Kapitel 24:
"Meine Beine tun weh! Können wir nicht einfach eine Pause machen?!" Josefine jammerte seit Stunden und Olaria war wirklich versucht, ihre Freundin nicht einfach an einen Baum zu fesseln und ohne sie weiter zu gehen. Sie hatte bereits Kopfschmerzen und auch dem männlichen Anteil der Gruppe schien es nicht besser zu gehen.
"Halte gefälligst durch! Wir sind doch schon da!", fuhr Olaria sie genervt und etwas zu harsch an. Fine verschränkte nur trotzig die Arme vor der Brust und empörte sie leise grummelnd über das wenige Verständnis ihrer Freundin. Doch auch ihr Blick erfasste die kleine Stadt, die in dem kleinen Tal lag, am Fuße des Hügels, auf dessen Anhöhe sie standen. Schon war die anfängliche Müdigkeit der Rothaarigen verschwunden und sie begann wild herum zu springen und zu jubeln. Olaria fragte sich langsam echt, wie alt sie eigentlich war.
Als die kleine Truppe Iskvid betraten, schlug ihnen ein widerlicher Gestank entgegen. Es roch nach verwesendem Fleisch, nach Urin und Kot und Blut. Eine schreckliche Mischung, die die Gruppe innehalten ließ, ehe sie sich dazu zwangen weiter zu gehen. Josefine war geschockt über den Zustand dieser Stadt, Lucian ekelte sich genau wie Olaria und Cyrian musste sich selbst daran zu hindern nicht in der nächsten Sekunde aus der Stadt zu rennen und sich in der nächst gelegenen Situation zu übergeben.
Olaria war es nicht wohl dabei in dieser Gegend ihre Vorräte zu kaufen, doch blieb ihnen keine andere Möglichkeit sich zu versorgen. Die Tiere hatten sich zurück gezogen und die Luft war immer kälter geworden.
Lucian ließ seinen Blick durch seine Umgebung schweifen. Ihm war ganz und gar unwohl an diesem Ort zu sein. Der Geruch bereitete ihm das größte Unwohlsein. Um ihn herum standen Häuser eng an eng gereiht. Die Fassaden herunter gekommen und verdreckt, teilweise durchlöchert oder komplett zerstört. Die Dächer eingefallen und die Fenster zerbrochen. Selten entdeckte er ein Gebäude, dass vernünftig aussah. Der Boden war verdreckt und die Wege kaum noch zu erkennen. Was genau den Boden verunreinigte wollte der junge Prinz gar nicht wissen, denn so wie es roch, konnte es kein einfacher Dreck sein. Am Straßenrand saßen Frauen und Kinder, mager, dreckig und bitterarm. Einige der Frauen buhlten um die Aufmerksamkeit der jungen Männer und versuchten sich sogar an sie heran zu werfen, doch unterbrach die grünäugige Räuberin dies immer mit einem bedrohlichen Knurren, dass die Frauen reihenweise verscheuchte. Teilweise entdeckte Lucian sogar Kleinkinder in den Armen ihrer verzweifelten Mütter. Ein erbärmliches Bild.
Als sie auf einem Marktplatz ankamen, sah die Stadt plötzlich viel heller und freundlicher aus. Auch wenn der Geruch immer noch anwesend war, so sah die kleine Stadt weniger Arm aus. Sie kamen an einer Kneipe vorbei, in der nur Männer saßen, die sich teilweise mit dürren Frauen vergnügten und Bier tranken. Olaria überkam eine Gänsehaut, als sie begriff, dass diese Männer ihre Frauen und Kinder auf der Straßen verhungern ließen, nur um dann in einem billigen Schuppen andere Frauen um den Finger zu wickeln und sich zu besaufen. Eine derartige Ungerechtigkeit hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie zu Gesicht bekommen.
Auf dem Marktplatz befanden sich einige Stände. Einige verkauften Nahrung, andere seidene und wunderschöne Stoffe, und wieder andere verkauften teure Schmuckstücke, die sich in dieser Stadt höchstens die Männer leisten konnten.
"Wir teilen uns auf.", beschloss Olaria, doch das Zittern in ihrer Stimme, dass von der Abscheu gegenüber dieser Stadt kam, konnte sie nicht verstecken. Jedoch ging es ihren Begleitern nicht anders. Still nickten Lucian, Fine und Cyrian. "Gut. Lucian Ihr kommt mit mir, wir werden uns nach Pferden umschauen und Fine und Cyrian, ihr werdet für die Vorräte sorgen, soweit verstanden?" Fragend streifte ihr Blick die Drei, die erneut stumm nickten. Olaria drückte der jungen Frau einen kleinen Lederbeutel in die Hand, in dem es verdächtig klimperte. "Wir treffen uns noch vor Sonnenuntergang wieder hier. Versucht so viel wie möglich für so wenig wie möglich zu bekommen. Und am aller Wichtigsten, feilscht. Seid niemals mit dem Preis einverstanden, denn meist ist er viel höher, als er es eigentlich sein sollte.", bläute sie ihnen ein, ehe sie sich umdrehte und noch die Hand hob. "Beeilt euch.", waren ihre letzten Worte zum Abschied, ehe sie sich mit dem schwarzhaarigen Prinzen zügig in Bewegung setzte, auf dem Weg zu den Pferdehändlern.
Nachdenklich betrachteten die beiden jungen Menschen die edle Pferden, die vor ihnen, angebunden an einen hölzernen Pfahl, standen. Es ging ihnen nicht um das Aussehen der Tiere, sondern um ihr Potential. Sie brauchten schnelle, ausdauernde und starke Pferde, die ihnen auch von Nutzen sein würden. Ein Tier, dass nach wenigen Tagen zusammenbrach, konnten sie nicht gebrauchen. Der Händler schwirrte die ganze Zeit aufgeregt um sie herum und versuchte ihnen mit Gesten und unglaubwürdigen Worten die Pferde aufzudrücken.
Als sich ein weiterer Mann zu ihnen gesellte wurde der schleimige Verkäufer ruhig und blickte den graubärtigen Mann mittleren Alters verwirrt an. "Lassen Sie mich das machen John.", sagte er freundlich. Der Händler schien jedoch nicht verschwinden zu wollen. Mit Nachdruck brachte der fremde Mann ihn schließlich zum Gehen, doch den skeptischen Blick den er ihnen zuwarf konnte er nicht verhindern.
Misstrauisch hatte Olaria die ganze Situation mit zusammengekniffenen Augen verfolgt. Ihre Stirn hatte sich dabei in Falten gelegt und die Augenbrauen hatte sie nachdenklich zusammen gezogen. "Wer seid Ihr?", ihre Stimme war monoton und deutlich unterkühlt. Sie besaß kein Interesse an falscher Freundlichkeit, die der vorherige Händler nur zu genüge gezeigt hatte. "Ich bin ein Freund Darians. Kommt Ich werde euch meine prachtvollsten Tiere zeigen. Die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde, versteht sich." Seiner aufordernden Geste kamen die Beiden nur zögerlich nach und folgten ihm mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend. Einige Minuten mussten sie laufen, ehe sie hinter einem kleinen, unscheinbarem Haus zu stehen kamen. Vor ihnen breitete sich eine große Weidefläche aus und ein kleiner Stall bat den Tieren Schutz vor Wind und Wetter. Sowohl Haus als auch Stall waren in einem guten Zustand, zumindest den anderen Häusern Iskvids gegenüber. Das Haus mit der Wiese lag am Rande der Stadt, sodass es ihm , möglich war, diese Fläche nutzen zu können. Iskvid besaß im Gegensatz zu anderen Städten keine Stadtmauer, jedoch wunderte diese Tatsache Olaria nicht im Geringsten.
Vier stolze Rösser hoben bei dem lauten Pfiff des Unbekannten neugierig den Kopf und kamen sogar an den Hölzernen Zaun heran. Olaria und Lucian konnten nicht leugnen, dass diese Tiere mehr als wertvoll waren. Starke Muskeln, ein aufmerksames Wesen und wunderschönes Fell. Beinahe schon königliche Tiere. Lächelnd drehte sich der ältere Mann sich zu ihnen um. Ihm waren die bewundernden Blicke nicht entgangen.
"Sie gehören euch." Seine Stimme klang freundlich und ehrlich, doch war Olaria immer noch skeptisch.
"Wie viel sollen diese Tiere kosten?" Sie klang unfreundlicher, als sie es vorgesehen hatte, doch war ihr Misstrauen größer als ihre Vernunft, zumindest in diesem Moment.
"Nun wie ich sagte, Freunde Darians. Und Freunden macht man auch mal Geschenke, nicht?" Die Hände vergrub er lässig in den Taschen seiner abgewetzten Jacke. Mit schwingenden Schritten entfernte er sich von den verdatterten Reisenden, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.
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Olaria- Legende der Räuber
Historical FictionViele Geschichten kursieren um die Legenden einer Heldin. Eine Heldin, so tapfer, mutig und ungebändigt frei wie die Winde, die gnadenlos über die Länder fegen, dass sie die Eine war, die einen Krieg, scheußlicher als alles was die Einwohner dieser...