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Wie sollte ich Clarke sagen, dass ich sie mehr mochte, als nur eine Freundin? Oder musste ich es ihr überhaupt sagen? Wenn sie es nie erfahren würde, wäre es einfacher, für uns beide. Sie könnte weiter nur an Liv denken und musste sich nicht auch noch Sorgen machen wegen mir. Diese Gefühle würden unsere Freundschaft zerstören, ich könnte sie auch einfach ganz aus meinem Leben streichen. Es würde die gleichen Folgen haben, wie ehrlich zu ihr zu sein. Sie würde die Welt nicht mehr verstehen und irgendwann damit klar kommen, dass wir nicht mehr befreundet sein konnten. Ich würde ein paar Wochen traurig sein und schliesslich über meinen kleinen Crush hinweg kommen. Immerhin war ich nicht wirklich verliebt in Clarke, ich mochte sie einfach. Sehr.

Vielleicht wäre ihre Reaktion auch gar nicht so schlimm. Vielleicht würde sie sagen, dass es okay war und, dass es schon irgendwann vorbei gehen wird. Dann könnten wir auch befreundet bleiben. Aber das war verdammt unrealistisch. Ich wies mich still zurecht und drehte mich in meinem Bett um, sodass ich nun aus dem Fenster sehen konnte.

Es war eine helle Nacht, der Mond war vor ein paar Tagen voll gewesen und strahlte noch immer mit ganzer Kraft. Ich beobachtete ihn genau und versuchte die einzelnen Krater zu erkennen. Mit zusammen gekniffenen Augen starrte ich zu ihm hinauf und lächelte, als ich einige Schatten auf der Mondoberfläche entdeckte. Eigentlich müsste es doch unmöglich sein, diese Krater von hier unten zu sehen. Wir waren doch soweit weg. Und doch, ich konnte sie sehen. Vielleicht konnte das Unmögliche doch manchmal möglich werden.

Vielleicht mochte Clarke mich auch.

Verärgert schüttelte ich den Kopf und drehte mich wieder vom Fenster weg. Nein, das Unmögliche war eben einfach unmöglich. Sie mochte mich natürlich, als Freundin. Aber sie stand auf Liv. Ich war wirklich lächerlich, das mit uns würde nie passieren. Sie würde mich nie so mögen, wie ich sie. Ich war einfach nicht so cool, schlau und hübsch, wie Liv es war. Ich konnte es Clarke nicht erzählen, nie im Leben. Ich musste das akzeptieren, mich davon ablenken und irgendeine Andere kennenlernen. Dann würde ich mich in sie verlieben und die Gefühle für meine beste Freundin vergessen. Und sie würde genau das sein; meine beste Freundin. Das klang doch nach einem Plan, der durchaus realistisch war. Zufrieden schloss ich die Augen und zog die Decke ein wenig höher, sodass ich ganz eingekuschelt war.

~

Einschlafen konnte ich trotzdem lange nicht und ich war auch schon vor meinem Wecker wach. Das passierte mir nie. Ausserdem war ich morgens normalerweise ziemlich gut gestimmt, aber jetzt war meine Laune in den Keller gestürzt. Und so, wie ich mich fühlte, hatte sie sich wohl ein Bein gebrochen und würde so schnell nicht wieder hinauf klettern. Mit viel Mühe schaffte ich es aus dem Bett und in die Küche, wo mich Matt mit einem erschrockenen Blick empfing und mir dann eine Tasse Kaffee entgegenstreckte. Seine Reaktion sagte mir, dass ich schrecklich aussehen musste.

Seufzend nahm ich das dampfende Getränk entgegen und nahm ein paar Schlücke. Die heisse Flüssigkeit floss über meine Zunge und brannte ein wenig im Hals. Sie schien mich fast augenblicklich etwas zu wecken und ich schenkte Matt ein schwaches Lächeln, als Dankeschön. Er nickte, stolz auf sich selbst, und schüttete Milch in seine eigene Tasse. Mum hatte die Nacht bei Henry verbracht und heute einen wichtigen Termin in der Stadt. Sie hatte sich plötzlich dazu entschieden, zu kündigen und eine völlig neue Richtung einzuschlagen. Von einer unglaublich guten Geschäftsfrau zur Inhaberin eines kleinen Cafés. Ich konnte sie mir gut vorstellen, in einer roten Schürze mit einem überfüllten Tablett. Auch, wenn es ein wenig komisch sein würde, sie nicht mehr in Jackett und mit Aktentasche zu sehen.

Matt fragte mich nicht, warum ich so scheisse aussah, wie ich eben aussah. Er war selten ein Mann der grossen Worte, nur im äussersten Notfall. Und so, wie ich ihn kannte, wollte er mir erst ein bisschen Zeit lassen. Für einen Mann war er ausserordentlich rücksichtsvoll. Dieser Gedanke liess mich schmunzeln und ich nippte noch einmal an meinem Kaffee, damit mein Bruder es nicht sah. Das würde ihn nur verwirren und dann den ganzen Tag beschäftigen. Unwissend zu sein, konnte ihn mit Leichtigkeit in den Wahnsinn treiben, selbst, wenn es etwas total Harmloses war.

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