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Kapitel 9:

Wie erstarrt stand der junge Prinz am Rande der Lichtung, den Blick starr auf das Bild, das sich im bot, gerichtet. Für einen Moment war er völlig bewegungsunfähig, als er die junge Räuberin , in einigen Metern Entfernung ,auf dem Boden liegen sah. Sein Vater hätte ihn jetzt barsch zurecht gewiesen. Sie sei ein Verbrecher, ein hinterlistiger Räuber, der nur seine eigenen Absichten vor Augen hatte und dem es nicht zustand, dass sich Jemand um ihn sorgte oder ihn einfach nur beachtete.

Ihn interessierte die Meinung seines Vaters jedoch schon lange nicht mehr, denn dieser hatte ihn belogen, seine Treue zu ihm schamlos ausgenutzt. Der König hatte seinen Sohn angewiesen, ein Verbrechen zu begehen. Ohne Grund war es sogar dem König verboten, einen Menschen festnehmen zu lassen, ihn einzusperren. Doch genau das hatte er gemacht, er hatte sie foltern und töten wollen. Er wollte sie einen Verrat an ihrer eigenen Familie begehen lassen. Der junge Mann war sich nicht mehr sicher, ob sein Vater je nach den wenigen existierenden Gesetzen gehandelt hatte. Er begann die Entscheidungen, denen er immer blind vertraut hatte, anzuzweifeln. Er zweifelte ob seine Taten jemals richtig gewesen waren, sogar den Plan, Illiora zu besetzen und sein eigenes Land zu vergrößern.

Hatte sein Vater jemals über die Bürger Helias nachgedacht? Denn sein Sohn zweifelte daran, ob sein Land es durchhalten würde, einen Krieg zu führen. Einen Krieg den wahrscheinlich Niemand jemals gewinnen würde. König Elrik würde eher sterben, als dass er vom Thron stieg, genau wie sein Vater, König Maros. Der Krieg würde aussichtslos und endlos sein. Und zum ersten Mal wurde ihm klar was die Räuber ,in Salahirs Wäldern, für ein Glück hatten.

Sie mussten sich mit solchen Angelegenheiten nicht auseinandersetzen. Sie lebten frei und unabhängig von den Entscheidungen der beiden Königreiche. Doch würde ein Krieg ausbrechen, so hätten sie keine Chance zu überleben, denn die Wälder lagen genau zwischen Helia und Illiora. Sie würden dem Krieg zum Opfer fallen, selbst wenn sie unschuldige Menschen waren. Sie würden allesamt sterben.

Und jetzt stand er hier und zerbrach sich den Kopf über die unbekannten Räuber. Kopfschüttelnd musste er feststellen, dass er eigentlich nichts über seine Begleiterin wusste und, dass er von ihr abhängig war. Würde sie abhauen, wäre sein Schicksal besiedelt. Er würde sterben. Entweder würde ihn der Hunger dahinraffen oder er würde den Tieren als Futter dienen. Erschaudernd musste er an die Wölfe denken. Er bekam das Bild nicht aus dem Kopf, wie die unbekannte Räuberin im Licht des Mondes kämpfte. Ihre wehenden Haare, die Waffen und ihr Mantel, ließen sie wie eine Kriegerin wirken. Tapfer hatte sie dort gestanden und sich gegen die hungrigen Wölfe gewehrt. Ganz allein hatte sie beinahe ein ganzes Rudel ausgelöscht.

Er hätte niemals daran gedacht, dass er jemals, in so kurzer Zeit, so viel erleben würde. In diesen zwei Tagen hatte er eine Räuberin gefangen genommen, gegen sie gekämpft und sie nachher verfolgt, als sie diesen einen waghalsigen Fluchtversuch unternommen hatte. Dann hatte er gegen Wölfe gekämpft und sich mit ihr zusammengeschlossen.

Der junge Prinz war vor ihr aufgewacht. Er hatte sie bewundert, wie sie auf diesem Baum geschlafen hatte. In diesem Moment wirkte sie so friedlich und entspannt. So sorglos würde er sie selten zu Gesicht bekommen. Ohne lange zu überlegen, war er auf die Suche nach seinem entflohenen Pferd gegangen, erfolglos. Dabei meinte er am Vortag noch seine Spuren gesehen zu haben. Resigniert war er zurück gekehrt und hatte die junge Frau reglos aufgefunden. Unsicher was er tun sollte, bewegte er sich langsam auf sie zu und ließ sich neben ihr nieder. Zum ersten Mal betrachtete er sie ausgiebig. Ihr attraktives Gesicht, ihre rotbraunen Haare. Ihr zierlicher Körperbau hätte ihn niemals erahnen lassen, welch eine Kraft in ihr steckte.Auch ihr Kampfgeist war bewundernswert. Noch nie hatte er jemanden mit solch einem starken Willen getroffen. Doch die kleinen Narben entgingen ihm nicht. Sie waren so klein, dass sie höchstens von Dornen kommen konnten. Er würde sie nicht sehen, wenn das warme Sonnenlicht nicht genau auf ihr Gesicht scheinen würde, so verblasst waren sie bereits. Vorsichtig schob er einen seiner Arme unter ihre Kniekehlen und den Anderen unter ihren Rücken. Der junge Prinz hob sie keuchend auf und musste feststellen, dass sie wesentlich leichter aussah, als sie es tatsächlich war.

Mit schnellen Schritten trug er die Räuberin in die Nähe der stillen Feuerstelle. Langsam legte er sie zurück auf den dunklen Waldboden und bemühte sich darum, ihr nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Selbst die Tatsache, dass sie mehr als geschwächt und krank war, linderte ihre natürliche Schönheit nicht. Ihre Augen hatten ihn fasziniert und ihn fast um den Verstand gebracht, als er gegen sie hatte kämpfen müssen. Ein so intensives Grün hatte er noch nie gesehen, dabei hatte es so viele Seiten. Manchmal funkelten sie wie zwei Smaragde im Sonnenlicht, oder sie schienen sich mit dem dunklen Wald vereinen zu wollen. Sie war geschaffen für das Leben hier draußen in der Wildnis. Er sah es in ihren Augen. Dieses unzähmbare und wilde Funkeln in ihnen war ihm nicht entgangen. Sie fühlte sich in den Wäldern zu Hause, es war ihre Heimat. Und wenn er eins in dieser kurzen Zeit gelernt hatte, dann, dass diese junge Frau, die neben ihm nahe an der Feuerstelle lag, Niemand aufhalten könnte, dass sie in die Natur gehörte. Aber vor Allem sollte sie Niemand jemals unterschätzen, wenn er sie im Wald antraf.

Als sie gegen ihn gekämpft hatte, schien sie förmlich mit dem Wald verschmolzen zu sein, es schien als wäre der Wald ihre Deckung und zugleich ihr treuer Begleiter. Doch eines wollte sich der junge Prinz zur Aufgabe machen: Er würde dafür sorgen, dass sie niemals Jemand aus ihrer Heimat riss. Er mochte sie nur kurz kennen, doch ihr Eindruck, ihr Auftreten und besonders die Flucht hatte er in Erinnerung behalten.

Eine Frage ging ihm jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Warum wollte sie ihm ihren wahren Namen nicht sagen? Entweder war daran etwas besonders oder sie wollte sich lediglich widersetzen, ihren Trotz zeigen,zeigen, dass sie eine Rebellin war und nach eigenen Entscheidungen handelte. 

Olaria- Legende der Räuber Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt