>6<

196 10 0
                                    

Kapitel 6:

Langsam und schwer atmend drehte sie sich um. Ihre Augen weiteten sich unmerklich als ihre grünen Augen die Situation erfassten. Beinahe ungläubig starrte sie auf das Bild, dass sich ihr bot. Inmitten von toten und bluteten Wolfsleichen stand mit eisiger Miene und gezogenem Schwert jemand, von dem sie einerseits niemals erwartet hatte, dass er ihr half und von dem sie andererseits gehofft hatte ihn niemals wieder sehen zu müssen.

Nur der Mondschein warf sein spärliches Licht auf das markante Gesicht und ließ seine eisblauen Augen mysteriös aufleuchten. Sein Mantel umhüllte ihn und gab nur wenig von seinem muskulösen und breit gebauten Körper frei. Sein ganzes Erscheinungsbild hätte jeden in seinem Umfeld vermutlich eingeschüchtert und sein Auftreten hatte beinahe sogar die selbe mächtige Ausstrahlung wie sein Vater sie hatte. Olarias Augen formten sich jedoch misstrauisch zu Schlitzen mit denen sie den jungen Prinzen forschend anstarrte. Ihr war es unwohl, dass er ihr geholfen hatte, denn laut einem der obersten Gesetze ihres Bundes, war sie nun dazu verpflichtet in seiner Schuld zu stehen und sie war sich mehr als sicher, dass er sich dessen mehr als bewusst gewesen war, als er ihr geholfen hatte. Denn ein selbstbewusstes Grinsen zierte seine Züge.

„Na? Kein Danke?"

„Was wollt Ihr?!", ihr war mehr als bewusst wie scharf ihre Stimme klang, aber sie hatte nicht vor, sich mit diesem Thronfolger länger als nötig zu befassen. Er hatte eine Absicht, sonst hätte er ihr wohl kaum geholfen und Olaria konnte nur hoffen, dass sie ihre Schuld so schnell und einfach wie möglich begleichen konnte.

„So unhöflich. Tja aber was soll man erwarten?"Hämisch grinste er sie an und traute es sich sogar zu, einen Schritt in ihre Richtung zu machen, so sicher war er sich seiner Sache.

„Aber ich bin schließlich nicht hier um mit Euch über die Verhaltensweisen der Räuber zu reden. So weit ich weiß, seid Ihr mir nun etwas schuldig ,richtig?"

Wütend knirschte die brünette Frau mit den Zähnen. Ihr gefiel es nicht, dass der Prinz nun eine gewisse Kontrolle über sie hatte, dass er nun in ihrer Schuld stand. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, so wohl war ihr bei dem Gedanken an seine Forderung, die er an sie stellen würde, nicht. Denn egal was es war, sie hatte es zu erfüllen, egal ob es ihr gefiel oder nicht.

„Nun sagt schon! Was fordert Ihr als Gegenleistung von mir?" Ihre behagte es gar nicht hier tatenlos mit ihm zu stehen und zu reden.

„Als Gegenleistung?Ihr habt recht mir gebührt laut euren seltsamen Gesetzen ja nun ein Wunsch.", er provozierte sie nur immer weiter. Er fand es beinahe interessant zuzusehen , wie sie sich verkrampfte, die Hände vor Wut zu Fäusten ballte, die Zähne angespannt zusammenbiss und sich der Griff um dieses wirklich sonderbare Schwert verstärkte. Der junge Prinz hatte keinerlei Vorstellungen davon, wie sie es geschafft haben muss bei ihrer Flucht aus dem Kerker noch ihre Waffen einzusammeln. Soweit er nämlich wusste hatte man sie ihr abgenommen und ein wahrhaftes Waffenarsenal gefunden. Niemals wäre er darauf gekommen die von außen so unschuldig, harmlos wirkende junge Frau für eine gesuchte Räuberin zu halten, wenn er ihr im Wald oder in der Stadt begegnet wäre.

Er konnte in dem spärlichen Mondlicht ihr Aussehen nur erahnen, doch was ihm besonders auffiel, war diese kriegerische Ausstrahlung aber vor allen Dingen ihr jetziges Äußerliches. Das Blut, dass ihre Hände und Klamotten säumte, ließ sie wie eine Kriegerin, fast schon wie eine Soldatin wirken. Ihr wildes Erscheinungsbild verlieh dem ganzen noch dieses Etwas, dieses Etwas das sie unabhängig und frei wirken ließ. Sie wie Jemand unerreichbaren wirken ließ, wie Jemand mit dem sich niemand, er selbst eingeschlossen, niemals freiwillig anlegen beziehungsweise ihn als Feind haben wollte. Dennoch hatte er sich bereits überlegt, was er fordern würde.

Er wollte unbedingt mehr über das Leben in der Wildnis lernen, lernen zu überleben, lernen zu leben wie es die Räuberstochter bereits seit Jahrzehnten tat. Er wollte die Natur kennen lernen und vor Allem wollte er sie, die Räuberin, eine eigentliche Gefangene seines Vaters, näher kennen lernen. Er wollte ein Abenteuer erleben, wissen was hinter den Mauern seines Schlosses noch alles auf ihn warten könnte, wollte die Freiheit spüren, sie schätzen zu lernen. Wollte leben wie ein Räuber, ein unabhängiger, ein freier Mensch.

„Lasst mich Euch begleiten, zeigt mir Euer Leben. Zeigt mir was dort draußen noch auf mich warten würde, würde ich so frei leben wie Ihr es bereits tut. ", sein Blick glitt hinauf in den Himmel und seine Stimme klang so fest davon überzeugt, ab jetzt der frechen und willensstarken Räuberin zu ziehen, sie zu begleiten, dass sich für einen Moment Olarias Mundwinkeln hoben. Sie konnte sogar nachvollziehen warum er sich für eine solche Forderung entschieden haben musste. Er wollte etwas erleben, wollte höchst wahrscheinlich für eine ungewisse Zeit ebenfalls die Freiheit fühlen, so wie Olaria es bereits tat.

„Zeigt mir, wie das Leben außerhalb der Mauern meines Schlosses ist, was es zu bieten hat.", dieser Satz hatte er mehr zu sich gesagt, doch hatte Olarias recht feines Gehör es dennoch wahrgenommen. Und sie würde ihm gewähren ihr zu folgen. Würde ihm zeigen, welch wundervolles Leben sie ihres nennen durfte. Was sie an der Freiheit so genoss. Denn würde er erst König werden, hätte er so mehr Verständnis für sie und ihre Nachfolger. Er würde sie vielleicht sogar so leben lassen, ihnen den Frieden der Natur lassen. Denn so würde sich Olarias leben um ein Vielfaches vereinfachen, sie und ihre Familie würde friedlicher leben können, sie müssten sich nicht länger verstecken.

„Nun gut. Aber bedenkt, dieses Leben hier draußen ist brutal! Hier ist unser einziges Motto zum Überleben: Töte oder du wirst getötet. Im Fall einer Notalge muss man sich aufeinander verlassen müssen und Opfer bringen können, aber ich denke das dürfte eines unserer geringsten Probleme werden."

Überrascht blickte er die junge Frau an. Er hätte nicht erwartet, dass sie so leicht nachgeben würde, doch er wusste, es würde verdammt hart werden. Hier in der Wildnis spielt das richtige Leben, hier ist es ein einziger Kampf ums nackte Überleben. Niemand würde Rücksicht auf Jemanden nehmen. Dies würde kein Spiel werden, denn dies ist das Leben, dass Generationen von Räubern leben, ein Leben, das seine Vorfahren bereits geführt hatten.

„Und was habt Ihr jetzt vor?"

„Ihr meint was wir jetzt vorhaben. Ihr müsst euch darüber klar werden, auch wenn es mir selbst nicht gefällt mit einem meiner Feinde durch den Wald zu streifen, wir müssen ab jetzt zusammenhalten. Tun wir es nicht, überleben wir nicht lange. Aber das Erste was wir jetzt machen ist meine Familie zu finden!"

Olaria war fest entschlossen. Zuerst würde sie ihre Familie finden und dann -. Ja was dann? Was würde sie machen, wenn sie zurück bei ihrer Familie war? Würde sie ihr Leben einfach so weiterführen können wie zuvor? Immer dieselbe Umgebung? Immer dieselben Gewohnheiten? Eigentlich hätte sie genau das getan, wäre da nicht dieser hartnäckige Wunsch nach einem Abenteuer in ihrem Herzen verankert, der sie nicht in Ruhe ließ. Sie wollte die Welt sehen, wollte noch mehr erleben. Und wie sie feststellen musste, wollte sie genau ein solches Leben der Freiheit erst, seitdem der König sie gefangen genommen hatte. Erst jetzt wurde ihr klar was dort draußen noch alles auf sie warten würde, würde sie ins Unbekannte ziehen, fremde Wälder durchforsten, neue Königreiche kennenlernen.Und was das nicht eigentlich genau das, was das Leben eines Räubers ausmachte? Frei und unabhängig zu sein?

Und genau das war der Moment, in dem Olaria beschloss exakt so ein Leben zu führen. Doch zuerst und das war ihr immer noch am Wichtigsten, wollte sie ihre Familie finden. Denn ihr Wohlergehen stand bei ihr durchgängig an erster Stelle. Die Loyalität gegenüber der Familie war für die junge Räuberin  eine Sache der Selbstverständlichkeit. Etwas, dass sie niemals brechen würde. Niemals würde sie es wagen ihr eigen Fleisch und Blut zu verraten, denn dies hatte sie ihnen vor langer Zeit einmal geschworen.

Olaria- Legende der Räuber Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt