Am nächsten Wochenende ging Clarke mit Liz und einigen anderen Freunden an ein Festival. Sie schwänzten am Donnerstag schon Schule und fuhren mittags los. Clarke hatte mir noch geschrieben, bevor sie kein Internet mehr empfangen konnte.
"Sind gleich über die Grenze. Wir sehen uns Montag. Bis dann"
Ich war ein wenig enttäuscht, so wortkarg waren wir sonst nie. Nichtmal ein Smiley oder so... Seitdem ich ihr von Erin und mir erzählt hatte, war es irgendwie anders, sie schien wütend auf mich zu sein. Wir hatten die vergangene Woche noch öfter über meine Bekanntschaft geredet und Clarke machte mir klar, dass sie davon nicht viel hielt.
"Du kennst die doch gar nicht, sie könnte voll der Stalker sein.", brummte Clarke ohne mich auch nur anzusehen. Ihre Hausaufgaben schienen spannender zu sein. Ja genau. "Ich weiss, dass sie kein Stalker ist, ausserdem-", ich wurde unterbrochen. "Woher?" Ich seufzte und schüttelte den Kopf. "Ist doch scheiss egal, sie mag mich und zeigt es mir auch." Clarke drehte sich nun doch zu mir und pikste mich und die Schulter. "Weisst du eigentlich wie dumm das klingt? Ich kann nicht glauben, dass du so auf ihre Flirtversuche eingehst. Die sind sowas von verzweifelt." So langsam nervte mich das Gespräch. Ich stand von meinem Sessel auf und ging in unsere Küche, um mir etwas zu trinken zu holen. Sie war etwas kleiner, als die von Clarke. Anfangs hatte ich mich ein wenig dafür geschämt, aber sie war jetzt schon öfter bei uns gewesen. Wir lernten heute zum zweiten Mal bei mir, für die letzte Abschlussprüfung. Die bisherigen waren alle ganz gut gelaufen und bald waren Sommerferien. Endlich. Ich hörte die Schritte meiner besten Freundin hinter mir und hielt ihr mein Glas Wasser hin. Sie blinzelte mir dankend zu und trank dann einen Schluck, bevor sie es mir zurückgab. "Hör zu, ich will nur nicht, dass du wieder verletzt wirst. Nach der letzten Bitch bin ich ein bisschen paranoid und ich versteh nicht, wie du es nicht sein kannst.", erklärte mir Clarke und zuckte mit den Schultern. Ich lächelte. Das war süss. "Ich versteh ja, aber du sollst dir keine Sorgen machen. Ich weiss was ich tue." Ihr tolles Lachen füllte den kleinen Raum und sie drehte sich wieder zum Gehen. "Das ist ja das Problem, du weisst es nicht. Ich hab bei ihr einfach kein gutes Gefühl. Aber du wirst es selber merken."
Und jetzt schrieb sie diese Abschieds-Nachricht, die so gar nicht nach ihr klang. Aber wahrscheinlich war sie einfach nur extrem abgelenkt von Liz.
Am Freitag ging ich nach der Schule mit Nelly in die Stadt. Wir assen ein Eis und redeten über den Typ, den sie auf der Party kennengelernt hatte. Die gleichen Party, auf der ich auch Erin treffen durfte. Das war wohl für uns beide ein guter Abend gewesen. Wir hatten Spass an diesem Nachmittag, und trotzdem schaute ich immer wieder auf mein Handy. Vielleicht hatte Erin ja geschrieben. Das bewahrheitete sich aber nicht, bis circa Mitternacht. Sie fragte wie es mir ginge und ob ich Lust hätte, den Filmabend möglichst bald zu machen. Ich antwortete, dass ich mich sehr freuen würde und hatte tatsächlich auch ein Kribbeln im Bauch. Nachdem ich auf senden gedrückt hatte, liess ich mich aufs Bett fallen und sah aus dem Fenster. Bei den Nachbarn beobachtete ich wieder einmal die gewohnte Harmonie, wenn auch etwas abwesend. Das Paar sass zusammen auf der Couch, den Hund zu ihren Füssen zusammengerollt. Eigentlich war es komisch, dass ich sie noch nie getroffen hatte. Ich nahm mir vor, in nächster Zeit einmal bei ihnen zu klingeln und sie in der Nachbarschaft willkommen zu heissen. Auch wenn es dafür vielleicht ein wenig zu spät war, sie wohnten jetzt immerhin schon etwas länger hier.
Das Wochenende zog sich ungemein hin, es war so langweilig, wie schon lange nicht mehr. Ich wusste einfach nicht wohin mit mir und hatte Lust auf überhaupt nichts. Also schaute ich eine Folge nach der anderen, von einer Serie, die mir Erin empfohlen hatte. Sie war okay, gut genug für ein langweiliges Wochenende. Erin versicherte ich, dass ich die Serie unglaublich toll und lustig fand, aber sie traf meinen Humor eigentlich nicht wirklich.
Matt unternahm viel mit Freunden, die ich nicht kannte und Mum lug oft ihren neuen Freund zu uns ein. Am Sonntag kam auch sein Sohn mit, von dem ich ja schon gehört hatte. Wir spielten Brettspiele und die beiden Erwachsenen kämpften mit wahllosen Fakten darum, welches Kind besser war. Sie einigten sich dann darauf, dass wir wohl beide gut geraten waren und besiegelten das Ganze mit einem Kuss. Das war auch überhaupt nicht peinlich. Ausser ihnen tauchten auch meine Schwester Sofie und ihr Mann vor unserer Tür auf. Und so hielten wir am Sonntag ein grosses "Familienessen" ab, ohne Matt. Es war lustig und ich erfuhr von Geschichten aus Mums Kindheit, die ich zuvor noch nie gehört hatte.
Irgendwann kam auch Matt nach Hause und setzte sich für den Nachtisch zu uns. Dann holte Sofie ein kleines graues Päckchen aus ihrer Tasche. "Was ist das?", fragte Mum verwundert, während ich nur von meiner Schwester zu ihrem Mann hin und her schaute. Da war doch was im Busch. Sie lachten. "Na, du musst es schon aufmachen." Mum hatte erst in einem halben Jahr Geburtstag. Und nach kurzem Überlegen wusste ich plötzlich, was das Päckchen sollte. Ich grinste wissend und wartete, bis Mum es endlich aufgemacht hatte. Vielleicht lag ich auch falsch. Aus der kleinen Kiste zog sie zwei kleine, grüne Kinderschuhe. Ich strahlte Sofie an und lachte. "Bist du schwanger??", rief meine Mutter vor Freude und kannte die Antwort eigentlich schon. Sofie nickte und sofort umarmten sich alle. Es war ein riesiges Gemenge. Wir Frauen lachten und drückten uns, die Männer klopften sich gegenseitig fast die Schultern vom Körper. Und in all dem Tumult vergass ich ganz, dass ich eigentlich jemanden vermisste.
DU LIEST GERADE
Wir
RomanceFortsetzung. Ich empfehle euch, zuerst "Sie", auch auf meinem Profil, zu lesen. Es geht aber auch gut ohne, da es eine ganz neue Geschichte ist, die nur die gleichen Charaktere enthält. ~ Die Sommerferien beginnen schlecht und je mehr Wochen vergehe...