Kapitel 19

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Kapitel 19:

Luan

Ich war gerade von der Nachtschicht gekommen, als mein Handy klingelte und ich IHREN Namen auf dem Bildschirm sah. Ich freute mich wie ein kleines Kind. Seit Wochen ging es mir dreckig, meine Gedanken waren ständig bei ihr. Ich hatte versucht sie zu erreichen, sie bei der Arbeit abzupassen, immer vergebens. Sie ging mir bewusst aus dem Weg und das tat weh. Sehr sogar.

Als ich so ihren Namen sah, machte mein Herz kleine Freudensprünge. Euphorisch ging ich ran: „Jeta, ich freue mi ...." und hielt augenblicklich meinen Mund, als ich sie schluchzen hörte: „Luan ... ich .. kann ich ... kannst du ... kannst du mich ... vielleicht abholen? Ich ... es ist ... ich brauche einfach ... jemanden zum Reden" stieß sie weinend hervor. Für mich war das das Schlimmste sie so zu hören. Geschockt sagte ich: „Ja, natürlich. Schick mir deinen Standort auf Whatsapp und ich bin sofort da".

Kaum hatte sie mir ihren Standort geschickt, raste ich wortwörtlich dort hin. Als ich sie dort zusammen gekrümmt weinen sah blutete mein Herz vor Mitleid und Fürsorge. Ich war sowas von wütend, denn ich ahnte schon was geschehen war und wollte diese Hurensohn einfach umbringen, aber gleichzeitig versuchte ich Ruhe zu bewahren, um Jeta nicht noch mehr aus der Fassung zu bringen.

„Jeta, Baby, was ist los?" sagte ich besorgt, ging zu ihr und umarmte sie ganz fest. Es tat so gut sie nach so langer Zeit wieder in den Armen zu halten. Es war 1000 Mal schöner als einfach alles, was ich bisher in meinem Leben erlebt hatte. Schluchzend weinte sie in meinen Hals: „Bitte ... halt mich einfach fest, Luan".

„Oh Schatz" sagte ich und fühlte ihren Schmerz. Behutsam küsste ich ihren Kopf und strich ihr immer wieder über die Wange. Wir standen gut 10 Minuten so da, als sie sich ein wenig beruhigt hatte führte ich sie zu meinem Wagen und sagte: „Wir fahren jetzt zu mir Schatz, dann können wir uns ein bisschen beruhigen, ja?". Weinend gab sie ein „Mhm" von sich.

Ich nahm ihre Hand, öffnete ihr die Tür zu meinem Auto, setzte sie hin und ging zur Fahrertür. Den ganzen Weg über hielt ich ihre Hand. Sie war wie in Trance, weinte, schluchzte, schaute aus dem Fenster und mein Herz hielt diesen Anblick kaum aus.

Als wir bei mir waren zog ich mir schnell die Uniform aus und schlüpfte in meine Trainingshose und in ein graues T-Shirt,  setzte mich aufs Sofa zu ihr und nahm sie zwischen meine Beine, ihre Wange an meine Brust. Sie hatte mein ganzes T-Shirt mit Tränen verschmiert und ich hielt sie in dieser Position gut eine Stunde. Bis sie sich endlich ein bisschen beruhigt hatte.

„Schatz, sagst du mir jetzt was los ist?" sagte ich sanft, während ich ihr die Tränen mit dem Daumen wegwischte und sanft ihre Wange küsste.

„Er .. er hat es wieder getan, Luan ..." sagte sie nach Fassung ringend.
„Was, was hat er wieder getan?" entgegnete ich, die Zähne zusammengebissen und kurz davor diesen Hurensohn kurz und klein zu schlagen.
„Er hat mich geschlagen ... ich kann einfach nicht mehr .. ich möchte das nicht mehr".

Der einzige Grund warum ich im Moment nicht aufstand, zu ihm fuhr und ihn einfach umbrachte war diese tolle Frau hier, die bei mir lag und mir so sehr vertraute, dass sie sich mir endlich öffnete. Ich beschloss, dass ich ihr erst mal zuhören wollte und mich ihr zuliebe zusammen reissen würde.

Um sie nicht zu bedrängen hörte ich ihr bedacht zu, fragte zunächst nicht nach und wartete ab bis sie was Neues sagte.

