte dadurch ihren guten Ruf verlieren, oder so...

Aber ich nickte, so wie ich es immer tat. Ich hörte mir noch ihre letzten Lügen an, die im Übrigen auch nicht glaubhafter wurden. Dann ging sie, ließ mich allein zurück mit meinen Tränen. Ich konnte nicht sagen, wie lange es dauerte, bis ich es doch noch schaffte, sie zurück zu drängen, aber ich schaffte es letztendlich und das war das einzige Wichtige. Es war doch eh der gleiche Mist wie sonst auch, ich hatte diese Worte doch schon so oft von meiner Tante gehört.

Seufzend richtete ich meine Tasche und verließ schließlich auch den Raum, um noch pünktlich zum nächsten Unterricht zu kommen. Doch kaum dass ich auf dem Gang war, hörte ich auch schon ein tiefes Lachen, das ich nur allzu gut kannte. Ich biss mir selbst auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien. Das konnte doch wohl alles nicht wahr sein! Erst eine Predigt meiner Tante und dann begegnete ich ausgerechnet ihm, Bjarte War, dem wohl größten Idioten der Schule? Das war einfach nicht fair! Konnte das Universum mir nicht wenigstens eine kleine Pause gönnen?! Dann wiederum war das Leben - besonders das Leben hier - einfach nicht fair, also hätte ich wohl damit rechnen müssen. Meine eigene Schuld, wenn ich noch immer so naiv war.

Ich musste mich einfach nur beeilen, dann würde er mich ja vielleicht nicht bemerken. Ein Versuch war es wert...

"Oh, sieh mal einer an, Rem.", ertönte Bjartes Stimme nur wenige Meter von mir entfernt. Während ich versuchte, einfach weiter zu gehen, verfluchte ich leise Gott oder wer auch immer da oben saß, wenn es denn überhaupt jemanden gab. Aber im nächsten Moment stand auch schon einer seiner Freunde im Weg und keine drei Sekunden später hatte er mich gegen die Spinde gepresst. "Ist nicht sehr höflich, einfach weg zu gehen, wenn jemand mit einem redet.", bemerkte er gespielt gekränkt.

Ach, und jemanden zusammen zu schlagen schon? 

"Ich muss zum Unterricht, also wenn du mich einfach gehen lassen könntest...", murmelte ich, meine Kommentare verkniff ich mir lieber. Natürlich funktionierte es nicht, er drehte sich bloß zu seinen Kumpels um, die gemeinsam mit ihm über meine Worte lachten. "Nicht, bevor wir dir nicht ein paar Manieren beigebracht haben.", flüsterte mir einer von Bjartes Gefolgsleuten ins Ohr, was für noch mehr gemeines Gelächter sorgte.

Ich versuchte nicht, wegzurennen. Das hatte keinen Sinn, das wusste ich aus Erfahrung, ebenso konnte ich nicht auf Hilfe hoffen. Also schloss ich die Augen in der Hoffnung, dass sie es wenigstens schnell zu ende bringen würden, wenn ich nichts tat. Eine lächerliche, naive Hoffnung. Sie passte zu mir.

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt