Teil 28: Aja

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"Oh. Hallo, Fisch."

Bei ihren kühlen Worten verdrehte ich nur die Augen. "Wirklich netter Spitzname, wandelndes Klischee!", entgegnete ich, als ich vor ihr stehen blieb. Sie hatte eine behandschuhte Hand in die Hüfte gestemmt, die Lippen aufeinander gepresst. Scheinbar war sie genervt. Es musste wohl irgendwas passiert sein.

"Du aber auch, Aglaja. Wie ich sehe, hast du deine Stief-Schlangen bei dir. Wie süß. Der Große scheint noch immer nur Muskeln und kein Hirn zu haben, und der Kleine ist nach wie vor schwächer als eine Ameise. Hat sich ja nicht wirklich viel geändert, was?"

Hinter mir schnaubte Bjarte verächtlich über die Worte meine alten Freundin, während Askjell sich ein leises Lachen nicht verkneifen konnte. Er war immer schon ein Fan ihrer Wortwahl gewesen, auch wenn diese oft sehr arrogant und beleidigend ausfiel. Doch er kannte sie gut genug, um durch diese Maske sehen zu können, wie ich es auch tat. Daher machte ich mir auch nichts daraus, dass sie meinen ganzen Namen gesagt hatte, den ich so überhaupt nicht leiden konnte. Oder dass sie mich und meine Brüder beleidigt hatte.

Also drehte ich mich stattdessen zu den drei Wertieren, die verwirrt zwischen uns hin und her sahen, um. "Darf ich vorstellen? Das ist Runa Månstad, eine alte Freundin von mir. Sie ist die dritte Prinzessin der Vampire und neu an der Schule. Die letzen paar Jahre war sie außerhalb der Stadt, um am Internat ihrer Mutter zu lernen. Jetzt ist sie hier."

Runa schnaubte verärgert darüber, dass ich die Vorstellung übernommen hatte. "Wie auch immer. Tja, ihr braucht mich dann wohl nicht länger, also entschuldigt mich."

"Warte! Wenn du neu bist, soll ich dich dann etwas rumführen?", bot Mientje freundlich an. Das schien das Fass zum überlaufen zu bringen.

"Nein! Ich bin nicht hier, um einen auf Tourist zu machen. Außerdem habe ich weder etwas mit dem Köter da, noch mit dem gestiefelten Kater oder dir zu tun, Mitze, und das will ich auch nicht!", fauchte sie ungehalten. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Das war so gar nicht ihre Art. Was war denn los?

Sie richtete sich wieder auf, nickte mir und meinen Brüdern zu. "Kaulquappe, Schlange eins, Schlange zwei.", zählte sie uns dabei mit ihren obskuren Spitznamen auf. "Auf Wiedersehen. Obwohl... Hoffentlich nicht."

Damit drehte sie sich um und rauschte ins Sekretariat. "Sie war sauer.", bemerkte Askjell hinter mir, wofür er ein zustimmendes Brummen von unserem Bruder erhielt. Seufzend drehte ich mich zu den Wertieren, die ihr sprachlos hinterher sahen.

"Nehmt es ihr nicht übel.", bat ich sie, mich für Runa entschuldigend, "Sie scheint einen schlechten Tag zu haben. Sonst ist sie nicht so... aggressiv. Überheblich und besserwisserisch, mit einer Vorliebe für beleidigende Spitznamen, ja, aber nicht... das."

"Sie hat mich einen Köter genannt.", meinte der fast-Alpha bloß, noch immer völlig überrumpelt.

"Ja... Sie mag Werwölfe nicht sonderlich. Alter Hass vom Krieg, weißt du? Die kriegt sich schon wieder ein, keine Sorge."

"Ich kann euch sehr gut hören!", schrie Runa plötzlich hinter der Tür.

"Na, und?", rief Bjarte zurück, woraufhin ein dumpfer Ton erklang, als hätte sie gegen die Wand geschlagen. Etwas Beton rieselte auch von der Decke, also war vermutlich genau das passiert.

"Unterschätz mich nicht, Schlangenauge!", rief sie zurück.

