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Ich glaube es war vollkommen verständlich, dass mein Herz einen kurzen Moment stehen blieb. Ich hatte einfach nicht mit dieser Antwort gerechnet.

"Vielleicht wollte ich dich einfach nur sehen?"

Was sollte das denn heissen? Also, wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie auf Liv stand, dann hätte ich das als Flirt verstanden. Aber es war nur freundschaftlich gemeint, denn gleich darauf sagte sie: "Ich habe doch schon ewig nicht mehr richtig mit meinem Gaybro geredet." Ich lachte auf bei dem Spitznamen, den wir uns irgendwann gegeben hatten. Es war okay, ich wusste ja, dass ich nur eine Freundin für sie war. Das war sie ja auch für mich, nur wusste ich, dass es nicht mehr viel brauchte, dass sich das ändern könnte. Aber ich wollte nicht, dass es sich änderte. Clarke war eine tolle Freundin, so wie Nelly. Und sie hatte Liv. Liv war wirklich cool, Sie und Clarke würden zusammen passen. "Ja, stimmt. Wurde wieder einmal Zeit.", antwortete ich und boxte sie in den Oberarm.

Mit je einer Eiswaffel in der Hand sassen wir auf einer Bank in der Stadt und beobachteten die Leute, die an uns vorbei gingen. Die meisten hatten einen schnellen Schritt drauf und taten so, als würden sie verfolgt werden. Andere schlenderten an den Schaufenstern vorbei und liessen sich Zeit. Die Bank stand unter einem grossen Baum, gleich neben der Kirche, die gerade von einigen alten Leuten geflutet wurde. "Oh mann, die sind echt nervig.", seufzte Clarke und ass ihr Jogurteis. "Wie sie uns anschauen. Stören wir etwa ihre Messe?", fragte sie nun etwas lauter, an einen Herren gerichtet, der sie aber eigentlich nicht hören sollte. Ich kicherte und bemerkte tatsächlich einige skeptische Blicke. "Die Jugend von heute..", ahmte ich eine ältere Frau nach und schüttelte enttäuscht meinen Kopf dazu. Clarke lachte und sah dann von ihrem Eis auf. "Apropos Jugend, naja, eher Kinder. Ich muss am Freitag die Kinder meiner Schwester babysitten, kommst du mit? Normalerweise geht Liv mit, aber sie kann nicht.", fragte sie mich und erwartete geduldig eine Antwort. Ich brauchte aber nicht lange und sagte gleich zu. Ich wusste nicht einmal, ob ich wirklich Zeit hatte, aber ich hatte schon so viele Bilder dieser Kinder gesehen und ich wollte sie soweiso einmal kennenlernen. Dann würde ich mir eben Zeit nehmen. Clarkes Gesicht erhellte sich und sie grinste. "Cool! Dann können wir Pizza bestellen." Ein vielsagender Blick wurde zwischen uns ausgetauscht und dann brachen wir in Gelächter aus.

°°°

Am Freitag klingelte ich an einer Tür, vor der ich noch nie gestanden hatte. Clarke öffnete sie mir lächelnd, ein kleines Mädchen hinter ihr, das mich nur sehr verwirrt ansah. Natürlich, sie hatte mich ja auch noch nie gesehen. "Hey, sie sind kurz vor dir weg.", wurde mir erklärt, als ich fragte, wo ihre Schwester denn war. Ich nickte verstehend und ging ins Haus hinein. Es war schön und erinnerte mich sehr an Clarkes eigenes. Vor allem die Küche, die genau so toll war, wie ihre. Das kleine Mädchen stand vor uns und beobachtete mich, wusste nicht genau, was sich hier abspielte. Unsicher sah sie zu Clarke, die sie liebevoll musterte. "Das ist Sky, sie spielt heute mit uns." Ich lächelte sie ebenfalls an un dbückte mich zu ihr. "Hey, ich mag dein Kleid." Das Mädchen schien zu verstehen, wer ich war, und rannte dann weg. Das rote Kleidchen, das sie trug, flog in der Luft hinter ihr her, was wirklich süss aussah. "Weisst du noch, wie sie heisst?", fragte mich Clarke und grinste, da sie vermutete, dass ich es nicht wusste. Doch mit Namen war ich gut, auch wenn es das Einzige war. "Logisch, Mia.", bewies ich ihr stolz. Sie nickte anerkennend und sah der Kleinen hinterher. Sie kickte einen Ball im Garten herum und kam dann wieder hinein, um mit Bauklötzen zu spielen. "Mia ist 3, und hat soviel Energie, dass es ein Wunder ist, wenn wir mit ihr fertig werden.", warnte mich Clarke und kicherte etwas. Dann setzten wir uns zu dem Mädchen, das sich nicht von uns ablenken liess. Und so sassen wir eine gute halbe Stunde vor farbigen Türmen, die immer wieder aufgebaut und wieder zerstört wurden.

