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Am nächsten Morgen kam ich in die Küche, völlig geschafft von den letzten Tagen. Mein Rücken tat höllisch weh, was vielleicht an den wenigen Stunden, in denen ich auf dem Sofa geschlafen hatte, lag. Matt stand vor dem Kühlschrank und schien nach etwas Essbarem zu suchen. Wir hatten, zugegebenermassen, nicht eingekauft, seitdem Mum nicht mehr wirklich hier wohnte. Als mein Bruder mich entdeckte, stellte er mir eine Tasse Kaffee vor die Nase und bedachte mich mit einem vorsichtigem Blick. Darauf folgte ein sanftes Lächeln und er drehte sich wieder um. "Also, meine Kochkünste sind ja nicht gerade der Hammer, aber ich hab mein Bestes gegeben.", entschuldigte er sich und servierte mir anschliessend ein Nutellabrot. Ich grinste ihn dankend an und gab ihm eine kurze Umarmung, die er sofort erwiderte. Er schien sich Sorgen zu machen, nachdem er mich gestern auf dem Sofa gefunden hatte. Aber er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, also versuchte er einfach, alles zu tun, dass es mir besser ging. Wie hatte ich ihn nur verdient?

Während ich mein Fünf-Sterne-Frühstück kaute, beobachtete ich, wie Matt sich schlussendlich für ein fast abgelaufenes Jogurt entschied. Er setzte sich mir gegenüber und fing an schweigend zu essen. Ich war nicht ganz so blöd, wie ich aussah und bemerkte seine forschenden Blicke, die immer wieder auf mir landeten. Irgendwann wurde es mir zu blöd. "Matt, was ist? Du siehst mich an, als wäre ich ein Projekt, oder so." Er erschrak ein wenig, hatte wahrscheinlich nicht gedacht, dass er so auffällig war. Dann druckste er herum und rührte in seinem Jogurt, bis ich ihn an die Stirn schnipste. "Okay, tut mir leid. Ich will auch nicht taktlos sein, aber ich sorge mich um dich. Was ist passiert?", erkundigte er sich und legte den Löffel auf den Tisch. Wow, das hiess wohl, dass er ein ernstes Gespräch führen wollte. Ich wunderte mich ein bisschen, denn das war sonst nicht sein Ding, aber irgendwie stand ihm der ernste Blick. "Ich habe einfach Drama mit Chaya...", murmelte ich ihm als Antwort entgegen und biss wieder von meinem Brot ab. "Schon wieder?" Matt starrte mich fassungslos an und ich sah, wie angespannt sein Kiefer war. "Ich dachte, sie wäre zur Besinnung gekommen.", fügte er dann verwirrt hinzu. Ich kaute schnell fertig und sobald ich herunter geschluckt hatte, erwiderte ich: "Ja, schon wieder. Aber das war das letzte Mal. Ich bin fertig mit ihr." Er nickte zufriedengestellt und nahm den Löffel wieder vom Tisch zwischen seine Finger. "Aber, weiss sie auch schon, dass du fertig mit ihr bist?", fragte er noch vorsichtig, bevor er sich einen Löffel Jogurt in den Mund steckte. Ich schüttelte energisch den Kopf. "Ich will es ihr wirklich sagen, aber ich habe keine Lust, sie anzurufen, ihr zu schreiben, oder sie sogar zu sehen. Nein, sie soll mir echt nicht vor die Augen kommen." Matt lachte und zeigte mit dem Löffel auf mich. "Dir ist aber bewusst, dass das die wichtigste Voraussetzung dafür ist, es ihr zu sagen? Mann, Sky...lass dir was einfallen, sonst überlegst du es dir noch anders und verzeihst ihr wieder. Und dass du es weisst; das ist keine Option. Die Bitch kommt hier nicht mehr ins Haus." Ich verdrehte die Augen und stand auf, um meinen mittlerweile leeren Teller in die Spülmaschine zu räumen. Immerhin hatten wir die, sonst wäre dieses Haus der reinste Saustall. Das Abwaschen würden wir nämlich ganz bestimmt vernachlässigen. Matts Aussage brachte mich trotzdem zum lächeln; er stand vollkommen hinter mir, egal, um was es ging. Ich umarmte ihn schnell von hinten und ging dann nach oben, um mich anzuziehen.

Er hatte recht, ich musste das mit Chaya endlich klären. Fertig angezogen und bereit mich ihr zu stellen, kam ich wieder die Treppen hinunter. Das würde echt hässlich werden und ich hatte keine Ahnung, wie es enden würde. Das war echt nicht meine Lieblingsbeschäftigung, mich Problemen zu stellen. Streit schon gar nicht, aber ich wusste, dass es zwangsweise darauf hinauslaufen würde. Matt stand schon unten vor der Haustür und wartete auf mich. Ich zog mir Schuhe und JAcke an und ging dann raus, gefolgt von meinem Bruder, der die Tür hinter uns schloss. Ich hörte seine schnellen Schritte hinter mir, auf dem Weg zum Auto. "Wirst du es gleich heute tun?", fragte er mit einem neugierigen Blitzen in den Augen und diesem kindischen Grinsen, das er noch immer so gut drauf hatte. "Ja, ich werde ihr meine Meinung sagen, heute. In der Schule, wo uns jede sehen und hören kann und sich ganz schnell Gerüchte verbreiten werden..." Während ich sprach, bekam ich plötzlich Angst. Da würden viele Leute sein, die dachten, was sie wollten. Unsicherheit machte sich in meiner Brust breit und liess mich Zweifeln. Wir warfen uns einen schnellen Blick zu, bevor Matt sich wieder auf die Strasse konzentrierte.  "Nein, Sky, das wird schon. Du wirst sie in den Boden stampfen und dann werden alle sehen, wie sie wirklich ist. Du schaffst das.", versicherte er mir und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich atmete tief ein und aus, immer wieder, bis wir vor der Schule ankamen. Ich stieg langsam auf und wurde erneut von einem unguten Gefühl getroffen. Das graue Gebäude lag vor uns und sah so unbehaglich aus, wie noch nie zuvor. Es war still und kein einziger Schüler stand davor, was wirklich komisch war. Sonst rauchten viele noch eine Zigarette, oder vermieden die Schule einfach für so lange Zeit, wie möglich. "Wir sind nur zu früh. Die kommen schon noch.", beruhigte Matt mich erneut, stieg ebenfalls aus und ging neben mir auf das Gebäude zu. Wir setzten uns auf das Geländer der Treppe, die zum Haupteingang führte und warteten. Mein Bruder und Verbündeter wich mir nicht von der Seite und gab mir Halt. Ich würde das schaffen. Und dann würde das alles endlich ein Ende nehmen.

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