Am Morgen bekam ich einen Ellenbogen ins Gesicht und wachte dadurch auf. Draussen war es schon hell und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass halb sieben Uhr war. Und dann fiel mir ein, dass wir heute Schule hatten und sich Chaya mitten in der Woche die Kante gegeben hatte. Apropos Chaya. Soeben drückte sie sich noch näher an mich und stöhnte genervt. "Wieso hab ich das gestern nur gemacht..?" Sie drehte ihr Gesicht zu mir und musterte mich nachdenklich. Wir waren uns so nahe, wie schon lange nicht mehr, was mich etwas aus der Fassung brachte. "Meinst du dich zu betrinken, oder mir dein Herz auszuschütten?", flüsterte ich leise, während ich versuchte, mich nicht von ihrem Atem an meiner Wange ablenken zu lassen. Sie schloss peinlich berührt die Augen und drehte den Kopf wieder weg, was mich ein wenig zum Schmunzeln brachte. "Ganz offensichtlich beides.", antwortete sie und legte die Hände auf ihr Gesicht, sodass ich nicht sehen konnte, wie sie rot wurde. Es war schon irgendwie süss, der Meinung war ich schon immer gewesen. "Also hör zu," seufzte sie und schaute mich wieder an, "ich hab das alles ernst gemeint gestern." Ich legte mich auf die Seite, um sie besser ansehen zu können und überlegte dann laut: "Hätte nicht gedacht, dass du dich noch daran erinnerst, wenn du aufwachst." Sie guckte mich sofort beleidigt an und versuchte, sich zu verteidigen. "Soo dicht war ich gar nicht." Doch sobald sie ihren Satz zu ende gesagt hatte und meinen zweifelnden Blick sah, gab sie nach. "Okay, ja." Sie kicherte und wurde dann wieder ernst. "Aber das ist zu wichtig, ich würde es nie vergessen." Dann war es still jn meinem Zimmer un wir sahen uns nur in die Augen. Die Uhr auf meinem Schreibtisch gab ein leises Ticken von sich und draussen stieg die Sonne immer mehr. "Willst du was dazu sagen?", fragte sie mich zögernd und strich mit einem Finger über meinen Arm. Ich bekam Gänsehaut und Chaya musste leicht lachen, als sie das merkte. "Ich weiss nicht was.", erwiderte ich dann schulterzuckend. Sie nickte einsichtig und setzte sich ziemlich ruckartig auf, nur um mich dann wieder anzusehen.
"Sky, ich habe einen grossen Fehler gemacht, als ich Schluss gemacht habe." Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Sie war so undurchschaubar, ihr Blick sagte nichts über ihre Gefühle aus. "Was war überhaupt der Grund dafür?", fragte ich dann, sichtlich verletzt. Sie hob verzweifelt ihre Hände und liess sie gleich wieder fallen. "Ich habe mit meiner Mutter über das Thema 'lesbisch sein' allgemein geredet und sie hat einen riesen Haufen Scheisse erzählt. Sie hat sich richtig darüber aufgeregt, wie unnatürlich das ist und so. Und mein ganzer Freundeskreis findets auch scheisse. Ich wollte einfach weiterhin dazugehören und hab mir eingeredet, dass es nur eine Phase war. Aber ich hab vor einer Woche gemerkt, dass ich dich vermisse und es hat mir wehgetan, wenn du vor mir geflüchtet bist. Ich konnte es dir aber echt nicht verübeln... es war einfach dumm von mir." Sie redete sich so in Rage, dass ich dachte, sie würde nie ein Ende finden, doch irgendwann war es soweit und meine Reaktion war gefragt. Das alles klang sehr plausibel, ich wusste wie schwer es war, wenn jemand aus der Familie dagegen war. Und ich verstand sie, die ganze Erklärung. Ein ComingOut war immer schwierig, man wusste nie, wie die Leite reagieren würden. Und wenn man wusste, dass es kein gutes Ende haben würde, dann wollte man es niemandem erzählen. Also nickte ich nur und legte meine Hände unter meinen Kopf. "Okay."
Sie beobachtete mich genau, von oben bis unten, ob ich nicht vielleicht doch noch wütend werden würde. Aber ich hatte keine Energie mehr dafür. "Das ist alles? Du findest es okay? Mehr willst du nicht dazu sagen?", fragte sie ungläubig mit erhobener Augenbraue und gerunzelter Stirn. Irgendwie sah es so aus, als wäre sie enttäuscht. Als hätte sie erwartet, dass ich ihr sofort um den Hals fiel, wenn sie nur meinen Namen sagte. Ich seufzte und schaute zur Zimmerdecke. "Ja, ich versteh das ja. Aber ich war trotzdem verletzt. Ich hab alle Bilder in eine Kiste gestopft und sie irgendwo verstaut, ich wollte kein Wort mehr mit dir reden. Aber dann tauchst du mitten in der Nacht vor meiner Haustür auf, also was hätte ich tun sollen?" Sie sah einsichtig zur Seite und überlegte eine Weile. Dann legte sie sich wieder neben mich und legte ihre Hand an meine Wange, um mein Gesicht zu ihr zu drehen. Wir waren nur noch weniger Zentimeter von einander entfernt, ich spürte ihren Atem an meinen Lippen. "Weisst du, ich habe gemerkt, wie sehr ich dich brauche. Ich denke pausenlos an dich und wäre am liebsten die ganze Zeit bei dir. Ich liebe dich, Sky." Ich hielt die Luft an und achtete nur auf sie. Mein Herzschlag legte an Tempo zu und meine Augen füllten sich ein wenig mit Tränen. Es kamen alle Gefühle auf einmal. Wut, weil sie mich so verletzt, Trauer, weil ich sie auch vermisst und Glück, weil sie etwas so Schönes gesagt hatte. Es wirkte alles so unrealistisch und deswegen, weil ich Angst davor hatte, dass alles nur ein Traum war, tat ich das, was ich gerade am meisten tun wollte. Ich legte meine Lippen sanft auf ihre und gab mich ganz dem Moment hin. Sie erwiderte den Kuss, zuerst langsam und dann immer schnell und leidenschaftlicher. Irgendwann lösten wir uns voneinander und, als sich unsere Blicke trafen, fingen wir an zu lachen. Es war wie im Traum, nur dass wir im Traum bestimmt keine Schule gehabt hätten.
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Wir
RomanceFortsetzung. Ich empfehle euch, zuerst "Sie", auch auf meinem Profil, zu lesen. Es geht aber auch gut ohne, da es eine ganz neue Geschichte ist, die nur die gleichen Charaktere enthält. ~ Die Sommerferien beginnen schlecht und je mehr Wochen vergehe...