"Ja, ja, was immer du meinst.", murmelte mein Bruder zurück und brachte uns alle zum Lachen. Gemeinsam gingen wir ein Stück zum Unterricht, denn Artenkunde hatten wir alle gemeinsam. Ein langweiliges, aber notweniges Fach. Tja, immer noch besser, als Vergangenheit der Magie. Da schlief ich immer fast ein...


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"...eine irische Todesfee, die ihren Kopf für gewöhnlich unterm Arm trägt.", erklärte Miss Brunner grade. Verdammt nochmal, warum hatten wir heute ausgerechnet ein so langweiliges Thema?

Aber bald war die Stunde geschafft. Wieder seufzend wanderte mein Blick auf die tickende Uhr. Genauer gesagt auf den Sekundenzeiger, der stetig voran schritt und mich der Erlösung somit immer näher brachte.

Einmal nicht einschlafen...

Zweimal nicht einschlafen...

Dreimal nicht einschlafen...

Viermal nicht...

Okay, das Zählen ist irgendwie nicht so hilfreich. Ich muss mir etwas Anderes einfallen lassen...

Während unsere Lehrerin vorne ihren Monolog hielt, war die Klasse tatsächlich mal ruhig. Ihr ernst? Was fanden die denn daran so spannend? Oder aber es lag daran, dass Miss Bruner selbst eine Banshee war, und sie niemand verärgern wollte. Lehrer konnten ja gruselig sein, einige zumindest, aber eine Todesfee? Zwar nur auf Rang einunddreißig, aber trotzdem sehr gefährlich, besonders wenn sie wütend waren.

Moment, dürfte sie mich jetzt eigentlich töten? Also, wenn ich aufstehen würde und einfach gehen, oder so? Irgendwas, was sie halt so richtig wütend machen würde? Ihre Mordlust provozieren? Immerhin ist sie meine Lehrerin, dann sollte es da doch eine Regel geben, oder? Sowas wie "Schüler dürfen nicht getötet werden"? Ich meine, ich weiß, dass es verboten ist, Schüler zu schlagen und so. Aber steht da eigentlich auch etwas von töten?

Mein Blick richtete sich wieder auf meine Lehrerin, die nun vorne mit einem extrem unheimlichen Lächeln und sehr, sehr, sehr detailliert erklärte, wie das Töten genau funktionierte.

Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, genauso wie sich ein Würgereiz in meiner Kehle bildete, als sie sagte: "Und dann läuft das Blut aus allen Poren heraus, wie Schweiß, nur eben tödlicher. Es kommt auch aus den Augen und den Ohren, der Nase, dem Mund... Äm... Manchmal verklumpt es schon dabei, das sieht dann eigenartig aus, aber ansonsten ist es eigentlich ganz schön, so im Allgemeinen."

Ja... Ich würde es nicht darauf ankommen lassen, ob es tatsächlich so eine Regel gab, entschied ich. Wieder schüttelte ich mich, aber nur innerlich. Ich hatte wirklich Angst, dass es sonst nicht so gut für mich ausging...

Doch da ertönte auch endlich das erlösende Leuten. Ah! Der - besonders im Moment - schönste Ton, den ich in meinem Leben jemals gehört hatte: die Pausenglocke! Schnell stopfte ich meine Sachen in die Schultasche und flüchtete aus dem Raum, noch bevor sie sagte, dass sie uns entlassen hatte. Und es ging nicht nur mir so, sondern fast der ganzen Klasse.

"Das war mal... anders.", bemerkte Askjell neben mir, dessen grüne Haut wirklich blass aussah, fast schon blau. Bjarte sah ihn fragend an, ein Schlafabdruck auf seiner Wange. Entgeistert sah ich ihn an. Was zum...?! Wie hatte er die ganze Stunde über schlafen können? Gut, ich war auch fast eingeschlafen, aber...

Ich machte grade den Mund auf, um ihn darauf anzusprechen.

Und in dem Moment passierte es, einfach so.

Ich fühlte es, wie es mich rief. Wie es durch meine Adern floss. Die ganze Welt um mich herum war auf Pause gestellt, oder zumindest wirkte es für mich so. Nur sie war noch da. Und sofort wusste ich: Sie war es. Sie war diejenige, die ich so lange gesucht hatte. Ja, kein Irrtum möglich. Definitiv. Sie war mein Master!

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt