Nachdem ich Chaya vor allen Leuten angeschrien hatte, kam sie, als Letzte, ins Klassenzimmer und setzte sich in die hinterste Reihe. Ihre Augen waren rot und verheult, ihr Blick schickte mich in die Hölle. Es war unglaublich dicke Luft und sogar Nelly spürte die Spannung, die zwischen und lag. Nach dem Hochgefühl, das ich einige Minuten zuvor gehabt hatte, war das hier wirklich furchtbar. Ich bereute nichts von all dem, was ich gesagt hatte. Es war die Wahrheit und diese musste einfach endlich raus. Das versicherte mir auch meine beste Freundin oft genug, während sie sich immer wieder umdrehte und böse Blicke nach hinten schleuderte. Das sah so komisch aus, dass ich mir das Lachen verkneifen musste. Hätte ich gelacht, dann wäre Chaya wahrscheinlich in die Luft gegangen vor Wut. Der Gedanke daran war eigentlich nicht einmal so schlecht.
Der Tag ging schnell vorüber, auch, wenn es etwas unangenehm gewesen war. In den Pausen war ich von einigen Leuten angestarrt worden, von anderen komplett ignoriert. Es hatte sich ziemlich schnell herumgesprochen, wie es an dieser Schule eben immer war. Manche interessierten sich nicht dafür, oder vergassen es wieder, aber der ganze Rest tuschelte fleissig über uns. Noch nie hatte ich so im Rampenlicht gestanden und mir wurde auch sofort klar, wieso nicht. Ich hasste es. Als ich draussen vor Matts Auto auf ihn gewartet hatte, fühlte ich mich so ausgestellt wie in einer Vitrine. Vielleicht hätte ich irgendwo mit ihr reden sollen, wo es ruhiger war und niemand in der Nähe. Aber dann hätte ich vermutlich wieder nachgegeben und mich von ihr hinreissen lassen. Sie wäre nur ein paar Schritte näher gekommen und vielleicht meine Wange gestreichelt. Sie hätte mir tief in die Augen gesehen und gesagt, dass sie mich liebte und schon hätte ich ihr verziehen. Warum musste ich nur so schwach sein? Also war es doch ganz gut gewesen, dass andere Leute zugesehen hatten. Sie hatten mich unterstützt, ohne es zu wissen. Matt hatte mich stolz an seine Brust gedrückt und dann, breit grinsend, seinen Wagen aufgeschlossen. Zu Hause angekommen kochten wir zusammen, verschlangen die Lasagne regelrecht und liessen uns dann aufs Sofa fallen, um irgendeine Serie anzuschauen. Jetzt, wo ich kein Drama mehr in meinem Leben hatte, wusste ich gar nicht, was ich tun sollte. Doch es fühlte sich wirklich gut an. Ich konnte endlich einmal damit aufhören nachzudenken und mir Sorgen zu machen, was als nächstes passieren würde.
Matts Schnarchen hallte laut durch den Raum, als ich mich auf den Weg in mein Zimmer machte. Es war schnell dunkel geworden und, als ich den Fernseher ausgeschalten hatte, wurde alles in stilles Schwarz getaucht. Die Stille schwebte angenehm im Haus und umgab mich. Ich versuchte, möglichst wenig Lärm zu machen. Zum einem, um Matt nicht aufzuwecken, zum anderen, um in diesem Moment zu verweilen. Erschöpft liess ich mich mit einem Seufzen auf mein Bett fallen und schlüpfte dann unter die Decke. Mein letzter Gedanke war Clarke und wie stolz sie gegrinst hatte. Wie nahe wir uns standen, aber auch, dass sie das gar nicht merkte. Dass sie Liv nicht aus ihrem Kopf bekam und wie sie über sie redete. Und dass ich aufhören sollte an sie zu denken, denn jetzt war ich frei. Ich sollte neue Leute kennenlernen.
Mein Wecker rüttelte mich unsaft wach und machte mir klar, dass ich meinen Arsch endlich aus dem Bett bewegen sollte. Ich war ein knallharter Langschläfer, wenn es ging, doch die Schule machte mir täglich einen Strich durch die Rechnung. Ich ging schläfrig und schlecht gelaunt ins BAd, duschte und zog mich an und trottete dann die Treppen nach unten. Matt lag immer noch auf dem Sofa und schlief. Lachend ging ich zu ihm und schubste ihn auf den Boden, wo er auf einigen Kissen landete. Er hatte sie im Schlaf wahrscheinlich hinunter geschmissen. Er setzte sich schnell auf und knurrte, als er mein Gesicht erblickte. Doch dann dämmerte ihm, dass es kein gutes Zeichen war, wenn sogar ich schon wach war, also sprang er auf und rannte nach oben. Kichernd machte ich Kaffee für uns beide und gab ihm seine Tasse, als er schnaufend in die Küche kam. Dankend nickte er und nahm einen grossen Schluck. Kaffee war sein Lebenselixier, ohne ihn konnte er morgens nicht klar denken. Während er mit einem erfüllten Lächeln die Tasse wieder absetzte, kniff er mich in die Seite und zeigte zur Tür. Das war das Zeichen, dass wir losfahren konnten. Ich lief zügig hinter ihm her, da er mit seinen langen Beinen viel schneller war, als ich, und kam ein paar Sekunden später ebenfalls an seinem Auto an.
Die Situation in der Schule schien besser geworden zu sein, denn ich bekam weniger brennende Blicke ab. Auch Chaya hatte wohl beschlossen, mich von jetzt an zu ignorieren, was mir nur recht war. Ich wollte ja sowieso nichts mehr mit ihr zu tun haben und das ersparte mir das unnötige Drama. "Hey, du Herzensbrecher.", empfing mich Nelly schmunzelnd an meinem Spind und bekam von mir einen genervten Blick als Antwort. Aber gleich darauf umarmte ich sie zur Bergüssung und grinste zurück. "Nicht ich bin die Herzensbrecherin. Wo haben wir?" Ich konnte den Stundenplan noch nie auswendig und das würde sich wohl auch nicht mehr ändern. "Erster Stock. Wie geht's dir?", fragte meine beste Freundin vorsichtig und hielt sich am Schulterriemen ihres Rucksacks fest. Ich schlug die Spindtür zu und setzte mich langsam in Bewegung. "Erstaunlich gut..", antwortete ich und wartete, bis sie auf gleicher Höhe mit mir war. "Ich hätte gedacht es wir schlimmer. Aber mir geht's gut." Ich warf ihr noch ein Lächeln zu, um ihr zu zeigen, dass ich es ernst meinte. Sie erwiderte es erleichtert und nickte. "Gut." Wir kamen, an einigen Schülern vorbei, zu den Treppen und ich grinste. Ganz oben stand Clarke, etwas zur Seite gedreht, und wühlte in ihrer Tasche herum. Ihr Gesicht lag im Schatten, aufgrund der etwas gebückten Haltung, und trotzdem schienen ihre Augen zu leuchten. Als sie den Kopf hob, bemerkte sie mich und grinste zurück. Genau in diesem Moment wollte ich ihr ein "Hey" zurufen, doch da kam Liv um die Ecke und lief schnurstracks auf sie zu. Clarke riss ihren Blick von mir los und sie umarmten sich. Mein Grinsen gefror und ich hätte mit allen Mitteln abgestritten, dass ich eifersüchtig war. Ich hatte mich erst gestern von meiner Freundin getrennt, ich konnte nicht eifersüchtig sein. Doch ich war es.
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Wir
RomanceFortsetzung. Ich empfehle euch, zuerst "Sie", auch auf meinem Profil, zu lesen. Es geht aber auch gut ohne, da es eine ganz neue Geschichte ist, die nur die gleichen Charaktere enthält. ~ Die Sommerferien beginnen schlecht und je mehr Wochen vergehe...