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Chaya hob benommen ihren Kopf und suchte nach dem Menschen, der soeben ihren Namen gesagt hatte. Als sie mein Gesicht erkannte, erhellte sich ihre Miene und mit einem fetten Grinsen veruchte sie, aufzustehen. Das klappte natürlich nicht und sie musste sich halb an mir, halb am Türrahmen, festhalten. "Sky! Dich hab ich gesucht.", lallte sie mir fröhlich ins Ohr, was dazu führte, dass ich Gänsehaut bekam. Die Alkoholfahne erschlug mich fast und am liebsten hätte ich sie wieder auf den Boden gesetzt und die Tür hinter mir geschlossen. Aber ich konnte nicht.

Also hievte ich die Betrunkene über die Türschwelle und dann Schritt für Schritt zum Sofa. Als ich sie darauf plumpsen lassen wollte, klammerte sie sich an meiner Schulter fest und riss mich mit auf den Teppich. Nachdem ich mich wieder aufgesetzt hatte, sah ich direkt in ihr verklärt aussehendes Gesicht. Sie war mit dem Rücken ans Sofa gelehnt und starrte mich an. Ihre tollen Augen sahen so matt aus, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Wenn ich sie noch länger ansehen würde, ginge es nicht gut aus. Also erhob ich mich und gab ihr eine Decke, die auf dem anderen Sofa lag. "Hier. Ich geh dann mal hoch.", murmelte ich und wollte mich aus dem Staub machen, doch ich wurde am Handgelenk zurückgehalten. Was auch sonst? Ich schloss kurz die Augen, um mich zu beherrschen, denn je länger sie mich anschaute, oder -fasste, desto mehr Angsthatte ich davor, dass die Gefühle wieder hoch kamen. Dann drehte ich mich um und bedachte Chaya mit einem fragenden Blick. "Bitte, warte. Ich weiss, du hast was gehört, aber ich habe nichts Schlechtes über dich erzählt.", flüsterte sie immernoch kaum verständlich. Als ich nicht antwortete, fügte sie noch "Ehrlich. Ich wollte auch nicht schluss machen.", hinzu. Da war es mit meiner Beherrschung vorbei und ich wusste nicht, ob ich wütend, oder traurig sein sollte. Wieso hatte sie denn Schluss gemacht, wenn sie es nicht wollte? Und wieso redeten Leute dann davon, dass sie nur mit mir gespielt hatte? Ich riss mein Handgelenk aus ihrem Griff und setzte mich aufs andere Sofa, schräg gegenüber. Sie sah mich an, wartend auf eine Reaktion. "Chaya, du kannst nicht einfach betrunken hier auftauchen...", seufzte ich schlussendlich geschlagen und rieb mir die Augen.

Als ich endlich wieder sehen konnte, sass meine Exfreundin neben mir und lehnte ihren Kopf an meiner Schulter an. Kurz fühlte es sich an wie früher, wenn wir zusammen die ganze Nacht Filme angeschaut hatten. Aber dann fiel mir wieder ein, dass sie betrunken und sie und ich kein 'wir' mehr waren. "Sky, du siehst doch, dass ich das kann. Ich bin ja hier.", kicherte Chaya und schlang zu allem Übel auch noch ihren Arm um meine Hüfte. Ich hätte sie wegschieben und gehen sollen, aber ich tat es nicht. Ihre Nähe, die ich schon so lange nicht mehr gespürt hatte, war einfach zu angenehm. Ich wollte nicht leugnen, dass ich sie vermisst hatte. "Sag bitte was.", flehte sie weinerlich, als ich nichts erwiderte. Ich war vollkommen überfordert mit der Situation, wusste nicht was ich tun, oder denken sollte. "Chaya, wir sind nicht mehr zusammen, du hast es beendet. Und was hast du deinen tollen Freunden überhaupt erzählt?", fuhr ich sie etwas gereizt an und rutschte zur Seite, um sie anzusehen. Sie verschränkte trotzig ihre Arme und zog ihre Augenbrauen zusammen. "Ich hab ihnen nur erzählt, dass wir zusammen waren. Und, dass ich schluss gemacht habe, war der grösste Fehler, den ich je gemacht habe. Ich liebe dich wirklich." Ihr Blick wurde weicher, doch ich konnte sie trotzdem nicht so ernst nehmen, wie sie es wollte. Sie trug diesen betrunkenen Ausdruck im Gesicht, der sie wirken liess wie ein kleines Kind. Aber sie liebte mich. Jedenfalls sagte sie das. Mein Herz schlug etwas schneller, als normal und mein Hirn lief auf Hochtouren. Was sollte ich glauben? Es war einfach zu viel auf einmal. Chaya sass vor mir mit Tränen in den Augen und dieser Anblick brachte mich dazu, etwas zu tun, dass ich vorher nie im Leben getan hätte.
"Komm, wir gehen ins Bett. Das bringt jetzt nichts."

Ich schleppte sie die Treppen hinauf und in mein Zimmer, wo sie sich sofort auf mein Bett fallen liess. "Es riecht so gut nach dir.", murmelte sie, wahrscheinlich eher zu sich selbst. Ich ignorierte diese Aussage und zog ihr die Schuhe aus. Sobald diese auf dem Boden gelandet waren, schlüpfte sie unter die Decke und rollte sich zusammen. Unsere Blicke trafen sich und nach einiger Zeit wurde ihrer unglaublich ernst, als wäre sie nicht betrunken. "Wieso sind all unsere Bilder weg?", fragte sie und ich konnte hören, wie verletzt sie war. Ich dachte an meinen kleinen Anfall heute Nachmittag und wie weh es getan hatte. "Ich hab es nicht mehr ausgehalten, dich immer ansehen zu müssen.", antwortete ich ehrlich und, als ich merkte, wie die Tränen langsam in meine Augen stiegen, wusste ich, dass ich hier raus musste.

Schnell ging ich auf die Toilette und putzte meine Zähne. Danach stand ich lange vor dem Spiegel, die Hände aufs Waschbecken gestützt und redete mir ein, dass ich es schon schaffen würde. Das alles war gar nicht so schlimm, es war einfach überraschend, weil ich schon bereit gewesen war, damit abzuschliessen. Aber das Universum wollte nicht, nicht heute. Ich trank ein paar Schlücke Wasser und verliess dann das Badezimmer wieder. Ich steckte meinen Kopf durch den Türspalt und fand eine schlafende Chaya vor. Erinnerungen an unsere guten Zeiten kamen zum Vorschein und liessen mich lächeln. Ich legte mich neben sie und machte das Licht aus. Der Körper neben mir regte sich langsam und kam meinem immer näher. Dann küsste sie meinen Hals und flüsterte: "Es tut mir so leid. Ich liebe dich." Ich seufzte und legte eine Hand auf ihren Kopf, um ihn ein wenig von mir weg zu schieben. Ihre Berührungen waren zu schön, als dass ich ihnen lange hätte widerstehen können. "Sag mir das morgen nochmal, wenn du nüchtern bist. Dann reden wir weiter."

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