Teil 45: Lyra

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Aja brachte mich in ein Teehaus. Es sah alt aus, war aber sehr gemütlich eingerichtet. Meine Freundin bestellte sich einen Schokoladenkuchen und einen Erdbeertee, ich nahm nur eine Tasse English Rose. Wir redeten ein wenig - was in diesem Fall wohl bedeutete, dass Aja redete. Ich hingegen dachte weiterhin an das, was vorhin passiert war. Meine Mutter hatte erwähnt gehabt, dass es verschiedene Stufen der Verwandlung zu einer vollwertigen Dolchherz gab. Leider hatte meine Mutter sie selbst nie durchleben müssen. Daher kannte ich mich nicht wirklich damit aus. Ich sollte mich mal darüber informieren. Eigentlich musste ich mich generell mehr informieren. Immerhin war das ein Teil von mir. Und zwar ein nicht grade geringer wollte ich meinen! Seufzend sah ich aus dem Fenster. Vielleicht sollte ich das ganze heute abblasen. Ich konnte doch nicht Regentin werden, wenn ich mich in... in sowas verwandelte. Meine Mutter hatte es unter Kontrolle gehabt, ich nicht. Ich war ein Monster, meine Mutter nicht.

"Ob es eine Gabe ist oder ein Fluch, kann ich dir nicht sagen. Das musst du schon für dich selbst heraus finden."

Erneut seufzte ich. Ich glaubte, die Antwort gefunden zu haben. Leider... "Meisterin?", holte mich Ajas Stimme in die Realität zurück. Entschuldigend lächelte ich sie an. "Sorry, was hast du gesagt? Ich war irgendwie woanders...", gestand ich. Sie nickte. "Ja, das habe ich gemerkt.", schnaubte sie. Dann sah sie mich besorgt an. "Ihr seid heute ziemlich gestresst, oder? Ist irgendwas passiert?", fragte sie.

Oh, Gott, immer wieder diese dumme Frage!

Wie oft hatte sie mich das denn jetzt schon gefragt? Zu oft. Es brachte mich an den Rand der Verzweiflung... Naja, zumindest hätte es das, wenn ich nicht immer noch Rems Trank nutzen würde. So konnte ich ja nicht wirklich etwas fühlen. Aber dennoch war ich hin und her gerissen. Sollte ich ihr die Wahrheit erzählen, was passiert war und was mir so Sorgen bereitete?

"Ja!"

Die Stimme in mir, eine Stimme, die ich schon lange nicht mehr gehört hatte, schrie mich beinahe an. Es war die Stimme meiner tierischen Seite. Bei anderen Tierdämonen waren die inneren Tiere viel ausgeprägter. Sie entwickelten eigene Persönlichkeiten, konnten sogar die Kontrolle übernehmen. Bei Füchsen wie mir beschränkte es sich auf eine Art Intuition und hin und wieder eine Stimme in mir, die mir den Weg zu weisen versuchte - auf die ich aber nicht sonderlich oft hörte. Doch war es diesmal vielleicht besser, es zu tun?

"Ja, verdammt."

Aja vertraute mir immerhin, oder etwa nicht?

"Ja!"

Sie war für mich da, würde es auch sein, wenn ich mich wandeln würde. Immerhin war sie meine Gefährtin und obendrein noch meine Freundin. Sie würde mich nicht im Stich lassen, wegen etwas, das nichtmal meine Schuld war.

"Genau! Sag es ihr."

Es war wichtig, dass sie es wusste. Immerhin konnte sie mir nicht helfen, wenn sie nichts davon wusste. Und ich brachte sie schließlich nur in Gefahr damit, wenn ich es nicht tat, richtig?

"Ja-ha!"

"Ich...", begann ich zögerlich, einen Blick in ihr erwartungsvolles Gesicht werfend. Genau, ich würde es ihr einfach sagen. Kurz und schmerzlos, ganz direkt.

"Na, endlich! Bravo."

Andererseits...

"Was?! Nein..."

...war es doch nur etwas Blut gewesen. Das war nicht wichtig. Außerdem würde sie sich nur viel zu viele Sorgen machen. Ich wurde einfach genug Wissen darüber sammeln und es dann unterdrücken, so, wie ich es immer getan hatte. Naja, immer seit ich diese Kraft überhaupt hatte. Also seit ungefähr einem halben Jahr. Aber trotzdem! Es würde sicher aufhören. Und wenn nicht, dann würde ich es ihr einfach später sagen. Genau, immerhin war aufgehoben ja nicht aufgeschoben. Äh, Moment, andersherum. Ich würde es nicht aufheben, sondern nur aufschieben. Genau. Ja, so würde ich es machen. "Was ist denn jetzt?", fragte Aja sanft, womit sie mich aus meinen Gedanken riss.

Tja, was ist jetzt? Was sage ich...?

"Die Wahrheit, du Schnepfe!"

Schnauze, Fuchs.

"Ich habe Angst vor der Zeremonie.", meinte ich schließlich. "Was ist, wenn ich es nicht gut hinbekomme? Und dann die Sache mit meinem König. Wenn er mich nun nicht leiden kann? Oder ich ihn nicht? Was ist, wenn ich mit einem Fremden verlobt bin? Oder noch schlimmer: Mit jemanden, den ich kenne? Immerhin wird einer Fuchsprinzessin ja erst am Tag ihrer Krönung gesagt, wer ihr Verlobter überhaupt ist..." Aja lächelte mich sanft an. "Das ist es also? Keine Sorge, Ihr werdet das ausgezeichnet hinbekommen. Ihr seid so nett und fürsorglich. Ihr habt ein starkes Herz und einen guten Willen, das ist das Wichtigste. Und Euer Verlobter wäre ein Idiot, Euch nicht zu lieben." "Danke, Aja.", lächelte ich nervös und trank noch einen Schluck von meinem Tee.

Na, Super! Durch diese Ausrede hab ich jetzt wirklich Angst bekommen!

Aja versuchte, mich abzulenken, indem sie mir unwichtige Dinge erzählte, wofür ich ihr wirklich dankbar war. Trotzdem half es nichts. Nun dachte ich zwar nicht mehr an die Sache von vorhin, aber an meinen Verlobten. Meine Eltern hatten das geklärt, wie es nunmal Tradition war. Eine recht veraltete Tradition, aber naja. Jedenfalls hatte Mister Elay mir das erzählt. Und morgen würde ich herausfinden, wer es war. Gleich nachdem ich gekrönt wurde, würde ich es erfahren, und von da an wären wir eine Ehepaar. Super, schon in meinem Alter, ja, ich weiß. Eine beschissene Tradition, wie schon gesagt. Aber so war das einfach. Es war ein Ritual vollzogen worden, als wir noch Babys gewesen waren, und nun waren wir dazu bestimmt, zusammen zu regieren. Tja, wenn das mal so einfach wäre... Sich lieben zu lernen, nun, das hielt ich ohnehin für Quatsch. Wie sollte ich jemanden lieben lernen, für den ich keine Gefühle hatte? Das mochte ja eine Weile lang funktioniert haben, aber es hatte schon so seinen Grund, warum das abgeschafft wurde. Zumindest im Großteil der Welt. Doch hier lag nichtmal das eigentliche Problem. Nein, das war ein ganz Anderes. Und das eigentliche Problem hatte auch einen Namen: "Jurij." Als ich seinen Namen murmelte, sah mich Aja fragend an. "Was habt ihr gesagt?" Ich sah sie verzweifelt an. "Jurij.", wiederholte ich etwas lauter. Nun war ihr Blick wieder mitleidig. Sie verstand sofort, denn ich hatte ihr - natürlich - alles darüber erzählt, wie es mit ihm stand. Ich liebte ihn, er war mein Gefährte. Aber ich war verlobt. Wie sollte ich bitte eine Ehe mit jemanden eingehen, wenn ich meinen Gefährten bereits kannte und liebte? "Das Schlimmste daran ist, dass ich - selbst dann, wenn ich nicht verlobt wäre - niemals mit ihm zusammen sein könnte. Ich kann einfach nicht. Und ich kann ihm nichtmal sagen, warum...", seufzte ich unter Tränen. Aja zog mich an sich und ich weinte mich bei ihr aus. Die Blicke der Leute um mich herum waren mir dabei egal. Aber egal war mir nicht, dass trotz meiner Schluchzer keine einzige Träne floss. Denn meine Gefühle waren blockiert und das mussten sie auch bleiben. Würde ich nun etwa nie wieder in der Lage sein, eine Trän zu vergießen?

Ja, ich kenne die Antwort auf jene Frage inzwischen: Es ist ein Fluch. Ein blöder, verdammter, scheiß Fluch - und absolut nichts weiter.

Und trotzdem. Ich konnte diese Seite an mir einfach nicht hassen. Denn das würde bedeuten, dass ich meine Mutter hassen würde. Das tat ich nicht. Sie war kein Monster. Sie war mir so wichtig gewesen. Sie war meine Mutter und ich liebte sie noch immer über alles. Und deshalb könnte ich mich niemals dazu bringen, diese Seite an mir zu hassen.

Scheiß Fluch...

Die Dämonenspiele der DolchherzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt