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Am Samstagabend stand ich pünktlich vor Clarkes Haustür. Ich war noch nie hier gewesen und hatte deswegen erst die Adresse herausfinden müssen. In meiner linken Hand hielt ich ein Sandwich, weil ich zu Hause keine Zeit mehr gehabt hatte. Bevor ich entschlossen auf die Klingel drückte, sah ich an der Fassade des Hauses hinauf. Es war sehr modern und hatte grosse Fenster die ich mit beinahe ebenso grossen Augen bestaunte. Das Licht im Hausflur ging an und mir wurde die Tür geöffnet. Sie stand in Hoodie und Trainerhosen vor mir und begrüsste mich mit einem Lächeln. Wir umarmten uns kurz und sie lehnte sich an die Wand, während ich meine Schuhe auszog und neben die anderen Paare auf dem Teppich stellte. "Kayla ist noch nicht da, aber wen wundert's.", zuckte Clarke mit den Schultern und ging dann in die Küche. Während ich, so nervös wie ich gewesen war, extra darauf geachtet hatte, dass ich pünktlich kam, hatte ich vergessen, dass Kayla eine chronische zu-spät-Kommerin war. Das war jetzt aber nicht zu auffällig, oder? Etwas verärgert über mich selbst schüttelte ich den Kopf, biss von meinem Brot ab und folgte Clarke in die Küche. Dort angekommen wurden meine Augen wieder grösser. Der Raum war echt toll. Wieso auch immer, ich liebte grosse Küchen, wie diese. Und sie hatte eine Kücheninsel mit schwarzer Keramikplatte. "Nice.", staunte ich und drehte mich zu Clarke, die mich ansah. "Willst du was zu trinken? Und sag nicht nein, irgendwann hast du Durst und fragst mich doch nach Wasser." Ich lachte und lehnte mich mit verschränkten Armen an den Esstisch. "Na dann nehm ich gerne etwas." Sie grinste zufrieden und deutete fragend auf den Wasserhahn, worauf ich zustimmend nickte. Sie reichte mir mein Glas, füllte sich selbst eines und wir begaben uns ins Wohnzimmer, welches direkt an die Küche grenzte. Dass die schwarzen Ledersofas, die hier standen, bequemer waren, als sie aussahen, merkte ich, als ich mich auf eines fallen liess. Ich seufzte erleichtert auf und entspannte mich, sodass ich wahrscheinlich dort lag wie ein Sack Kartoffeln. Clarke lachte und setzte sich neben mich. Kauend sah ich mich im Raum um. Neben mir auf dem Sofa stand ein kleines Körbchen, in dem eine rote Decke lag. Ich hob fragend eine Augenbraue und drehte den Kopf zu Clarke. "Der gehört Jack, unserem Kater.", erklärte sie und zeigte dann auf ein schwarzes Fellknäuel, das, beim Klang seines Namens, aus dem Zimmer nebenan getapst kam. Es setzte vom Boden ab und landete zwischen uns auf dem Sofa. "Hey Jack.", sagte ich und streichelte über sein kleines Köpfchen, das sich sofort an meine Hand schmiegte. Doch dann entdeckte er das Sandwich in meiner anderen Hand und bevor ich etwas dagegen tun konnte, hatte er schon nach dem Schinken geschnappt und ein Stück davon abgebissen. Sofort hielt ich das Brot in die Höhe, um den Rest zu retten. Jack verschlang den Schinken und sah dann mit grossen Augen wieder zum Essen hinauf. Clarke lachte und als ich zu ihr schaute, erblickte ich ihr Handy in ihrer Hand. "Was machst du?", fragte ich und schenkte ihr einen 'Echt jetzt?'-Blick. Sie lachte und zuckte mit den Schultern. "Erinnerungen festhalten." Sie grinste mich an und da ich diesem Grinsen nicht widerstehen konnte, lächelte ich zurück. Jack hatte inzwischen aufgegeben und sich in seinem Körbchen zusammengerollt. Ich legte mein Brötchen auf den Tisch und wischte einige Katzenhaare von meinem Schoss. "Wann kommt Kayla, was denkst du?", fragte ich nach kurzer Zeit, um die Stille zu brechen, die nicht so unangenehm war, wie ich es erwartet hatte. Clarke sah auf die Uhr ihres Handys und zuckte dann mit den Schultern. "Sie ist jetzt eine halbe Stunde zu spät, sie kommt bestimmt gleich." Ich nickte und grinste, als sich eine Idee in meinen Kopf schlich. "Ich verstecke mich und erschrecke sie, wenn sie die Treppe hoch kommt.", erklärte ich und sprang grinsend auf. Ich war total in meinem Element. Clarke schmunzelte amüsiert und stand ebenfalls auf. Sie ging an mir vorbei und die Treppe hinunter, um die Tür aufzumachen, an der es just in diesem Moment geklingelt hatte. Ich hörte sie unten mit Kayla reden und lachen. Das leise Rascheln von Stoff drang bis zu mir hinauf, als sich Kayla, so wie ich eine halbe Stunde zuvor, ihre Schuhe auszog. Jack streckte sich, sprang vom Sofa und tapste dann müde auf mich zu. Er setzte sich vor meine Füsse und fing an zu miauen. Er wird mich verraten, dachte ich und wedelte schnell mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um ihn zu verscheuchen. Als ich Schritte auf der Treppe und Kaylas Stimme hörte, richtete ich mich schnell wieder auf und drückte mich so nah an die Wand wie ich konnte. Sie kamen immer näher und ich hielt den Atem an. "Sky ist noch nicht hier, du bist zum ersten Mal nicht die Letzte.", hörte ich Clarke sagen und Kayla lachte. "Wunder gibt es doch." Dann sah ich ihre kleinen Füsse um die Ecke kommen und sprang aus meinem Versteck hervor. Ich packte sie an den Schultern und machte ein lautes, gespenst-ähnliches Geräusch, sodass sie zusammenzuckte und einen hellen Schrei abliess. Jack war, verängstigt von all dem Lärm, aufgesprungen und hatte sich hinter dem Sofa versteckt, wo jetzt sein Köpfchen hervorlugte. Ich hielt mir den Bauch vor lachen und Kayla hatte eine Hand auf ihr Herz gelegt. Clarke stand daneben und lachte ebenfalls. Am liebsten hätte ich sie jetzt gefilmt, um 'Erinnerungen festzuhalten', denn ihr Lachen war unglaublich. Links und rechts neben ihrem Mund zeichneten sich Grübchen in ihre Wangen und ihre Augen strahlten vor Freude. Ich hörte auf zu lachen und musterte sie mit einem Lächeln. Für einen kurzen Moment blieb die Zeit stehen.

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