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Ich wachte auf und musste mich erst einmal wieder zurechtfinden. Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah mich im Raum um. Als mir auffiel, dass ich immer noch in Clarkes Armen lag, wurde mir auch bewusst, wo ich überhaupt war. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen und ich machte die Augen wieder zu. Sorgen machen konnte ich mir später, jetzt wollte ich die Wärme, die mich physisch und seelisch umgab geniessen. Ich dachte ich konnte noch liegen bleiben, bis Clarke irgendwann erwachen würde, doch bald merkte ich, dass sie schon wach war. Ich hörte ganz leise Musik und öffnete daraufhin die Augen wieder. Nach kurzem Suchen fand ich ihre Hand, die sie auf ihrem Bauch aufgestützt hatte. Sie scrollte durch Instagram. Der andere Arm lag noch unter mir und hielt mich an der Schulter, streichelte mich hin und wieder mit ihrem Daumen. Es war so angenehm und am liebsten hätte ich mich nie mehr hier weg bewegt, doch ich wollte sie ansehen. Als ich mich regte, sperrte sie ihr Handy, legte es weg und musterte mich. "Na du.", flüsterte sie und räusperte sich dann. Ihre Stimme klang irgendwie süss, noch so schläfrig. Ich lächelte sie an und rückte ein wenig von ihr ab. Ich wollte ihr so gerne so nahe sein, sehnte mich danach, doch ich hatte den plötzlichen Gedanken, dass das nicht gut war. Sie stand auf Liv, schon seit einer Ewigkeit und ich hatte erst gestern einen Streit mit Chaya gehabt. Ich wusste ja nicht einmal, ob wir noch zusammen waren. Es würde mich nur verletzen, doch Clarke war nicht schuld. Sie war nur eine wirklich gute Freundin, ich interpretierte zuviel hinein. Ich drehte mich auf den Rücken und starrte an die Decke. "Alles okay?", sorgte sie sich und drehte sich zu mir. Ihre Augen fuhren mein Gesicht ab, schienen sich jeden Zentimeter einprägen zu wollen. So von ihr angesehen zu werden, machte mich verrückt. Ich traute mich nicht, meinen Kopf in ihre Richtung zu drehen, da ich Angst davor hatte, ihr zu Nahe zu kommen. Also nickte ich nur und antwortete: "Ja, ich denke nur nach." Sie nickte zurück, um mir zu zeigen, dass sie verstanden hatte, doch das hatte sie ganz gewiss nicht. Sie dachte, dass meine Gedanken an Chaya hingen und an dem, was gestern passiert war. Nicht an ihr und wie wenig Abstand da gerade zwischen uns lag. Ich musste mir das endlich aus dem Kopf schlagen.

Ich erhob mich mühsam und setzte mich an den Rand ihres Bettes. Meine Beine baumelten in der Luft, knapp über dem Boden. Dort lag ein weisses T-Shirt mit einem bunten Aufdruck, das sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein Lachen entfuhr meinem Mund, als ich sah, was darauf in vielen verschiedenen Farben prangte. "Du hast ein Elyas M'Barek T-Shirt?", kicherte ich und warf es ihr ins Gesicht. Sie wurde sofort rot und sprang auf, um es in ihrem Schrank zu stecken. "Äh...nein. Das ist von Liv.", stotterte sie ein wenig und stand so nervös, wie ich es selten gesehen hatte, mitten in ihrem Zimmer. Oh. Meine Stimmung, die gerade noch einigermassen okay war, sank weiter hinunter. "Achso. Na dann." sagte ich dann leicht lächelnd und stand auf, um nach unten zu gehen. Ich hatte Hunger und Essen war das beste Mittel, um mich fröhlich zu stimmen. Ich hörte, wie Clarke hinter mir den langen Gang entlang ging, doch wir sagten nichts, waren beide zu peinlich berührt von dem T-Shirt Vorfall gerade eben. in der Küche war es still, nicht einmal eine Uhr hing hier, die irgendwelche Geräusche hätte machen können. Clarkes Eltern waren nicht da und so konnten wir uns Zeit lassen. Wir belegten, in stillschweigender Vereinbarung, Toast mit Schinken und Käse und schoben das Blech dann in den Ofen. Immer, wenn wir zusammen Filme gesehen hatten, hatten wir das gegessen. Darum war es schön. Es versicherte mir, dass zwischen uns noch alles war wie vorher. Nach diesem T-Shirt Vorfall, gleich nach der Nacht, in der wir gekuschelt hatten. Sobald wir das Essen vor uns stehen hatten, begannen die Witze wieder über unsere Lippen zu sprudeln, wie immer. Wir lachten und neckten uns, als gäbe es kein Morgen. Und dann musste ich nach Hause gehen.

Matt hatte mich wütend angerufen und mir verklickert, dass er jetzt unbedingt sein, ich zitiere: "scheiss Auto" brauchte. Also stieg ich, nach einer langen Umarmung von Clarke, ein und düste zu meinem tobenden Bruder. Als ich die Einfahrt hinauf fuhr, konnte ich ihn schon draussen stehen sehen, mit gerunzelter Stirn und wütend funkelnden Augen. "Sorry. War ein Notfall.", erklärte ich ihm mit beruhigender Stimme, um ihn ein wenig zu beschwichtigen. Er murrte irgendetwas zurück, stieg dann ein und brauste davon. Affe. Ich verstand mich ja echt super mit ihm, aber manchmal ritt ihn einfach der Teufel. Ich machte die Haustür, die mein Bruder offen gelassen hatte, hinter mir zu und streifte mir die Schuhe von den Füssen. Das erste, was ich sah, als ich ins Wohnzimmer kam, war mein Handy. Seufzend entsperrte ich es und bereitete mich auf das Schlimmste vor. Ich hatte nur noch wenig Akku, weil es ja die ganze Nacht an war und nicht aufgeladen wurde. Mein zweiter Blick fiel auf die 23 Nachrichten, die mir Chaya geschickt hatte. 

"Sky, war doch nur ein Spass."

"Komm schon, ist doch lustig gewesen."

"Ich wollte dir nicht weh tun..."

"Bitte, schreib mir doch."

"Okay, gute Nacht. Ruf mich morgen an."

Ich fühlte alles, was ich gestern Abend gefühlt hatte, nur weniger stark. Sie war einfach zu weit  gegangen. Ich hatte seitdem genug Zeit gehabt nachzudenken und ich war zu einem Schluss gekommen. Das, was sie abgezogen hatte, war schlimm, natürlich. Aber die Tatsache, dass ich ihr sofort geglaubt hatte, zeigte doch, dass ich ihr nie wirklich vertraut hatte. Es kam mir so plausibel vor, es machte Sinn, dass sie mich betrügen würde. Ich hatte nicht einmal hinterfragt, dass sie es getan hatte. Und das war es, das mich so fertig machte. Denn plötzlich verstand ich, dass ich sie nie so gut gekannt hatte, wie ich dachte. Mir wurde schlagartig klar, dass ich unglaublich dumm und naiv gewesen war, mich noch einmal auf sie einzulassen, ihr noch eine Chance zu geben. Das alles und der Gedanke an Clarkes Nähe, liessen mich schliesslich, auf dem Sofa sitzend, heulen. Ich bereute, je an Chaya und mich geglaubt zu haben.

Ich weiss nicht wieviel Zeit verging, aber ich wachte auf, als plötzlich Matt die Arme unter meinen Körper schob und mich, die Treppe hinauf, in mein Bett trug.

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