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Kapitel 11:

Tage lang wanderten die beiden Entflohenen schon durch den Wald. Sowohl Olaria als auch ihr Begleiter hatten jegliches Zeitgefühl verloren. Zudem waren die Temperaturen deutlich gesunken und der Wald begann sich langsam in lebendes Gold zu verwandeln. Immer weniger Tiere liefen ihnen über den Weg und die Nahrungssuche wurde immer schwerer. Der Herbst brach ein und mit ihm all die Probleme des Überlebens und seine einzigartige Schönheit. Jedes Jahr verfluchte Olaria diese Jahreszeit genauso wie den Winter. Wie gerne würde sie doch wie die Vögel ,frei und unbeschwert, in den warmen Süden fliegen. Ihr wurde jedoch schmerzlich bewusst, dass sie bald wieder nach Salahir musste um genügend Vorräte für den Winter zu finden. So sehr sie die Stadt auch hasste, jedes Jahr wiederholte sich diese Prozedur. Die Menschen bemerkten sie entweder gar nicht, oder sie machten einen großen Bogen um sie, brachten ihre Frauen und Kinder in Sicherheit. Vor wenigen Jahren hatte sogar ein Bote einige Wachen über ihren Aufenthalt informiert. Bis dahin hatte jeder sie in Ruhe gehalten, an diesem Tag jedoch hatte inmitten des Marktes ein Kampf bis aufs Blut ereignet. Vier Wachen waren ihrem tödlichen Schwert zum Opfer gefallen, ehe sie spurlos verschwunden war. Seitdem wagte es niemand mehr sich einzumischen.

Die Tage nach ihrer Flucht waren lang und anstrengend gewesen. Die wenigen Stunden Schlaf und das viele Laufen setzten ihr mehr zu, als sie sich eingestehen wollte. Jedoch schien genau dies ihrer Wunde gut getan haben, denn die Schwellung war zurück gegangen und der Prinz hatte keine Fragen gestellt, keine ihrer Handlungen skeptisch beobachtet. Es schien als würde er die junge Räuberin akzeptieren, ihr beinahe vertrauen in dem, was sie tat. Olaria hatte sie all die vielen Stunden sicher durch den Wald geführt, immer weiter hinein und immer weiter in Richtung Osten. Und so kam es, dass sie nun mitten auf der großen Lichtung stand und auf das Bild starrte, dass sich ihr bot. Ihre Gedanken rasten wild durch ihren Kopf und ihr wurde zugleich heiß und kalt. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und der Geruch des großzügig verteilten Blutes bekam ihr mehr als schlecht. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus und auch ihr Begleiter war vollkommen fassungslos. Noch nie war ihm eine solch kaltblütige Tat zu Augen gekommen.

Die große Feuerstelle, die zwischen dem dichten Anfang des Waldes und den Höhlen in einer Kuhle lag, war nieder getreten und der Ruß war noch mehrere Meter auf dem Boden verteilt zu sehen. Das einst so saftige Gras auf dem Boden war platt auf den Boden gedrückt worden und tiefe Hufabdrücke säumten den unschönen Boden. Unzählige Pfeile lagen verteilt auf dem Boden , ebenso wie zwei Schwerter. Armbrüste und viele weitere Waffen waren achtlos auf den Boden geworfen worden. Dunkelrotes, stinkendes Blut verzierte den Boden, als sei es die Farbe eines Künstlers und die dazugehörigen Leichen gesellten sich dazu. Sie waren widerlich verstümmelt, schrecklich verunstaltet. Vereinzelt hatten sich Raben auf ihnen nieder gelassen und begannen an dem menschlichen Fleisch zu zerren.

Olaria löste sich abrupt aus ihrer Starre und rannte verzweifelt über den unebenen Boden, sprang über die Leichen, in der Hoffnung keine ihrer Familie zu finden. Tränen rannen ihr über die Wangen und ihre Sicht verschwamm vor ihren Augen. Ihr hektisches Keuchen drang an ihre Ohren und spornte sie nur noch mehr an. Kaum achtete sie noch auf ihre Umgebung, bis sie über einen Gegenstand fiel und schmerzhaft auf dem Boden ankam. Doch den Schmerz spürte sie nicht, als ihr Blick auf den Gegenstand fiel über den sie gestolpert war. Ein fassungsloser und von Schmerz zerfressender Schrei entfuhr ihr und sie wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als zu sterben, denn der Schmerz in ihrer Brust war schlimmer als alles was sie jemals zu spüren bekommen hatte.

Die leeren braunen Augen ihrer Mutter starrten sie unnachgiebig an und die schwarzen Haaren klebten an auf ihrer Stirn. Dunkles Blut bedeckte ihr einst so lebendiges Gesicht und ihren entblößten Hals. Ein heller Pfeil ragte aus ihrer Kehle. Den Mund hatte sie noch zum Schrei geöffnet. Panisch wich Olaria zurück. Ihre Beine angewinkelt und die Arme hinter dem Rücken bewegte sie sich von ihrer toten Mutter weg, den Blick stets auf sie gerichtet, bis etwas sie am Handgelenk berührte. Hastig sprang sie auf die Beine und fuhr herum. Ein weiterer Schrei entfloh ihrer Kehle, als sie die schrecklich zugerichtete Leiche ihres zweiten Bruders sah. Auch seine braunen Augen starrten leer in den Himmel und inmitten seiner linken Brust teilte ein riesiger Schnitt sein Oberteil. Olaria blieb die Luft weg, als sie weder Arme noch Beine an seinem Körper sehen konnte. Diese Bastarde hatten es tatsächlich fertig gebracht, ihm erst die Gliedmaßen abzutrennen, ehe sie ihn umgebracht hatten. Nie war es ihr als möglich erschienen eine solch scheußliche Tat zu vollbringen. Immer wieder verließen neue, verzweifelte Schreie ihren Mund und ließen den jungen Prinzen immer wieder aufs Neue zusammenzucken.

Sein Blick war auf den leblosen Körper vor ihm gerichtet. Ein Pfeil hatte sauber seinen Schädel durchbohrt und ihm das Leben genommen. Ein sauberer Schuss. Die silberne Rüstung und das Wappen Helias, das auf seiner linken Brust prangte, ließen ihn geschockt ausatmen. Sein Vater war an allem Schuld. Er hatte diese unschuldige Familie qualvoll getötet. Nur wozu? Was erhoffte er sich davon? Die eisigen Augen fixierten mitleidig die junge Räuberin. Zusammengesunken kauerte sie inmitten ihrer Familienangehörigen und weinte bitterlich. Ihr ganzer Körper zitterte. Immer wieder murmelte sie Worte, die er aus dieser Entfernung nicht verstand. Sein eigener Vater hatte ihr die Familie genommen, sie zerstört. Der junge Prinz wusste, dass sein Vater die Räuber festnehmen wollte und es besonders auf Einen von Ihnen abgesehen hatte. Wenn er es auf seine Begleiterin abgesehen hatte, warum tötete er dann ihre Verwandten? War er tatsächlich so töricht zu denken, sie würde nun aus freiem Willen zu ihm zurückkehren und sich ihm anschließen? Jeder andere Mensch hätte gewusst, dass sie nun auf Rache aus war. Dass sie nur aufgeben würde, wenn der Mörder ihrer Familie tot war. Und jeder von ihnen wusste: Räuber kämpften bis aufs Blut. Die Rache der jungen Frau würde ewig sein.

Langsam beruhigte sich Olaria immer mehr, bis sie mit schmerzenden Herzen aufstand. Es hatte sie beruhigt, sich noch von ihnen verabschieden zu können. All ihre Worte waren aus tiefstem Herzen gesprochen worden und ihr vollkommener Ernst. Sie hatte sich die Seele aus dem Leib geweint und ihrem Bruder und ihrer Mutter den größten Segen gewünscht. Ihnen gewünscht, dass sie ein glückliches Leben gehabt hatten und nun in Frieden ruhen durften. Wild entschlossen drehte sie sich zu dem überforderten Prinzen um. In ihren Augen funkelte es bedrohlich. Pure Gier lag in ihnen. Gier nach Rache. Gier nach dem Tod und dieser würde ihrem Plan nur allzu gerne zustimmen. 

Olaria- Legende der Räuber Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt