Teil 18: Lyra

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Ich wollte grade zum dritten mal versuchen, den Grund für die Panik meiner beiden Gesprächspartner herauszubekommen, da begann die zierliche Mientje auch schon, vorsichtig weg zu gehen. Schritt für Schritt ging sie zurück, sehr langsam, als würde ich mich sonst auf sie stürzen und sie erwürgen.

"A-Also, es w-war j-ja sch-schön, d-d-d-d-dich m-mal wieder z-zu s-sehen.", stotterte sie dabei, "A-Aber l-leider m-m-müssen w-wir d-dann auch z-zum U-Unterricht. V-Von daher..." Sie lachte nochmal nervös und im nächsten Moment rannte sie auch schon fluchtartig weg, ihren Bruder hinter sich herziehend.

"Meldet euch doch mal wieder.", rief ich ihnen noch hinterher, doch sie antworteten nicht. Hätte ich bei diesem Verhalten ehrlich gesagt auch nicht erwartet, doch es kam mir alles sehr komisch vor. Was hatten sie den plötzlich bloß? Verrückt,. Dabei waren wir mal so gut befreundet gewesen...

In dem Moment überkam mich auch schon die inzwischen so vertraute Leere in mir, in der ich meine Gefühle einfach fehlten. Ach, wie entspannend das doch war, wenn ich das alles nicht zurückhalten musste!

"Was war denn das?", fragte mich Rem von hinten, seinem Ton nach zu urteilen genauso verwirrt wie ich. Ich drehte mich zu ihm um und seufzte. "Scheint, als hätten sie sich auf Französisch verabschiedet...", murmelte ich.

Rem rollte bei meiner Antwort mit den Augen. "Ja, das habe ich gesehen, aber wie kommt's?"

"Mientje und Cajetan sind eigentlich alte Schulfreunde von mir, vor vier oder fünf Jahren.", erklärte ich ihm schulterzuckend, "Wir haben uns immer ganz gut verstanden, bis zum Schluss, als sie dann weggezogen sind. Grade hab ich sie zum ersten Mal seit dem wiedergesehen, aber auf einmal hatten sie furchtbare Angst von mir. Keine Ahnung, warum." Ich sah nochmal in die Richtung, in der das Geschwisterpaar verschwunden war. Es kränkte mich ja schon, musste ich gestehen. Was war bloß passiert, dass sie plötzlich so anders reagierten?

"Meinst du, es ist deshalb?", fragte Rem, einen Finger über seinen Kopf, wo bei mir die Fuchsohren waren. Ich schüttelte den Kopf.

"Wir wussten schon immer, was die Anderen waren. Sie waren kurz vorher von einer Werkatze gekratzt worden, was sie verwandelt hat. Ihre Eltern waren tot und sie lebten in einem Waisenheim in der Nähe. Weil sie sich nicht mit dem ganzen Übernatürlichen Kram auskannten, habe ich es sofort bemerkt. Daraufhin haben ich und mein Vater ihnen geholfen, sich daran zu gewöhnen. Vater erklärte ihnen dann alles über unsere Welt, auch dass sie bereits Werkatze in sich gehabt haben mussten, damit sie überhaupt verwandelt werden konnten. Er war es auch, der dafür sorgte, dass sie in eine übernatürliche Stadt ziehen konnten, damit sie ihre neue Seite ohne Probleme erproben konnten. Ich hatte keine Ahnung, dass die Stadt, in die er sie hat ziehen lassen, Featherfield war." Ich seufzte erneut und murmelte traurig: "Es muss irgendwas ganz, ganz Schlimmes passiert sein, dass sie so reagieren. Leider weiß ich aber einfach nicht, was es sein könnte..."

Rem lächelte mich aufmunternd an, nahm meine Hand und drückte sie. Dann, ganz urplötzlich, hellte sich sein Gesichtsausdruck auf. "Ich denke, ich weiß etwas, womit ich dich aufmuntern kann.", teilte er mir erfreut mit, wieder so aufgeregt wie vorhin.

Er griff in seine Tasche und holte ein ein Gefäß, das wie Reagenzglas aussah und eine bläuliche Flüssigkeit in sich trug, aus seiner Tasche. Es war fest mit einem Schraubverschluss zugedreht, sodass die Flüssigkeit ja nicht entweichen konnte, doch diesen öffnete er. Sofort begann die Flüssigkeit, einen violetten Rauch zu verteilen und es bildeten sich blutrote Blasen an der Oberfläche. Mit dem Rauch wurde auch ein Duft in der Luft verteilt, der mich leicht schwindelig machte, auch wenn er an sich angenehm war. Es roch nach Rosen und Lavendel, und auch ein wenig nach Schocklade. Nur war er eben so süß, dass es kaum auszuhalten war.

"Hier.", sagte Rem und überreichte mir das Gefäß mit der Flüssigkeit. "Das ist für dich, ein ganz besonderer Zaubertrank."

Überrascht nahm ich das Glas an mich, dann sah ich ihn durch den Rauch hindurch fragend an. Hatte er das vorhin auch schon gehabt? Das hätte ich doch gemerkt, wenn das die ganze Zeit in seiner Tasche geklirrt hätte und außerdem hätte er doch sehr vorsichtig mit seiner sein müssen, immerhin war das Gefäß aus Glas.

Ach so, richtig, er war ja nochmal zurück gegangen, weil er etwas vergessen hatte. War mir ganz entfallen. Dann war es also das hier? Ich sah das noch immer schäumende und rauchende Zeug im Inneren an.

"Und was für ein Trank wäre das?", fragte ich nach.

"Na, was wohl, Dummerchen? Das ist der, den du am meisten gebrauchen kannst: Einer, der Gefühle auf einen kurzen Zeitraum hinweg völlig verstummen lässt.", lachte Rem.

Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf vor lauter Staunen. "Wirklich? Wow, danke!" Ebenfalls lachend fiel ich ihm um den Hals. "Hast du das selbst gemacht?", fragte ich, nachdem ich mich wieder von ihm gelöst hatte.

Er nickte. "Mein Vater ist sehr berühmt für seine Tränke, also hab ich ihn es mir zeigen lassen. Natürlich, ohne ihm den Grund zu verraten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich es hinbekommen habe, aber naja...", erklärte er überschwänglich. Es war wirklich süß, wie er so aufgeregt und stolz vor mir stand. Wie ein kleines Kind, das grade sein Schwimmabzeichen bekommen hatte.

Da wurde mir klar, dass es vermutlich der erste wirklich schwere Trank war, den er zu machen geschafft hatte. Rem hatte mir von seinen Problemen mit der Magie erzählt und auch davon, dass ich mich vermutlich nicht mit ihm sehen lassen wollte, doch das war mir völlig egal. Wie hätte es das auch nicht sein sollen, immerhin war er ein super netter Freund und ich hatte fast mein gesamtes Leben unter Menschen verbracht.

Es war wirklich unfassbar, wie oberflächlich und ungerecht die Wesen waren, die sich hier aufhielten. Na, wenigstens musste ich jetzt meine wahre Identität nicht verstecken. Oder zumindest nicht mehr ganz...

"Weißt du, Rem, du bist ein viel besserer Hexer, als du denkst, wenn du mich fragst.", lobte ich ihn, woraufhin er gleich rot anlief. Er war wohl noch nicht sonderlich oft für etwas gelobt worden. "Und der beste Freund, den ich jemals hatte, bist du auch."

Damit zog ich ihn in eine feste Umarmung, bevor wir gemeinsam in den Unterrichtsraum zurück kehrten, das Fläschchen wieder verschraubt in meiner Jackentasche und das Drama mit meinen alten Freunden längst vergessen.

Vorerst zumindest...

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt