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Am Montag kamen mein Bruder und ich pünktlich auf dem Parkplatz vor der Schule an. Wir liefen schweigend auf den Eingang zu und verabschiedeten uns mit einem Lächeln, als er sich zu seinen Freunden in die Raucherecke stellte. Ich ging die Treppen hinauf, öffnete die Tür und betrat den Schulflur, wo es von Schülern nur so wimmelte. Mein Blick wanderte über die vielen Köpfe und suchte nach einem bestimmten, ohne dass es mir bewusst war. Ich wollte sie unbedingt sehen. Am Samstag hatte ich soviel Spass gehabt, wie schon lange nicht mehr.

"Sky, denkst du nicht, dass du mich schon genug erschreckt hast, als ich hier angekommen bin?", jammerte Kayla und zog eine Schnute. "Oh komm schon, das wird lustig. Horrorfilme sind wenigstens spannend.", bettelte ich sie an und rüttelte leicht an ihrem Arm. In diesem Moment kam Clarke ins Wohnzimmer, in ihrem Arm trug sie eine riesige Schüssel Chips. "Ausserdem spielt Alycia Debnam-Carey mit.", klinkte auch sie sich in das Gespräch ein und setzte sich neben uns aufs Sofa. Die Schüssel stellte sie in die Mitte des kleinen Tisches vor uns, damit alle daraus essen konnten. Dann warf sie sich zurück gegen die Lehne und drückte auf der Fernbedienung herum. "Genau, das tut sie.", nickte ich ihr grinsend zu und fragte mich nicht zum ersten Mal, ob sie vielleicht auch auf Frauen stand. Kayla seufzte ergeben und liess ihren Kopf auf ihre angezogenen Beine fallen. "Von mir aus, aber nur, weil ihr zu zweit seid." Sie hasste Horrorfilme und war der grösste Angsthase, den ich kannte. Egal, ob die Szene wirklich gruselig war, oder nicht, sie hielt sich immer die Hände vor die Augen. Es war aber echt lustig mit ihr solche Filme zu schauen, weil sie dann auch immer so schrie wie ein kleines Kind. Clarke und ich gaben uns einen Highfive und grinsten uns an. Dann drückte sie auf Play und ich nahm mir ein paar Chips. Kayla schlang ihre Arme um ihre Beine und zog sie näher zu sich, um sich vor der Anfangssequenz zu schützen. Clarke kicherte und lehnte sich zurück. Unsere Schultern berührten sich und ich konnte mich kurz nicht mehr konzentrieren. Verdammt, lass das, wies ich mich selbst zurecht und konzentrierte mich auf den Film. Es gab einige Szenen, in denen Clarke und ich vor Schreck zusammenzuckten und nur sehr wenige, in denen Kayla das nicht tat. Als der Abspann über den Bildschirm flimmerte, blieben wir alle noch etwas geschockt sitzen und versuchten, das Ende zu verdauen. Es war schon dunkel und das einzige Licht im Raum, war das schwache Blau des Fernsehers. Ich sah zu Kayla, die sich wie ein verschreckter Welpe zusammengerollt hatte und nun mit geweiteten Augen an die Wand starrte. Sie sah etwas angsteinflössend aus, im Gegensatz zu Clarke. Das bläuliche Licht lag ruhig auf ihren Wangen und ihr Blick, der ebenfalls auf Kayla lag, war amüsiert. Sie schmunzelte leicht, als ihre Augen zu mir sahen und nickte vielsagend zu unserer gemeinsamen Freundin. Ich grinste und nickte, dann riss ich mich von dem faszinierenden Anblick los und stupste Kayla leicht in die Seite. Sie fuhr zusammen und sah uns beide strafend an, als wir in Gelächter ausbrachen. "Nicht witzig. Ich muss jetzt auch noch alleine nach Hause laufen." Sie stand auf und suchte ihre Sachen zusammen, während wir das gleiche taten und ihr die Treppen hinunter folgten. "Kayla, es sind nur zehn Minuten bis zu dir nach Hause, das schaffst du schon. Und falls dich jemand ermorden sollte, sagen wir deiner Mutter Bescheid, versprochen.", beschwichtigte Clarke sie mit einem ironischen Unterton in der Stimme. Ich grinste und Kayla runzelte beleidigt ihre Stirn. "Wie gesagt, NICHT WITZIG. Ich wär dann soweit. Bis dann, es war, trotz Horrorfilm, cool mit euch." Sie umarmte uns beide zum Abschied und ging dann vor die Tür. Nach einem letzten Winken drehte sie sich um und verschwand in der Dunkelheit. Ihre, sich entfernenden, Schritte hallten noch in der Einfahrt, bis Clarke die Tür zu machte. Wir gingen ohne ein Wort wieder nach oben, wo ich mein Handy in die Hand nahm, um zu schauen, mit welchem Bus ich nach Hause fahren konnte. Als ich auf den Knopf drückte, ging es aber nicht an. Na toll, kein Akku mehr. "Hey ähm, wann fahren hier die Busse?", fragte ich Clarke die sich daraufhin mit einer hochgezogenen Augenbraue zu mir drehte. "Wann die Busse fahren? Es ist halb eins, die fahren erst um fünf Uhr wieder. Du musst wohl, oder übel hier übernachten. Ist aber kein Problem, kannst ja nix dafür, dass du weiter weg wohnst." Sie lachte und ich versuchte auch zu lachen, es kam aber eher heraus wie ein beschämtes Ausatmen. Hoffentlich merkte sie nichts, es war mir irgendwie peinlich, auch wenn peinlich das falsche Wort dafür war. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet, dass ich ihr, so schnell, so nahe kommen würde. Als wir dann schliesslich nebendeinander lagen und es stockdunkel um uns herum war, fühlte ich mich noch viel schlechter. Alles, was ich hörte, war ihr Atem, der immer ruhiger wurde, so nah an meinem Ohr, dass es mich fast verrückt machte. Ich wollte ihren Atem an meinem Hals spüren und sie in den Arm nehmen, sie ganz nah bei mir haben. Ich starrte zur Decke, wo ganz viele dieser kleinen, im Dunkeln leuchtenden, Sterne klebten. Es war, als würden sie mir sagen wollen, dass das alles sowieso nie passieren würde.

Ich konnte ihre blonden Haare nirgends entdecken, also liess ich enttäuscht meine Schultern sinken und machte mich auf den Weg zu meinem Spind. Ich holte meine Englischbücher heraus und drehte mich nach links, um schon ins Klassenzimmer zu gehen, doch als ich um die Ecke lief, wurde ich aufgehalten. Ich war vollekanne in das Mädchen geknallt, das ich schon öfter mit Clarke zusammen gesehen hatte. Ich schaute mich um, sie musste doch auch irgendwo sein. Sie war nirgends zu sehen, das Mädchen lächelte aber und warf mir einen freundlichen Blick zu. "Hey, tut mir leid. Hab dich nicht gesehen.", entschuldigte sie sich und zuckte mit den Schultern. "Nein, mir tuts leid. Gleicher Grund.", murmelte ich und erwiderte ihr Lächeln. Sie lachte und  schulterte ihre Tasche, die ihr bei unserem Zusammenstoss herunter gerutscht war. Ich nickte und sah ihr hinterher, als sie weiter den Gang hinunter ging. Sie öffnete die Tür nach draussen und trat hinaus, im selben Moment, in dem ein Blondschopf herein kam. Es war Chaya, deren eisiger Blick mich schon von weit hinten traf.

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