Das Essen verlief unglaublich chaotisch. Wir hatten Pizza bestellt und gaben Mia von unseren Pizzen ein Paar Stückchen ab. Irgendwann streckte sie mir ein Stück Rand entgegen und sah mich mit grossen Augen an. "Für mich?", fragte ich überrascht und sie nickte eifrig. Wie von mir erwartet biss ich ab und bedankte mich. Sie lächelte und legte den Rand auf meinen Teller. Clarke lachte: "Sie mag den Rand nicht." Ich erwiderte ihr Lachen und zuckte mit den Schultern. "Immerhin weiss sie, was sie will." Und damit hatte ich recht, denn nach dem Essen wollte Mia mich mit ihrem Arztkoffer untersuchen. Und so schlug sie mir auf mein 'gebrochenes' Bein und klebte mich mit Pflastern voll. Und danach wollte sie ganz bestimmt nicht ins Bett. Auch nachdem wir noch eine kurze Kindersendung im Fernsehen mit ihr angeschaut hatten. Doch Clarke, die dieses kleine Mädchen mit so viel Liebebehandelte, schaffte es, sie ins Bett zu bringen. Ich bewunderte das. Ich sah in ihren Augen die Liebe, wenn sie mit Mia redete und spielte. Die beiden waren wie ein eingespieltes Team und es war grossartig mitanzusehen. Als Clarke wieder nach unten ins Wohnzimmer kam, lag ich auf dem Sofa und schaltete durch die verschiedenen Kanäle. Es lief natürlich nichts Gutes. "Endlich, das war jetzt anstrengend.", seufzte sie und liess sich neben mir in die Polster fallen. "Du hast das echt gut gemacht. So erwachsen kenn ich dich gar nicht.", neckte ich sie und sie stupste mich empört an. Dann schauten wir irgendeine langweilige Sendung, bis ich in einer Ecke einen schwarzen Blumetopf sah. Doch es war keine Pflanze darin, sondern bestimmt hundert Weinkorken. Entweder trank diese Familie viel Wein, oder das war nur Dekoration. Es war aber eigentlich egal, denn meine Idee hatte damit nichts zu tun. "Hey, Clarke. Spielen wir ein Spiel.", schlug ich vor und stand auf, um den Topf zu leeren. "Meinst du nicht wir haben heute genug gespielt?", fragte sie dann mistrauisch, grinste aber, als sie von mir eine Handvoll Korken bekam. Sie verstand sofort. "Komm schon, du bist doch Handballerin. Wieviele Korken triffst du in den Topf?", forderte ich sie heraus und so spielten wir eine Stunde lang Korkenwerfen, während im Hintergrund diese Sendung lief.  Wir lachten und wir trafen weniger den Topf, als den Boden, doch es war lustiger, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte.

Nachdem Clarkes Schwester mit ihrem Mann nach Hause gekommen war, fuhr uns dieser nach Hause. Es war ein toller Abend gewesen und, als ich mich endlich in mein Bett fallen lassen konnte, grinste ich von Ohr zu Ohr, bevor ich einschlief.

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