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Ich rannte die Treppen hinauf, an meinem Bruder Matt vorbei, ins Badezimmer. In meinem Kopf ging ich schnell durch, was ich alles mitnehmen musste. Schlüssel und Geld, ausserdem durfte ich das Geschenk nicht vergessen. Kayla, eine meiner Freundinnen aus der alten Schule, feierte heute ihren Geburtstag unten am See. Alle würden da sein. Schon ewig hatte ich mich darauf gefreut, sie wiederzusehen. Aber ich war mal wieder zu spät dran und den nächsten Bus würde ich mit Sicherheit verpassen. Das war so typisch für mich. Nachdem ich in Rekordzeit meine Zähne geputzt hatte, raste ich den Flur entlang in mein Zimmer, um mir einen Hoodie überzuziehen. Kurz darauf riss ich die Haustür auf und rief ein "Tschüss"  durchs Haus. Matts Antwort hörte ich nicht mehr.

Wie durch ein Wunder erreichte ich die Haltestelle gerade noch rechtzeitig und drückte auf den Knopf, der die Tür öffnete. Erleichtert liess ich mich auf einen freien Sitzplatz im Bus fallen und steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren. Dann schrieb ich kurz eine Nachricht an Chaya.

"Alles okay?"

Sie hatte sich seit heute Mittag nicht mehr gemeldet und langsam machte ich mir Sorgen. Sonst hing sie andauernd an ihrem Handy. Wir waren nun fast 4 Monate zusammen und auch wenn es eigentlich nicht wirklich lange war, fühlte es sich richtig an. Ich war verliebt. Bei diesem Gedanken schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich drückte ein paarmal auf die Lautstärketaste meines Handys und schloss dann die Augen.

Die Musik dröhnte durch meine Ohren und liess mich kurz die Welt um mich herum  vergessen. Meine Gedanken waren, wie so oft, bei Chaya. Ich hörte ihr Lachen und sah sie vor mir, wie sie den Kopf in den Nacken warf. Ich öffnete die Augen wieder und sah auf der Anzeige nach, wann ich aussteigen musste. Noch zwei Haltestellen, dann war es soweit. Ich würde sie alle wiedersehen. Grinsend stand ich von meinem Platz auf und stellte mich neben eine Frau, die, mit ihrem Kleinkind an der Hand, schon an der Tür stand. Das kleine Mädchen hielt einen Stoffelefant in den Händen und klammerte sich geradezu an ihn, während sie leise vor sich hin plapperte. Der Bus hielt langsam an und ich stieg aus. Vor mir erstreckte sich ein kleiner Wald, der jetzt, im Hochsommer, die verschiedensten Grüntöne beherbergte. Die Sonne senkte sich langsam gen Horizont und aus der Ferne war regelmässiges Grillenzirpen zu hören. Ich machte die Musik aus und stopfte meine Kopfhörer in die Jackentasche, während ich auf den schalen Waldweg zu ging. Den Kopfhörern folgten meine Hände und ich schlenderte durch die Bäume hindurch. Über mir strahlte die untergehende Sonne schwach durch das Blätterzelt und warf gedämmtes Licht auf den Waldboden. Es war ein schöner Tag und ich war glücklich. Auch wenn Chaya immer noch nicht zurückgeschrieben hatte. Ich verwarf den Gedanken, dass ihr etwas passiert war wieder und trat zwischen zwei grossen Eichen aus dem Wald heraus.

Der See war riesig und glitzerte leicht rötlich im Sonnenuntergang. Von links hörte ich das Lachen eines Mädchens und machte mich auf den Weg. Kayla sah ich schon von weitem zur lauten Musik auf und ab springen. Dieser Ort war perfekt für Partys. Die Musik konnte so laut sein wie sie wollte, niemand würde sie hören. Als sie mich erblickte schrie sie meinen Namen und rannte auf mich zu. Ich grinste und zog sie in eine lange Umarmung. "Schön dich endlich zu sehen.", murmelte sie in meine Haare und drückte mich noch einmal kurz, bevor sie mich losliess. Ich nickte und lächelte. "Finde ich auch." Sie drehte sich auf der Ferse um und lief neben mir zurück zu den anderen. Ich holte das kleine Päckchen aus meiner Tasche und gab es ihr. "Es ist nichts Grosses.", fügte ich noch hinzu. Sie grinste und legte ihren Kopf kurz auf meine Schulter. "Danke Sky." Ich lachte und stiess sie leicht mit dem Ellbogen an. "Logisch."

Bei den anderen angekommen umarmte ich ein paar Leute, die ich kannte und wurde neuen Gesichtern vorgestellt. Dann holte ich mir etwas zu trinken. Kayla hatte Alkohol und Softdrinks in kleinen Kühltruhen verstaut in den Schatten an den Waldrand gestellt. Gerade als ich mir ein Bier aufmachte, stellte sich jemand neben mich. "Hey, gibst du mir auch eines?", fragte mich Clarke und lächelte mich freundlich an. Sie war eine gute Freundin von Kayla, die schon öfter mit uns zu Mittag gegessen hatte. Ich hatte mich noch nie richtig unterhalten, aber sie war mir sympathisch. "Natürlich." Ich drückte ihr die Flasche in die Hand, die eigentlich für mich bestimmt war und nahm mir ein zweites Bier aus der Kiste. "Danke Sky. Wie geht's dir so?", fragte sie und nahm einen Schluck. Ich war überrascht, dass sie noch mit mir redete und nicht wieder zurück zu den anderen ging, weshalb ich ein wenig länger brauchte, um zu antworten. "Gut und dir?", antwortete ich dann. Sie grinste und schaute mich aus ihren braunen Augen fröhlich an. "Mir auch. Ich liebe Abende wie diesen. Perfektes Wetter, um einen Pulli anzuziehen." Ich lachte und stimmte ihr zu. Sie trug einen dunkelblauen Hoodie mit schwarzem Aufdruck, der in perfektem Kontrast zu meinem weissen stand.

Wir gingen gemeinsam zum Feuer, wo sich die meisten nun auf Decken niedergelassen hatten. Die Sonne ging unter und warf alles in rotes Licht, das Feuer knisterte leise vor sich hin. Es war wunderschön. Und es machte mich glücklich. Ich musste an Chaya denken und wie schön es wäre wenn sie jetzt neben stehen würde. Ich schaute kurz auf mein Handy, ohne eine Nachricht zu erwarten. Doch ich wurde erneut überrascht. Sie hatte tatsächlich geschrieben. Ich entsperrte den Bildschirm und entfernte mich ein wenig, um die Nachricht zu lesen. Ausser Kayla wusste niemand hier, dass ich auf Frauen stand und vorerst sollte das auch so bleiben.

"Hör zu, ich glaub wir brauchen eine Pause."

Mein Herz sank in einen schwarzen Abgrund hinunter und schlug sich dort zu Tode. Was sollte das plötzlich?

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