Sie schaute auf ihre Hände und atmete tief durch. Um ihr alles zu erleichtern sagte ich: "Hey, alles ist gut, ich bin hier".

Sie pausierte zehn Minuten und dachte angestrengt nach, es war so als hätte sie gerade ein Flashback und wäre mit den Gedanken ganz woanders, während sie erzählte:

"Weisst du.. er war ein guter Kerl... er ist es immer noch manchmal. Ich ... also er hat einfach ein Suchtproblem, dass ihn dann ... einfach ... zu einem anderen Mensch ... werden lässt... wenn er nüchtern ist, ist er ein guter Kerl".

Sie atmete tief ein.

"Ich habe ihn damals nicht so lange ... gekannt. Onkel Azem hatte es doch nur gut gemeint. Und Albert war ein guter Mann, wir konnten echt gut reden, können wir immer noch... aber dann hat er seinen Job verloren und seitdem ist er wieder der Sucht verfallen... er tut mir manchmal leid... oft sogar... er ... er hatte es nicht einfach im Leben, weisst du ..."

Ich küsste sie impulsiv auf den Kopf, denn ich war so gerührt, dass sie Menschen, die ihr weh taten trotzdem Gutes wollte.

"Und zu Beginn habe ich mich gewehrt, aber dann ... ich schätze ich habe mich dann damit abgefunden und es einfach nur zugelassen... er ist wirklich kein schlechter Mensch... er hat einfach so viel durchgemacht..aber er muss sein Problem in den Griff kriegen. Ich ... ich kann doch nicht ewig mit ihm so weiter machen ..."

"Oh Schatz, dass musst du auch nicht" sagte ich und nahm ihre Hände, verschränkte meine Finger in ihre.

"Heute habe ich... ich habe einfach nicht mehr ausgehalten so wehrlos zu sein.. und naja ich .. also ich hab ihm in die Eier getreten.. das war sicher schmerzvoll für ihn"  kicherte sie ganz kurz, eine Mischung aus Erheiterung und Traurigkeit.

"Das ist mein Mädchen" sagte ich stolz. "Der Hurensohn hat es verdient"

"Luan, nenn ihn nicht so, seine Mutter ist tot und sie war ganz bestimmt keine Hure" sagte sie erbost und entzog mir ihre Hände.

"Tut mir leid, schätze du hast Recht. Verzeihst du mir?" entschuldigte ich mich und lehnte meine Stirn gegen ihre.

Sie sah mich kurz an und nickte.

"Und was ist mit deinen Eltern? Wissen die da was?"

"Meine Eltern sind gestorben als ich 7 Jahre alt war, Luan" entgegnete sie traurig.

Sofort plagte mich ein schlechtes Gewissen.

"Oh zemër, më fal"

"Ja, hättest du ja nicht wissen können"

Ich merkte, dass sie mit sich rang, ob sie mir auch das erzählen wollte.

"Sie sind ermordet worden, im Kosovo-Krieg. Sie wurden von serbischen Polizisten erschossen, als ich bei Onkel Azem war. Sie wurden beide erschossen, einfach so, während ich im Haus nebenan war"

Aufmerksam hörte ich zu und fragte: "Und wo bist du aufgewachsen?"

"Mein Onkel, Azem, und seine Frau Merita, sie haben mich aufgenommen. Wir sind noch am selben Tag geflüchtet. Wir haben nicht mal Zeit gehabt etwas mitzunehmen oder meine Eltern zu begraben. Wir mussten alles stehen und liegen lassen und uns retten. Ich habe Onkel Azem einfach so viel zu verdanken. Wenn er nich gewesen wäre .. ich will gar nicht wissen was dann passiert wäre".

Sie erzählte noch ein paar Details und schlief dann in meinen Armen ein. Darauf bedacht sie nicht aufzuwecken betrachtete ich sie vorsichtig. Sie war einfach ein toller Mensch, in jeder Hinsicht - klug, gutaussehend, gutmütig. Eine Frau, die so viel Scheisse erlebt hatte.

In diesem Moment schwor ich mir, dass ich derjenige sein wollte, der ihrem Leben DIE gute Wende geben würde. Für diese Frau würde ich sogar sterben....

Një jet me tyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt