Verrückt. Es war einfach nur verrückt. Aber auf eine gute Weise, glaubte ich. Zumindest fühlte es sich nicht schlecht an, aber konnte man sowas im Voraus sagen? Nein, eher nicht. Nicht mir so wenig Erfahrung zumindest. Aber wo hätte ich mehr davon herbekommen sollen? Es gab ja schließlich nur eine Meisterin.
Ich vertraute ihr aber, würde ihr blind folgen. Nein, es war mehr als das. Alles um mich herum verblasste im Gegensatz zu ihr, ich hätte alles für sie getan, alles für sie ertragen. Es war verrückt, das wusste ich, aber ich hätte mich sogar umgebracht, wenn es für sie gewesen wäre - und ich hätte jeden mit in den Tod genommen. Trotzdem es fühlte sich doch auch gut an. Dieses Band floss durch meine Adern, begleitete mein Blut. Es vervollständigte mich, gab mir einen Sinn, spülte all meine persönlichen Probleme mit den Wellen in der Bucht meines Herzens hinfort. Ich hatte mich mein Leben lang noch nicht so ruhig gefühlt, hatte mich noch nie so etwas hingegeben, wie nun mit dieser Loyalität.
Ich fühlte mich stärker. Magisch, mental und auch körperlich. Und all das nur, weil sie aufgetaucht war.
Meine Gedanken wanderten wieder zu dem Augenblick, als sie zu mir gegangen war. Zu dem Gefühl, als ich mich vor ihr niedergekniet hatte. Wie sie mir gesagt hatte, dass ich das nicht tun brauchte. Jede Sekunde, die ich bei ihr war, machte mich glücklich. Ich hoffte, dass ich sie auch glücklich machen würde, dass sie ebenso stolz darüber sein würde wie ich, dass wir dieses Band teilten.
Nach einer Weile kam ich endlich bei ihrem Haus an und - gütiger Himmel - es war riesig! Ich schmunzelte. Vermutlich kein Wunder, gemessen daran, wer sie war. Sie war immerhin die nächste Regentin dieser Stadt! Nicht, dass sie das gesagt hatte oder so. Allerdings hatten wir Meermenschen eine extrem sensible Wahrnehmung, wenn es um die gesellschaftliche Position ging. Wir nahmen es wahr, wie sichtbares Licht oder hörbare Töne. Das alles waren Wellen und als was es letzen Endes wahrgenommen wurde, war nur davon abhängig, welche Frequenz sie hatten. Einige besonders begabte Meermenschen sollten sogar in der Lage sein, diese Frequenzen zu verändern. Etwa aus Schall Licht zu machen oder auch Infrarotstrahlen. Aber das war ein anderes Thema.
Jedenfalls sendeten Personen auch Wellen ab, nur war das den Wenigsten bewusst. Ohne diese Wellen, die von dem Meervolk auch die "Charasten" genannt wurden, könnte es sowas wie Gefährten, Vertraute, Blutgeschwister, Ahiaschda oder wie diese schicksalsgebundenen Verbindungen nicht alle hießen auch gar nicht geben. Sendeten die Leute die gleichen Charasten ab, war eine solche Verbindung überhaupt erst möglich. Doch nur sehr selten wurde das Band vom Schicksal dann auch geschlossen. Und der Charast konnte noch viel mehr! Ich wusste nichtmal von allem, nur von wenigen seiner Eigenschaften.
Wie etwa, dass er Auskunft über grundlegende Sachen über die Persönlichkeit gab - oder eben auch den in der Gesellschaft vorgesehenen Stand. Wie sensibel man für den Charast anderer Personen war, hing immer von eben diesen Gegebenheiten ab. Dämonen zum Beispiel konnten oftmals die "Aura" sehen, welche dann aus dem abgesonderten Charast bestand. Und zwar aus dem Teil, der aus dem Charakter bestand. Es war wirklich unfassbar spannend, und doch war es zugleich irgendwie langweilig und eigentlich ja auch nur nutzloses Wissen.
Ich schüttelte den Kopf. Warum dachte ich grade an sowas? Eigentlich sollte es doch viel wichtigere Dinge geben, um die sich meine Gedanken kreisen konnten. Nein, so stimmte das nicht ganz. Eigentlich dachte ich daran, weil es so viel Wichtigeres gab. Ich wollte mich ablenken, hatte irgendwie Angst. Immerhin würde ich, wenn ich nun klingeln würde, meine Meisterin kennen lernen, sie wirklich kennen lernen. Unser erstes Treffen war so kurz gewesen, so stark von unserem Band beeinflusst, dass es nicht wirklich zählte. Wir hatten kaum miteinander geredet, ich wusste fast nichts über diese Fuchsdämonin, der von nun an meine eisigen Klingen gehörten.
Seufzend trat ich vor, denn, so sehr er mich durch sein unmittelbare Bevorstehen nun auch ängstigte, ich wollte diesen Augenblick doch im Grunde schon seit einer Ewigkeit erfahren. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, bevor ich schließlich, endlich die Türklingel betätigte. Ich konnte sie von drinnen hören, ein schöner Klang. Wie die Glocken eines Kirchturmes, und doch nicht ganz so dominant. Es dauerte nicht lange, bis ich Schritte hörte, die näher kamen. Und innerhalb von wenigen Momenten wurde dann schließlich die Tür geöffnet von ihr, meiner Meisterin, und sie sah mich aus ihren strahlenden Augen an.
Verblüffend, wie zerbrechlich die Augen einer so tough wirkenden Person sein können...
"Aja! Wie schön, dass du gekommen bist. Komm doch rein.", begrüßte sie mich lächelnd und tat einen Schritt zur Seite, um mir Platz zu machen. Ich deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an und folgte ihrer Anweisung.
Sie führte mich durch den geräumigen Flur, in ein helles Zimmer. Ein Erker war an einer Seite eingelassen, die Wand gegenüber davon schien nur aus Fensterglas zu bestehen. Neben der Tür war ein Kamin angebracht, in dem ein ein Feuer knackend Holz und Zeitung zu Kohle verarbeitete. Lyra schloss die schwere Tür hinter uns und setzte sich wortlos auf einen der gemütlich aussehenden Sessel in der Raummitte. Mit einer Geste deutete sie mir, es ihr gleich zu tun, bevor sie auf den teuren Beistelltisch vor sich griff. Als ich mich auf das Sofa ihr gegenüber gesetzt hatte, sah ich, was sich dort befand. Zuvor hatte ein weiterer Sessel meine Sicht versperrt, doch nun erkannte ich, dass sich dort ein Tablett mit einem englischen Teetassen Set befand.
"Möchtest du auch einen? Ich habe ihn selbst zusammengestellt, hauptsächlich mit Apfel und Ingwer.", bot sie mir an. Ich nickte, also schenkte sie zwei Tassen ein. "Zucker? Milch?" Ich schüttelte nur den Kopf. Noch immer war ich so nervös, dass ich meiner Stimme nicht traute. Ich hatte so Angst, dass ich etwas falsch machen oder ihr nicht gefallen könnte. Irgendwie fühlte es sich ein wenig wie ein Test an. Und irgendwie war es es ja auch wie ein Test, wenn ich so darüber nachdachte.
Lyra lächelte mich freundlich an, als sie ihre eigene Tasse an den Mund führte. "Danke, dass du gekommen bist. Und es tut mir leid, dass ich so schnell gegangen bin.", startete sie das Gespräch.
"Kein Problem, meine Meisterin, beides nicht. Aber, sagt, warum seid Ihr eigentlich so eilig gegangen?", entgegnete ich, da ich endlich meine Stimme wiedergefunden hatte. Lyra seufzte, ihr Lächeln wurde etwas traurig. "Das ist eine lange Gesichte.", sagte sie und stellte ihre Tasse wieder ab, "Und einer der beiden Gründe, warum ich dich herkommen lassen wollte. Ich denke, bevor wir zulassen, dass sich unsere Verbindung ganz schließt, solltest du es wissen. Nur versprich mir, dass du, auch wenn du mich dann als Monster siehst, mich ausreden lassen und sowieso niemandem davon erzählen wirst."
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Die Dämonenspiele der Dolchherzen
FantasyLyra ist neu in Featherfield, einer Stadt nur für nicht-Menschen. Davor hat sie in der Welt der Menschen gelebt, hat sich wie ein Mensch verhalten, hat so getan, als sei sie ein Mensch. Eine schwere Aufgabe, wenn man Fuchsohren auf dem Kopf hat... ...