Kapitel 8

1.2K 33 0
                                    

Kapitel 8:

Jeta

Fortsetzung Zeitsprung:

„Jetzt halt doch mal den Mund" sagte er. „Ich wurde verdammt nochmal gekündigt und du nervst mich auch noch mit deinem Gedränge". „Oh Albert .." setzte ich an, weil ich wusste wieviel ihm dieser Job bedeutete, doch er äffte mich nur nach und ging an mir vorbei. Ich verstand nicht sofort und rannte ihm nach. Noch ehe ich mich versehen hatte, schlug er mich so fest, dass ich überrascht nach hinten taumelte und das Gleichgewicht verlor. Erst da roch ich auch schon den Alkohol aus ihm. „Das machst du nicht nochmal ..." schrie ich außer mir vor Wut und Fassungslosigkeit ... doch er machte es ... mehrmals.

Albert hatte mir von seinem Alkohol- und Drogenproblem erzählt. Als wir uns kennen lernten war er schon zwei Jahre lang clean gewesen. Angesichts der Tatsache, was er alles erlebt hatte, hatte ich verstanden, dass er sich eine Zuflucht gesucht hatte. Verstanden war übertrieben, aber es war nunmal prädestiniert gewesen, dass solche Menschen ein Ventil brauchten. Er war ganz alleine auf dieser Welt. Ich hatte zumindest Onkel Azem und Tante Merita mit den Kindern, aber er, er war eine einsame Seele gewesen, bis er mich kannte.

Als Albert noch nicht mit dem Trinken und den Drogen angefangen hatte, hatte er als Mechaniker in einer Werkstatt gearbeitet. Er hatte seinen Job geliebt. Doch dann hatte er begonnen zu Trinken und das hatte ihn schlussendlich seinen Job gekostet. Als er clean wurde, hatte er nach Jahren wieder die Chance bekommen, seinem Beruf, den er so sehr liebte, nachzukommen. Ich hatte ihm zu liebe schon oft zugehört, wie er bis ins kleinste Detail von seiner Arbeit sprach und in seinen Augen ein Funkeln gesehen, dass ich nur dann sah, wenn ihn etwas wirklich berührte. Es gab drei Situationen, in denen ich dieses Funkeln sah – wenn er sich bei mir nach seinen Eskapaden entschuldigte, wenn wir über unser Leid in der Kindheit sprachen und wenn er über seinen Beruf sprach.

Nun hatte er zum zweiten Mal seinen Job verloren – zwar nicht aus dem selben Grund wie damals ,denn seine Firma hatte Insolvenz angemeldet und er war bis zur Kündigung absolut clean gewesen, aber dennoch. Nach diesem Vorfall hatten sich zwei Dinge grundlegend geändert – er trank und nahm gelegentlich wieder Drogen und er hatte seitdem nie wieder einen Job bekommen, sodass er sich nach einer gewissen Zeit nicht einmal mehr bemühte voranzukommen.

Die zweite Handgreiflichkeit ereignete sich am 01. Januar 2016. Ich konnte mich noch zu gut daran erinnern. Wir hatten uns zuvor noch einen schönen Abend gemacht, „Life of Pi" geschaut und in das neue Jahr gefaulenzt. Danach hatten wir ein tiefgründiges Gespräch gehabt. Ich hatte ihm die erste Prügelei verziehen, nachdem er sich entschuldigt hatte und es als einmaligen Ausrutscher abgehakt. Doch es kam leider anders. Nachdem ich mich um 7 Uhr morgens schlafen gelegt hatte, wurde ich um 10 Uhr von ihm geweckt. Er war in einem sturzbetrunkenen Zustand – seine Augen blutunterlaufen. Ich erkannte diesen Menschen kaum wieder. Ich hatte das Gefühl, dass er noch zwei Mal schlimmer war als beim ersten Mal. Er weckte mich unsanft auf und schlug mich ohne Vorwarnung wo es nur ging.

Und das war der Moment, an dem ich sagte: „Jetzt ist Schluss". Wie oft ich diesen Satz schon gedacht und nie in die Tat umgesetzt hatte ...

Als er eingeschlafen war, hatte ich meine Koffer gepackt, online ein Ticket gebucht, um zu meinem Onkel zu fahren und versucht mich heimlich aus dem Staub zu machen.

Noch ehe ich die Tür zu unserer Wohnung hinausgetreten war klingelte mein Handy ...

...

Ich versuchte möglichst normal zu klingen, was ganz schön schwierig war, nachdem meine Lippe derart angeschwollen war und ich vor lauter Weinen eine heisere Stimme hatte. „Alo ..." sagte ich. Natürlich roch Onkel Azem den Braten sofort und fragte besorgt: „Was ist mit deiner Stimme, bije? Cka esht puna?".

Ich wollte ihm nicht über das Telefon sagen, was geschehen war. Ich wusste, wenn er das so erfahren würde, dann hätte er sich sofort auf den Weg gemacht und mich abgeholt und das konnte ich ihm nun wirklich nicht antun. Am Ende würde ihm noch was passieren, weil er in dem Zustand vier Stunden lang gefahren wäre. Also sagte ich: „Mir jam. Ich bin nur leicht verkühlt und habe Halsschmerzen". Natürlich schrie Tante Merita am anderen Ende aus der Entfernung: „Pije nje Aspirin Plus C e ta hek menjeher". Ich lächelte ob der Gutmütigkeit von Tante Merita.

„Bije, degjo" setzte er an "ich habe dich auf Lautsprecher, se un dhe Merita smujtem me prit ma. Wir wollten dich eigentlich übers Wochenende zu uns einladen und dir das sagen, aber wir sind einfach zu ungeduldig". Ich war gespannt was jetzt kommen würde, da setzte er fort „Tante Merita wird ein drittes Baby bekommen" und Tante Merita kreischte im Hintergrund.

Den Tränen nahe versuchte ich mich zusammen zu reißen und gratulierte den beiden ganz herzlich. Es war dieser Moment, an dem ich beschloss, ich würde es ihnen nicht sagen und es aushalten. Ich wollte ihnen den Moment nicht kaputt machen. Sie waren zu aufgeregt gewesen und es war ihr drittes Kind gewesen, Jahre nachdem Shqipe und Arlind geboren waren. Ich konnte das einfach nicht verantworten, dass sie wegen meinen Problemen die dritte Schwangerschaft nicht genießen konnten oder dem Baby später nicht vollste Aufmerksamkeit schenken konnten.

Und ich fuhr das kommende Wochenende zu ihnen. Sogar mit dem nüchternen Albert, der sich, nachdem er den Rausch ausgeschlafen hatte gefühlte 1000 Mal entschuldigt hatte und zig mal auf die Knie gegangen war vor Reue. Ich verlor aber kein Wort von den Problemen zuhause. Seitdem hatte ich geschwiegen und entschieden, dass ich alleine mit meinen Problemen fertig werden müsste.

Flora kam am 18. September 2016 zur Welt und sie war das wundervollste Baby, das ich je gesehen hatte. Und ich hatte echt viele Babies im Krankenhaus gesehen. Ich ging so gerne in die Babyabteilung, dass ich am liebsten die Zuständigkeit getauscht hätte. Als Nesthäckchen in der Familie wurde sie von allen umworben. Jeder wollte sie halten und mit ihr spielen. Ich blieb eine Woche bei meinen Verwandten, um mit ihnen diesen wundervollen Moment teilen zu können. Den Moment zu erleben, als die Familie, die mir noch geblieben war, ein weiteres Mitglied zählen durfte, war für mich das wertvollste seit langem. Auch Albert lies das nicht kalt. In mir weckte das einen unglaublichen Wunsch selbst Mutter zu werden.

Wir hatten oft über Babies gesprochen. Ich hatte ihm in unseren ruhigen Momenten immer wieder erklärt, dass ich ihm erst ein Baby schenken würde, wenn er sich seinen Dämonen stellte und endgültig die Drogen und den Alkohol bleiben ließ. Er versuchte es immer wieder, schaffte es mehrere Tage lang, nur um dann wieder komplett runtergekommen heimzukehren und dasselbe durchzuziehen, was er in diesem Zustand tat.

Ende Zeitsprung

Një jet me tyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt