Das Kleid war wunderschön. Es bestand aus fliederfarbenem Samt, war schulterfrei und hatte Trompetenärmel. Um die Taille war hellblauer Tüll wie ein Gürtel gewickelt, der sanft schwingende Rock darunter war aus Seide. Der Tüll verzierte den Ausschnitt und einen Teil des Rockes. Am Saum glänzte das Kleid violett. Auch meine Handschuhe waren hellblau, ebenfalls aus Seide. Meine Haare waren kunstvoll mit einigen Blumen hochgesteckt. Am beeindruckendsten aber war, dass sie nur durch eine einzige Haarnadel gehalten wurden. "Ihr seht wunderschön aus.", meine Aja lächelnd. Unsicher lächelte ich zurück. Ich war ziemlich nervös geworden und wusste ehrlich gesagt noch immer nicht so richtig, worauf ich mich hier einließ. Wie genau regierte man eigentlich? Und wie sollte ich einen Beraterstab zusammenstellen, wenn ich doch kaum jemanden hier kannte. Verdammt, ich war doch erst vor einem viertel Jahr hier her gezogen! Wie sollte ich da bitte jemanden vertrauen?! Verdammt, ich wünschte, Rem währe jetzt hier... In seiner Gegenwart schien alles immer gleich wieder in Ordnung zu sein. Wenn er da war, fühlte ich mich ruhig, sicher. Zwar auf eine andere Weise, als die Sicherheit, die ich in Ajas Nähe verspürte, aber trotzdem, ich fühlte mich sicher. Wenn Rem da war, dann war ich zuversichtlich, dass am Ende alles gut werden würde. Ich wusste wirklich nicht, was ich ohne ihn machen würde... Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln. Wenn ich zurück daran dachte, wie ich ihn getroffen hatte, wie er da so verletzt am Boden lag; daran, wie er so sehr davon überzeugt war, dass niemand ihn mögen könnte, dass er nichts als eine Schande sei; und daran, wie seine Augen geleuchtet hatten, als wir das mit unser Verbindung herausfanden... Ohne dass ich es gemerkt hatte, war er zu einem unentbehrlichen Teil meines Lebens geworden. Und er hatte sich seit unserem Treffen auch verändert, war wenigstens etwas selbstbewusster geworden - obwohl dieser Tag noch gar nicht so lange her war. Und trotzdem fühlte es sich an, als sei eine Ewigkeit seit dem vergangen. Ich konnte mir nicht mal mehr vorstellen, ihn nicht als meine mentale Stütze an meiner Seite zu wissen. Plötzlich viel mir wieder etwas ein. Etwas, das ich vor langer Zeit absichtlich vergessen, eigentlich mehr verdrängt hatte:
Ich war weggelaufen, einfach aus der Schule weggerannt. Ich wollte niemanden sehen, einfach nur allein sein. Warum war ich weggerannt? Ach, richtig! Sportunterricht. Ich konnte nicht mitmachen, man hätte meine Ohren gesehen, vielleicht sogar meinen Schwanz. Alle machten mit, nur ich nicht. Meine Mutter und Dad hatten den Lehrern eine Entschuldigung gegeben. Ich hätte eine seltene Genkrankheit, weshalb mir Sport schaden würde. Ich dürfte mich nur unter spezieller Betreuung körperlich verausgaben. So falsch war es gar nicht mal, auf jeden Fall war es sehr nah an der Wahrheit dran. Aber irgendwie war das Gerücht entstanden, dass ich nur so tun würde und dass ich einfach nur keine Lust haben würde. Sie sagten das ständig und achteten nichtmal darauf, ob ich es hören konnte. An diesem Tag hatte ich es einfach nicht mehr ausgehalten - also war ich abgehauen. Aber ich hatte mich verlaufen. Egal. Dann würde ich eben länger weg bleiben. Irgendwann würde ich schon zurück finden, so weit war ich ja nicht gelaufen... oder? Da bemerkte ich, wie dunkel es schon war. Weggerannt war ich am späten Mittag, doch nun war die Sonne schon fast am Untergehen. Ich bekam Angst, die Dunkelheit machte mir Angst. Ich wusste nichts Genaues, aber mir war klar, dass das, was meine Mutter so schadete und was ihr so Angst machte, Dunkelheit war. Nicht die, die man mit den Augen sehen konnte, sondern eine andere. Was auch immer das bedeuten sollte. Aber es war dennoch die Dunkelheit, die sie nicht kontrollieren konnte, richtig? Deshalb mochte sie Nächte nicht, oder? Mutter wusste natürlich nichts von meiner Angst, immerhin wollte ich nicht, dass sie sich schlecht deshalb fühlte - oder mich für ängstlich hielt. Füchse sollten stark und mutig sein, und dabei wilder und weniger stolz als Wölfe, das war mir schon klar. Nun aber konnte ich nicht länger mutig sein. Es ging einfach nicht. Wie hätte ich mutig sein können, wenn die Schatten, vor denen sich sogar meine Mutter irgendwie fürchtete, immer näher kamen. Aber ich kannte auch niemanden, konnte nicht nach dem Weg fragen. Es machte mir so sehr Angst, dass ich zu weinen begann. Ich wusste, was Mutter sagen würde, wenn sie es sehen würde: "Ich weiß, mein Herz, ich weiß, du hast Angst. Aber du musst stark sein, okay? Gefühle werden dir irgendwann ganz, ganz doll weh tun. Also sei stark, ja? Kämpfe dagegen an. Tue es, bitte, mein Liebling. Für mich?" Aber sogar für sie konnte ich die Tränen nicht zurück halten zu groß war die Angst, die sich allmählich sogar in eine grauenhafte Panik zu verwandeln drohte. Ich fühlte mich so klein und verloren. Ach, verdammt! Ich war letztendlich doch nur ein jämmerliches, kleines Mädchen. Ich hätte nicht weglaufen sollen. Was hat es mir genutzt? Sicher lachten sie nur darüber... "Äm... Hallo.", hörte ich plötzlich eine zögerliche Stimme. Ich hatte sie noch nie zuvor gehört, daran hätte ich mich erinnert, und doch schien es mir, als hätte ich diese Stimme schon mein Leben lang gekannt. Als sei sie schon immer ein Teil von mir gewesen. Und als ich aufblickte, sah ich ihn: Unsicher stand er da, ein besorgter Ausdruck auf seinem Gesicht. Mit einem Mal war mir, als würde ein angenehmes, reines Feuer durch meine Adern fließen, das mich beruhigte und mir sofort ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Und er war der Auslöser gewesen, der Junge den ich nicht vergessen kann aber den ich nicht zu nah an mich ranlassen durfte. Der Junge, in den ich mich später verlieben sollte und den ich noch immer liebte, durch die Verbindung des Schicksals und darüber hinaus, so sehr dass ich niemals irgendwen sonst ganz in mein Herz hätte reinlassen können, zumindest nicht auf diese Weise. Denn die Person, die ich dort zum ersten Mal traf, war niemand Anderes als Jurij.
Ich wurde zurück in die Realität gerissen, als eine einzelne Träne von meiner Wange fiel. Schnell wischte ich die Spur weg, welche diese hinterlassen hatte, und beruhigte mich selbst, indem ich tiefe Atemzüge nahm. Trotzdem, das Gefühl von damals war durch die bloße Erinnerung zurück gekommen. Nun war ich bereit. Ich nickte Aja zu und sie nickte zurück, meine nonverbale Botschaft sofort verstehend. Kurz schloss ich noch meine Augen, dann ging es los. Aja lief dicht hinter mir, als ich einlief. Zum Einen natürlich, um zu symbolisieren, dass sie den Posten als meine Beschützerin anerkannte, und zum Anderen, um mich mental zu unterstützen. Ich war wirklich dankbar dafür. Ich konnte es wirklich gebrauchen, auch wenn ich noch immer keine Gefühle in mir trug. Da aber halb Featherfield - eigentlich eher die komplette Stadt, wie mir schien - in dem Raum der Zeremonie versammelt war, was es meinen Knien egal, dass sie grade nicht schwach vor Aufregung und Angst werden konnten. Doch das Schlimmste war, als ich vorne angekommen war, an dem Platz, an dem ich meinen Schwur ablegen würde. Denn da passierte es plötzlich wieder...
Oh, Himmel, nein! Bitte, alles, nur das nicht! Nicht schon wieder, nicht hier und jetzt...
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Die Dämonenspiele der Dolchherzen
FantasyLyra ist neu in Featherfield, einer Stadt nur für nicht-Menschen. Davor hat sie in der Welt der Menschen gelebt, hat sich wie ein Mensch verhalten, hat so getan, als sei sie ein Mensch. Eine schwere Aufgabe, wenn man Fuchsohren auf dem Kopf hat... ...