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Kapitel 4:

Eilig erhaschte die Räuberin mit ihren Blicken mehrere angebundene Pferde in der Nähe eines gewaltig großen Tors, das wohl ihr letztes Hindernis zur Freiheit wäre.
Schnell nahm sie Kurs auf die Pferde.

„Bewegt euch gefälligst und haltet sie!", hallte die unheilverkündende Stimme des Königs über den Hof. Hastig setzten sich nun auch die letzten Männer in Bewegung und sprinteten hinter Olaria her, die nun fast die Pferde erreicht hatte.

Mit flinken Fingern löste sie den Knoten, den die Pferde an dem dicken Pfeiler hielten. In Sekundenschnelle hatte sie sich auf das erst Beste geschwungen und drückte ihm die Fersen in die Seite. Mit einem lauten Wiehern stieg es einmal beinahe senkrecht in die Luft und hielt die Wachen erst einmal auf Abstand, ehe es lospreschte, in Richtung Tor.

„Schließt das Tor!", erklang eine gehetzte Stimme, die wohl einer der Wachen angehörte. Aus dem Augenwinkel stellte die Flüchtige zu ihrem Leidwesen fest, dass einige ebenfalls die Pferde bestiegen und ihr hinterher hetzten. Mit den Händen krallte sie sich in der zweifarbigen Mähne des Tieres fest und duckte sich tief über seinen Hals. Mit ihrer Stimme ließ sie den braunen Schecken noch schneller galoppieren. Ihre Haare wehten ihr wild hinterher, während sie beunruhigt feststellten musste, dass das Tor sich langsam begann zu schließen. Die Hufe der Pferden klapperten auf dem trockenen und steinigen Boden wie Trommeln.

Ihre Verfolger riefen sich eilig irgendwelche Befehle und Anweisungen zu.
Immer weiter senkte sich das schwarze Tor, dass typisch für die Königshöfe einem dunklen Gitter ähnelte und am unteren Ende mit Zacken versehen war. Unheilvoll kreischten die Scharnieren des Tors und ächzten unter dem Gewicht des schweren Metalls. Mit letzter Hoffnung trieb Olaria das Pferd noch weiter an. Wie eine Verrückte jagte sie unter dem Tor durch, als es noch so hoch war, dass gerade mal ein Pferd noch darunter durch passen konnte. Verzweifelte Rufe begleiteten sie noch über die breite Brücke, ehe sie ihr Pferd eilig quer über die offene Ebene trieb. Wäre sie dem Weg gefolgt, käme sie geradewegs in die nahe gelegene Stadt Salahir. Das Schloss des Königs lag ein wenig höher und abgelegener als die Stadt, was die Räuberin freudig begrüßte, denn der Weg bergab war ihr eine willkommene Hilfe.

Fast dachte sie schon, sie hätte es geschafft, als sie den dumpfen Aufschlag von weiteren Hufen hinter sich vernahm. Ein kurzer Blick nach hinten zeigte ihr den Prinzen der ihr verbissen folgte und zu ihrem Leid das schnellere Pferd zu besitzen schien, denn er näherte sich ihr immer mehr. „Komm schon!", murmelte Olaria hoffnungsvoll und drückte ihre Beine näher an den warmen Pferdebauch. Tatsächlich schien das Pferd seine Schritte zu verschnellern.

Der Wind pfiff ihr gnadenlos um die Ohren und brachte ihre Augen zum Tränen, was ihre Sicht merkbar verschlechterte. Hastig wischte sie sich mit dem ärmel ihres dunklen Oberteils über die Augen. Doch nur wenig später tauchte bereits das schwarze Pferd des Prinzen neben ihr auf. Sein Reiter wild entschlossen die Entflohene aufzuhalten.

„Haltet gefälligst an! Ein Befehl des Königs!", brüllte der junge Mann gegen den Wind zu ihr herüber. Würde er die Hand zur Seite strecken würde er den Sattel des Schecken berühren können, stellte Olaria erschrocken fest. Er war viel zu nah. Sie hätte niemals eine Chance ihm zu entkommen.

„Auf gar keinen Fall! Für wie blöd haltet ihr mich?!", rief sie zurück und entdeckte bereits erleichtert die dunklen Bäume ihrer Heimat. Ein kaum merkliches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, das dem Prinzen jedoch nicht entging, genauso wie der sehnsuchtsvolle Blick den die Verfolgte auf den Wald richtete. Und genau das ließ ihn zweifeln und innehalten. Konnte sein Vater überhaupt recht behalten, wenn er behauptete, dass diese junge Frau eine Schande und Bedrohng für sein Volk sei? Denn bisher war ihm im ganzen Leben noch nie zu Ohren gekommen, dass in Salahirs Wäldern eine gefährliche Räuberfamilie leben würde. Und wenn dem so wäre, warum hatte sein Vater ihn dann nicht schon viel früher dazu beauftragt, sie gefangen zu nehmen, gegebenenfalls sie zu töten? Oder sollte er lieber sagen vernichten?
Zu Olarias Glück hatte irgendetwas den Prinzen für einen entscheidenden Zeitpunkt abgelenkt, denn so hatte sie ihr Pferd geradewegs in den Wald dirigieren können. Die Schritte wurden dumpfer und der Schecke galoppierte wesentlich ruhiger als zuvor, sodass sie sich vorsichtig aufrichten konnte. Die Geräusche des Waldes schlugen ihr entgegen, das friedliche Gezwitscher der Vögel und das Rauschen der Blätter, die sich leicht im Wind wogen.

Olaria- Legende der Räuber Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt