Irgendwann, es war schon fast Mitternacht, verabschiedete sich Henry von uns ging nach Hause. Mum stand noch lange mit ihm vor unserer Haustür, wo sie redeten und sich schlussendlich lange umarmten. Sie kamen mir ein wenig vor wie Clarke und ich. Ich war in meinem Zimmer, als ein leises Klopfen an der Tür an mein Ohr drang. Dann öffnete sich die Tür und Mums Lockenkopf schaute herein. "Ah, du bist noch wach.", lächelte sie und setzte sich zu mir aufs Bett. Ich nickte und sah sie abwartend an. "Ich wollte nur sagen, dass ich mich freue wieder hier zu sein. Ich habe euch vermisst.", erklärte sie und sah mir direkt in die Augen. Ich nickte verstehend und lehnte mich an ihrer Schulter an. "Wir haben dich auch vermisst." Ich hörte ihr Lachen, das ich schon fast vergessen hatte. An dem Tag, an dem Dad weg gegangen war, hatte sie sich verändert. Und jetzt, mit Henry, tat sie das wieder. Sie war fröhlicher, unbeschwert. "Es freut mich, dass ihr euch so gut mit ihm versteht.", warf sie in den Raum und brach somit die angenehme Stille. Ich lächelte, schon wieder, und sah zur Lichterkette, die an meiner Wand hing. Sie war die einzige Lichtquelle im Raum und tauchte ihn in ein warmes, gelbes Licht. "Er ist wirklich toll, Mum.", stimmte ich ihr zu und meinte es ernst. Nicht wie bei den anderen Männern, die im Laufe der Jahre über unsere Türschwelle getreten waren. Sie legte ihre Arme um mich und drückte mich an sich. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte es sich so an, als wäre sie wirklich da für mich. Ich konnte ihr alles erzählen, jetzt. "Mum, ich bin nicht mehr mit ihr zusammen." Ich flüsterte, noch immer belastet von dem, was passiert war. Aber auch, weil ich Angst davor hatte, was sie sagen würde. Sie sagte nichts, ziemlich lange blieb das Zimmer ohne auch nur einen Laut. Sie schien mit den Worten zu ringen. Als wüsste sie selbst nicht, was sie sagen sollte. Irgendwann rutschte sie ein wenig weg von mir und ich bekam schon Angst, dass sie noch immer ein Problem damit hatte. Doch sie setzte sich im Schneidersitz direkt vor mich und entschied sich dazu, das einzig Richtige zu tun. Sie stellte die Frage, die sie mir auch stellen würde, wenn es um einen Jungen ginge. "Wieso, was ist passiert? Geht es dir gut?" Erleichtert sank mein Köroer in sich zusammen und ich überlegte. Was würde ich ihr sagen? "Sie war...schlecht für mich. Aber jetzt geht's mir gut. Besser.", murmelte ich und sah sie an, mit mir selbst um meine Beherrschung kämpfend. Sie merkte es sofort und streichelte mir über die Wange. Ich schloss die Augen und genoss es, ihre Unterstützung zu spüren. "Es wird vorbei gehen, meine Kleine. Ich bin für dich da.", versprach sie mir und mir kamen fast die Tränen. Aber nicht, wegen Chaya, sondern, weil ich glücklich war, meine Mum wiederzuhaben. Wir nickten beide zum Abschluss und sie ging mit einem Gutenachtkuss, den sie auf meiner Stirn platzierte, aus dem Zimmer.
Am nächsten Morgen wachte ich auf, geweckt von Klimpern in der Küche. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht und ich stand auf. Endlich war wieder jemand im Haus und es war nicht mehr so unheimlich leer. Ich zog mich um und ging die Treppe hinunter. So gut gelaunt war ich schon lange nicht mehr. Ich begrüsste meine Mutter mit einer kurzen Umarmung und nahm eine, schon vorbereitete Tasse Kaffee, in die Hand. Matt kam verschlafen kurz nach mir nach unten und nahm sich, kopfkratzend, die zweite Tasse. Bald darauf waren wir alle in ein fröhliches und erstaunlich waches Gespräch verwickelt. "Ich will die Bombenstimmung ja nicht unterbrechen, aber wir müssen los.", tippte mein Bruder mir auf die Schulter und lief zur Tür. Ich ging ihm hinterher und zog meine Schuhe an, während er den Autoschlüssel aus einer Schüssel am Eingang nahm. Fast gleichzeitig riefen wir unserer Mutter ein "Tschüss!" zu und setzten uns ins Auto.
Nach einigen Stunden Schule war ich schon nicht mehr ganz so glücklich. Mir war langweilig und zwar des Todes. Wer hatte auch die Mathematik erfinden müssen. Den Kopf in meine Hand gestützt, sass ich auf meinem Platz und dachte darüber nach, was es wohl zum Mittagessen geben würde. Nelly schrieb wie immer fleissig mit und die dunkle Präsenz von Chaya versaute die Luft. PLötzlich verbrierte mein Handy in meiner Hosentasche und ich erschrak so sehr, dass ich zusammen zickte. Dabei warf ich mein Heft und einen Stift hinunter. Schnell hob ich alles wieder auf, wütend angestarrt von unserem Lehrer. Sobald er sich wieder zur Tafel gedreht hatte, holte ich mein Handy hervor und entsperrte es. Eine neue Nachricht von Clarke, ich lächelte.
"Wir wärs mit Eis essen, nach der Schule?"
Ich nickte, merkte, dass sie es nicht sehen konnte und antwrotete ihr schnell. Natürlich würde ich mit ihr Eis essen gehen, was war das denn für eine Frage.
"Ja, bin dabei :)"
Ein Räuspern störte mich und liess meinen Kopf nach oben schnellen. Ein böses Blitzen drang in meine Augen und es sah so aus, als wolle er mich mit seinem Blick durchbohren. Ich steckte mein Handy weg und konzentrierte mich wieder. Aber nicht auf den Unterricht, das wäre ja absurd. Ich fragte mich, wieso Clarke mich sehen wollte. Es war doch nichts schlimmes passiert? Nein, dann hätte sie nicht gefragt ob wir ein Eis essen gehen wollten. Eis war etwas für glückliche Momente. Hatte sich etwas mit Liv entwickelt? Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie gefiel mir auch das nicht sonderlich. Ich musste aufhören, mir so viele Gedanken darüber zu machen. Ich würde einfach hingehen und sehen, was passieren würde. Ja, das war ein guter Plan.
Nach der Schule wartete ich an Clarkes Spind, was mittlerweile unser üblicher Treffpunkt war. Das war nur so, weil ich zu ungeduldig war, um immer draussen auf sie zu warten, aber das würde ich ihr nicht sagen. Ich war in Gedanken versunken, als ich ein Tippen auf meiner rechten Schulter spürte. Schnell drehte ich mich in diese Richtung, vernahm aber gleich danach ein Lachen, das ich unter tausenden erkennen würde, von links. Ich sah zu ihr und legte meinen Kopf schief. "Dein Ernst? Das ist mein Ding, du darfst mich nicht mit meinen eigenen Waffen schlagen.", beschwerte ich mich grinsend und wartete darauf, dass sie ihr Zeug in den Spind gelegt hatte. "Nein, Sky, du hast das nicht reserviert. Und ich kann dich sehr wohl mit deinen Waffen schlagen.", grinste sie zurück und ging los. "Ach ja?", lachte ich und lief neben ihr her, darauf achtend, dass ich ihr nicht zu Nahe kam. Wir hatten in dieser einen Nacht unsere Grenze der Freundschaft ein bisschen überschritten, aber das war egal. Ich wollte das nicht, sie hatte Liv. Und, wenn ich ihr zu Nahe kam, könnte das die Folge haben, dass ich beginnen würde, mehr für sie zu fühlen. Das wollte ich mir nicht antun. Sie nickte: "Ja, du wirst schon sehen." Es kam mir vor, als würde ihr Grinsen nie ersterben und das war auch der Grund dafür, dass meines auf meinen Lippen blieb. "Was ist eigentlich los, wieso Eis essen?" Ja, ich musste fragen, ich hielt es nicht mehr aus. Sie blickte fragen zu mir und dann wieder auf den Weg vor uns. Inzwischen waren wir aus der Schule heraus und in einer kleinen, malerischen Gasse, auf dem Weg in die Stadt.
"Warum muss denn etwas los sein? Vielleicht wollte ich dich einfach nur sehen?"
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Wir
RomanceFortsetzung. Ich empfehle euch, zuerst "Sie", auch auf meinem Profil, zu lesen. Es geht aber auch gut ohne, da es eine ganz neue Geschichte ist, die nur die gleichen Charaktere enthält. ~ Die Sommerferien beginnen schlecht und je mehr Wochen vergehe...