Runen war so unglaublich langweilig! Wer auch immer das auf den Stundenplan gesetzt hatte, musste Schüler hassen, abgrundtief. Was interessierte ich mich für den Kram? Immerhin war es ja nicht so, als würde ich das brauchen.
Nur wenige Arten konnten Runen mit Magie aufladen, denn dafür musste man zunächst mal Magie wirken können. Und überhaupt sahen die doch eh alle gleich aus. Ein, zwei Striche änderten sich, und schon bedeutete es etwas völlig Anderes, also wie sollte ich die Dinger auseinander halten können?!
Seufzend sah ich aus dem Fenster. Na, wenigstens war schonmal die erste Hälfte vorbei...
Plötzlich unterbrach ein Klopfen den Monolog von Miss Summers, dem ohnehin niemand folgte. "Ja, bitte?", rief die junge Frau, ohne aufzuhören, ihre Zeichen an die Tafel zu schreiben. Vorsichtig wurde die Tür geöffnet - und als ich sah, wer da stand, fiel mir der Kugelschreiber aus der Hand. Egal, ich hatte eh nur so getan, als würde ich mitschreiben.
"Ich entschuldige mich für die Verspätung.", sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. "Ich habe den Raum nicht gefunden. Wenn Rem hier mir den Weg nicht gezeigt hätte, würde ich vermutlich immer noch rumirren." Bei dem letzten Satz zog sie einen Jungen in den Raum, der mit hochrotem Kopf zu Boden starrte.
Ja, Rem hasste es wirklich, im Mittelpunkt zu stehen. Er hatte wieder einen blutverschmierten Mund und ein blaues Auge, also war er wieder von Bjarte und seiner Gang aufgehalten worden. Der Arme, aber ich konnte da nichts tun.
Eigentlich hielt ich auch generell meine Finger aus dem Speil bei Dingen, die mich nichts angingen. Als nächster Alpha musste ich nunmal daran denken, dass meine Taten das Rudel präsentierten, da konnte ich nicht alles tun, wonach mir der Sinn stand. Rem zu verteidigen könnte auf einen Krieg zwischen Bjartes Familie und meinem Rudel führen. Das war etwas Anderes, als wenn man nur für sich selbst verantwortlich war.
"Ah, Sie sind die Neue.", bemerkte die Lehrerin, ohne auf Rem zu achten. Ihre Augen sahen kurz auf ihre Notizen. "Miss Lyra McHeart, richtig?" Leise pfiff die Lehrerin durch die Zähne, wiederholte Lyras Nachnamen kaum hörbar. Lyra hingegen lächelte nur weiter, nickte dabei einmal kurz. "Gut, dann setzen Sie sich. Mal sehen, wo ist den noch etwas frei...?", fuhr Miss Summers fort. Sofort gingen etliche Hände hoch, vermutlich nur, weil sie Lyras Nachnamen mitbekommen hatten.
Lyra wusste das sicher auch, aber irgendwo würde sie sich ja hinsetzen müssen, also hatte sie kaum eine Wahl, als eine dieser scheinheiligen Angebote anzunehmen. Innerlich seufzte ich, da der Platz neben mir von einer Schülerin besetzt war, deren Namen ich ständig vergaß. Eine Elfe, glaubte ich.
Doch Lyra tat etwas, das Keiner im Raum erwartet hätte: Sie schaute zu dem inzwischen auf seinem Platz sitzenden Rem, der seine Sachen auspackte und ihren Blick nichtmal zu bemerken schien. "Wenn es möglich wäre, würde ich gerne da sitzen, bitte.", bat sie Miss Summers, den Zeigefinger auf den Platz neben Rem gerichtet.
Die Lehrerin war nicht weniger überrascht als ihre Schüler, besonders Rem selbst, der aussah, als habe er einen Geist gesehen. "Da? Aber... J-ja, sicher. Setzen Sie sich, wir fahren mit dem Unterricht fort."
Mit ihrer tierischen Grazie glitt Lyra auf ihren neuen Platz in der letzen Reihe, gefolgt von sämtlichen Blicken. Rem schien noch immer zu verarbeiten, was da grade passiert war, eingefroren in seiner Bewegung. "Es stört dich doch nicht, oder Rem?", fragte sie ihn freundlich. Zu mir war sie nicht so höflich gewesen, nichtmal als wir noch befreundet gewesen waren...
Rem schüttelte panischen den Kopf, sah sie dann, noch immer kreideweiß, an und bekam mit Ach und Krach grade mal ein "A-Aber...W-W-W-Wieso?" heraus. "Na, warum wohl, Dummerchen? Na, wir sind doch jetzt Freunde!", entgegnete sie vergnügt, ebenfalls ihre Schreibsachen herausholend. Er sah sie an, starrte sie noch weiter an, wie es auch der Ret der Klasse tat, sah sie dann noch etwas an, und legte schließlich seinen Block doch noch auf den Tisch. "Oh", murmelte er schließlich, wofür er wieder ein vergnügtes Kichern von ihr erntete.
Miss Summers führte indies ihren Unterricht über gleichaussehende Symbole weiter, weshalb ich mich wieder nach vorne wand, doch meine Gedanken bleiben bei den beiden Verspäteten. Sie kamen gemeinsam zu spät, sie setzte sich zu ihm, sie nannte ihn einen "Freund", sie lächelte und kicherte die ganze Zeit - was ich wohl bemerkt noch nicht bei ihr gesehen hatte, seit sie gestern wieder da war, und ich hatte sie in den Pausen beobachtet! -, er stotterte zum ersten Mal, seit ich ihn kannte...
Ein leises, aber sehr bedrohliches Knurren kam mir über die Lippen. Ich wusste, es war noch zu früh, um Schlüsse zu ziehen, aber wenn er mit ihr zusammen gekommen war, dann hatte er damit sein Todesurteil unterschreiben! Sie gehörte mir, vielleicht nicht nur mir, aber immerhin war sie meine Gefährtin!
Aber nicht jeder, dessen Gefährte der Fuchs ist, ist auch ein Gefährte des Fuchses.
Als mir das gestern Gelesene wieder einfiel, legte sich ein schweres Gewicht auf mein Herz. Ich konnte nur sie lieben und ich liebte sie schon mein Leben lang, aber trotzdem bestand die Chance, dass sie mich nicht liebte. Das war nicht fair! Warum musste das Schicksal sie wieder zu mir führen, nach all den Jahren mit gebrochenem Herzen, nur um die zerbrochenen Stücke auch noch zu zerdeppern? Das Schicksal war also tatsächlich ein sadistisches Miststück!
Aus dem Augenwinkel sah ich wieder zu ihr rüber. Sie sah so glücklich aus. Das freute mich auch, ich gönnte ihr die Freude, das tat ich, wirklich. Es war nur so... so schmerzhaft, sich vorzustellen, dass es wegen einem Anderen war.
Den Rest des Unterrichts dachte ich darüber nach, wie ich sie ansprechen sollte. Sie beantwortete in dieser Zeit jede der Fragen von Miss Summers richtig, jede einzelne. Unglaublich, dass sie diese Dinger tatsächlich unterscheiden konnte... Schön, stark, nett und klug...
Dann fiel mein Blick wieder auf Rem, der still neben ihr saß und sich Notizen machte. Was sah sie in ihm? Tatsächlich nur einen Freund... oder mehr? War er vielleicht sogar ihr Herzkönig? Ich wollte es mir nicht vorstellen, aber um ehrlich zu sein bestand die Möglichkeit sehr wohl. Ich sollte es zumindest in Betracht ziehen, das musste ich.
Trotzdem, jemand wie der als ihr Gefährte der Liebe? Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, immerhin war der doch bloß... Moment! Warum sah ich denn jetzt auf ihn herab? Eigentlich hatte ich ihn doch immer gut leiden können, wenn ich ihn auch nicht wirklich gekannt hatte.
Hm, diese Gefährtengeschichte entschied wohl mehr, als nur meine Gefühlslage...
In diesem Moment ertönte die Pausenklingel und unterbrach damit meine Gedanken. Schnell räumte ich alles zusammen, dann wartete ich, damit ich Lyra abfangen könnte. Ich hätte mich nicht beeilen müssen, sie ging eh mit als Letztes nach draußen. Na, umso besser.
"Lyra...", sprach ich sie an, als sie an meinem Platz an der Tür vorbeikam. Sie drehte sich zu mir, in ihrem Gesicht wieder ein kalter Ausdruck. "Hm?" "Also, wegen gestern", begann ich nervös. Sie rollte bloß genervt mit den Augen. "Was davon?" Sie war wieder sauer. Nicht gut.
"Du hast mir immer noch nicht wirklich einen Grund genannt, warum du mir aus dem Weg gehst.", äußerte ich vorsichtig. "Du willst einen Grund? Gut, es ist der gleiche Grund, aus dem ich vor zwölf Jahren den Kontakt abgebrochen habe: Ich hatte es satt, dich ständig an mir hängen zu haben.", schnaubte sie verächtlich.
"Ja, das habe ich verstanden, aber warum? Bitte, sag es mir einfach. Du bist meine Gefährtin, auch wenn ich nicht weiß, ob ich auch deiner bin, und es zerbricht mich, nicht zu wissen, warum du dich so verhältst." Sie schnaubte nur wieder, wand sich im gleichen Moment auch wieder zum gehen. "Bitte, Lyra.", flüsterte ich, nachdem ich ohne darüber nachzudenken an der Schulter gepackt hatte.
"Weil ich keinen Schoßhund gebrauchen kann, du Dummkopf! Also behalte deine dreckigen Pfoten bei dir, wenn du nicht willst, dass ich sie dir abbeiße.", fauchte sie wütend, meine Hand von ihrer Schulter reißend. Dann packte sie Rem am Handgelenk und zog ihn hinter sich her aus dem Raum raus. Und wieder blieb ich zurück, abgewiesen, allein und verzweifelt.
WARUM?!
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Die Dämonenspiele der Dolchherzen
FantasyLyra ist neu in Featherfield, einer Stadt nur für nicht-Menschen. Davor hat sie in der Welt der Menschen gelebt, hat sich wie ein Mensch verhalten, hat so getan, als sei sie ein Mensch. Eine schwere Aufgabe, wenn man Fuchsohren auf dem Kopf hat... ...